Datis Kharrazian

Schilddrüsenunterfunktion und Hashimoto anders behandeln


Скачать книгу

wirkt sich nur wenig so negativ aus wie ein Mangel an Vitamin D, das eigentlich ein Steroidhormon ist. In modernen Ernährungsformen fehlen oft Vitamin-D-reiche Nahrungsmittel wie Leber, andere Innereien, Schmalz, Meeresfrüchte, Butter und Eigelb. Obwohl das Sonnenlicht eine weitere wichtige Quelle für die Bildung von Vitamin D ist, sehe ich selbst hier im sonnigen San Diego bei fast allen meinen Patienten einen Mangel. Je weiter nördlich man kommt, desto gravierender kann der Mangel sein. Die heute übliche Standardempfehlung lautet, einen 25(OH)D-Spiegel zwischen 50 und 80 ng/ml aufrechtzuerhalten und täglich 4000 bis 5000 IE Cholecalciferol (Vitamin D3) einzunehmen. Ergocalciferol (Vitamin D2) ist dafür meines Erachtens ungeeignet, da es sich in Bezug auf die Erhöhung des Vitamin-D-Spiegels im Serum als ineffektiv erwies.61 Wer jede Woche auf die Sonnenbank geht oder sich in südlichen Gefilden in der Sonne aufhält, benötigt wahrscheinlich kein zusätzliches Vitamin D, doch je weiter man im Norden lebt oder je dunkler die Haut ist, desto höher ist der Bedarf.

      Warum ist Vitamin D so wichtig? Ein Mangel wird mit zahlreichen Autoimmunerkrankungen in Verbindung gebracht, unter anderem auch mit Hashimoto 62, 63, und in den letzten Jahren ist die Anzahl der Autoimmunerkrankungen in die Höhe geschnellt. Ein adäquater Vitamin-D-Spiegel trägt dazu bei, das Immunsystem im Gleichgewicht zu halten, sodass es nicht außer Kontrolle gerät und auf pathologische Werte absinkt.64, 65, 66

      Was die Hashimoto Thyreoiditis betrifft, so wird das Problem eines Vitamin-D-Mangels durch die genetische Veranlagung noch verschärft. Studien ergaben, dass mehr als 90 Prozent der Menschen mit einer Autoimmunerkrankung der Schilddrüse aufgrund eines Gendefekts eine Verwertungsstörung von Vitamin D haben. Daher benötigen viele Menschen einfach mehr Vitamin D, um gesund zu bleiben, selbst wenn der im Blut ermittelte Wert sich noch im Normbereich befindet. Ursache sind die schadhaften Vitamin-D-Rezeptoren in den Zellen, sodass der Nährstoff nicht in ausreichender Menge aufgenommen werden kann.67, 68 Daher sollte der Vitamin-D-Wert bei Hashimoto-Patienten im oberen Normbereich liegen. Ich empfehle meinen Patienten die tägliche Einnahme von 5000 bis – in Einzelfällen sogar 20.000 IE Vitamin D sowie zusätzlich die Einnahme diverser Cofaktoren (vgl. die in Kapitel 11 erwähnten Nährsubstanzen). Neben zu wenig Sonnenlicht oder einer an Vitamin D armen Ernährung tragen auch eine Darmentzündung, eine Belastung der Nebennieren, Fettleibigkeit 69, 70, 71 sowie das Lebensalter 72, 73 zu einem Vitamin-D-Mangel bei.

      Chronische Entzündungen, Infektionen und Viren

      Der Amerikaner mit einem gut funktionierenden Verdauungstrakt hat Seltenheitswert. Denken Sie nur an die vielen Werbespots für Verdauungshilfen im Fernsehen und die Unsummen, die für frei verkäufliche Säureblocker (Antazida), Abführmittel (Laxantien) und Durchfallmittel ausgegeben werden. Eine Barrierestörung der Darmschleimhaut74, Verdauungsprobleme sowie Infektionen mit Bakterien und Parasiten sind häufige Erkrankungen in diesem Bereich und können zur Ausprägung einer Autoimmunerkrankung führen.75 Bei einem durch Entzündungen und Infektionen angegriffenen Darm kommt es zu chronischen Immun- und Stressreaktionen. Genau wie bei einer Glutenintoleranz können chronische Stressfaktoren, die auf das Immunsystem einwirken, zu Fehlfunktionen führen und folglich eine Autoimmunkrankheit verursachen. Andere Immunstressoren sind chronische virale Belastungen und Infektionen wie Hepatitis C, Epstein-Barr (eine Viruserkrankung), Lyme-Borreliose und Schimmelpilzinfektionen.76, 77, 78, 79 Liegen solche Immunstressoren vor, sollte ihnen bei der Behandlung einer Autoimmunerkrankung immer oberste Priorität eingeräumt werden.

