Löcher haben und der Wind durch die Ritzen pfeift. Dasselbe kann in ihrem Körper passieren, wenn sich in seinen Schutzbarrieren Löcher bilden. Ein Schnitt in die Haut ist ein anschauliches Beispiel. Weniger anschaulich sind die Lecks, die sich aufgrund von Stress und einer ungesunden Ernährungs- und Lebensweise in der Darmschleimhaut, der Lunge und im Gehirn bilden. Sind diese Barrieren undicht, dringen zwar nicht Wind und Regen ein, dafür aber „Antigene“ – das sind unverdaute Partikel von Nahrungsmitteln sowie Bakterien, Parasiten, Schimmelpilze oder Haptene und Umweltgifte.91 Diese Invasion löst eine erstaunlich gut abgestimmte Immunreaktion aus. Zuerst erscheinen die Makrophagen auf der Bildfläche, die „großen Fresser“, wie das griechische Wort übersetzt heißt. Diese Zellen sind im Körpergewebe „stationiert“ und halten immer Ausschau nach Eindringlingen; sie sind bereit anzugreifen und Alarm zu schlagen, sobald sie einen entdecken. Ich vergleiche Makrophagen gerne mit bulligen Wachmännern, die zwar Schlagstöcke haben, aber keine Schusswaffen tragen. Obwohl sie die Ersten auf der Bildfläche sind, benötigen sie Unterstützung bei der Überwältigung des Antigens.
Der Makrophage umschließt den Eindringling und bildet eine Antigen-präsentierende Zelle (APC), die sich wie eine Alarmanlage verhält und die anderen „Mitglieder“ des Immunsystems zur Unterstützung herbeiruft. Zuerst reagieren die T-Helferzellen auf den Alarm, das sind „Einsatzkoordinatoren“, die den Angriff organisieren. T-Helferzellen senden Botenstoffe aus, die dafür sorgen, dass die „Elitetruppen“ – die natürlichen Killerzellen und die zytotoxischen T-Zellen – den Angreifer umzingeln und vernichten. Im „Hauptquartier“ im Hintergrund überwachen die „Polizeihauptmeister“ – die T-Regulatorzellen – den Schauplatz, um sicherzustellen, dass genügend T-Helferzellen und T-Suppressorzellen vor Ort ihre Arbeit verrichten, um die Immunreaktion zu stoppen, sobald der Eindringling „entwaffnet“ ist.
Das Immunsystem will kein Risiko eingehen, indem es davon ausgeht, dass der Eindringling zu einer „Bande organisierter Verbrecher“ gehört und ein erneuter Angriff möglich ist. Die T-Helferzellen holen nun die „Detektive“ – die B-Zell-Antikörper –, die sich an den Eindringling anheften und sein Profil in einer „Datenbank“ speichern. Dadurch wird es für die natürlichen Killerzellen und die zytotoxischen T-Zellen leichter, einen Eindringling zu erkennen und zu zerstören. Obwohl die natürlichen Killer- und die zytotoxischen T-Zellen praktisch ein Sondereinsatzkommando sind, „sehen“ sie schlecht und müssen sich darauf verlassen, dass die B-Zellen die Eindringlinge entdecken.
Der „Autoimmun-Krimi“
Wie bei einem Film, in dem die Mafia, böse Polizisten und hinterhältige Menschen mitspielen, können auch an einem typischen Tatort Dinge schiefgehen, wenn ein Mitspieler seine Aufgabe nicht richtig wahrnimmt. Genau dasselbe geschieht auch im Falle einer Autoimmunerkrankung, wenn einige Zellen des Immunsystems den Körper zu zerstören beginnen, den sie eigentlich schützen sollen. Es folgen einige mögliche Szenarien:
• Manche Menschen bilden nicht genügend T-Suppressorzellen, daher nehmen die Angriffe des Immunsystems immer weiter zu. Man kann beobachten, wie unschuldige „Zuschauer“, zum Beispiel das Schilddrüsengewebe, wahrscheinlich irrtümlich für den Feind gehalten werden.
• Manche Menschen