      Der übersehene Virusinfekt

      Meine Klientin hatte sich schon seit geraumer Zeit nicht mehr wohlgefühlt und wusste, dass sie sich untersuchen lassen sollte. Da sie eine gute Krankenversicherung hatte, suchte sie ihren Arzt auf, der sofort ein allgemeines Blutbild veranlasste. Es umfasste die typischen Werte und war nicht besonders umfangreich. Nach einem kurzen Blick darauf erklärte ihr Arzt, ihre Schilddrüsenwerte und auch alle anderen Ergebnisse seien in Ordnung, sie solle einfach versuchen, sich mehr auszuruhen. Diese Diagnose war sehr frustrierend, schließlich wusste sie ganz genau, dass irgendetwas nicht in Ordnung war.

      Ich konnte sie davon überzeugen, ein breiteres und funktionelles Blutbild machen zu lassen. Einer Intuition folgend veranlasste ich auch eine Untersuchung auf TPO-Antikörper. Die Ergebnisse zeigten, dass ihre Schilddrüsenwerte zwar noch innerhalb des Normbereichs lagen, doch von einer gut funktionierenden Schilddrüse konnte keine Rede sein, schließlich lagen alle Werte im unteren Grenzbereich. Zusätzlich ließen sich TPO-Antikörper nachweisen. Mit anderen Worten, sie hatte eine Hashimoto Thyreoiditis. Auch der Marker für die Aufnahme von T3 war extrem niedrig, was mich zu der Frage veranlasste, ob sie die Pille einnahm. „Ja, natürlich“, sagte sie, „mein Arzt hat sie mir wegen meiner PMS-Beschwerden verschrieben." Wir unterhielten uns darüber, wie der Östrogen-Überschuss die Schilddrüsenfunktion unterdrücken und sogar zur Ausprägung ihrer Autoimmunerkrankung beitragen kann. So interessant diese Ergebnisse auch waren, erstaunlich war etwas ganz anderes:

      Trotz offensichtlicher Symptome hatte ihr Arzt nicht erkannt, dass sie eine schwere chronische Virusinfektion hatte. Die Werte für Albumin, ein Entzündungsmarker im Körper, lagen in einem bedrohlich niedrigen Bereich.

      Im Hinblick auf eine Ernährungstherapie hatte ihre Schilddrüse tatsächlich die geringste Priorität. Zuerst mussten die Virusinfektion und das Immunsystem durch eine Ernährungsumstellung behandelt werden. Außerdem setzte sie die Pille ab und ernährte sich fortan glutenfrei. Obwohl eine Hashimoto Thyreoiditis nicht von alleine ausheilt, sind bei meiner Klientin keine TPO-Antikörper mehr nachweisbar und ihre Schilddrüsenwerte haben sich gebessert. Es gibt auch keinerlei Anzeichen mehr für eine Virusinfektion.

      Ich freue mich sagen zu können, dass es ihr dank der Kurse, die ich bei Kharrazian besucht habe, viel besser geht, und sie ihren Aufgaben wesentlich besser nachkommen kann.

      Nora Gedgaudes (CNS, CNT), Northwest Neurofeedback Inc., Portland, Oregon

      Umweltgifte

      Eine chronische Belastung des Immunsystems kann auch durch giftige Chemikalien und Metalle in unserer Umwelt verursacht werden. Wir alle leiden in gewissem Umfang unter giftigen Schwermetallen und Umweltverschmutzung, doch bei manchen Menschen greift das Immunsystem diese Gifte an. Die Belastung durch Umwelttoxine kann eine Rolle bei der Entstehung einer Autoimmunerkrankung der Schilddrüse spielen.80, 81, 82, 83

      Alarmstufe Rot für andere Autoimmunkrankheiten

      Hat ein Patient eine Autoimmunreaktion auf ein Gewebe entwickelt, ist es nicht ungewöhnlich, dass solche Angriffe auch auf andere Gewebe stattfinden.84, 85 Ich stelle in meiner Praxis ein solches Übergreifen häufig fest, und daher ist eine Immunmodulation bei Menschen mit einer Hashimoto Thyreoiditis so wichtig.

      Wie bereits erwähnt, kommt es bei Hashimoto-Patienten oft nach einer gewissen Zeit zu einer perniziösen Anämie, bei der das Immunsystem den Intrinsic-Faktor des Magens angreift, sodass Vitamin B12 nicht mehr aufgenommen werden kann. Das nächste Angriffsziel können die Inselzellen der Bauchspeicheldrüse (Pankreas) sein, und die betroffene Person erkrankt an Typ-1-Diabetes. Schreitet die Schädigung des Immunsystems ungehemmt fort, verschlechtert sich trotz veränderter Ernährungsgewohnheiten auch der Diabetes. Beispielsweise wird in solchen Fällen oft ein Typ-2-Diabetes diagnostiziert, da das Pankreas noch immer eine geringe Menge Insulin produzieren kann, obwohl die Krankheit gegenüber der Ernährungsumstellung resistent zu sein scheint. Werden die Angriffe des Immunsystems nicht entdeckt, kann die Krankheit schließlich in einen insulinabhängigen Diabetes vom Typ 1 übergehen. Bei meinen Hashimoto-Patienten überprüfe ich zum Beispiel auch immer, ob sie hohe Antikörpertiter gegen die Langerhansschen Inselzellen aufweisen. In stark fortgeschrittenen Fällen leidet unter der Hashimoto Thyreoiditis zuletzt sogar das Kleinhirn.86 Hier manifestiert sich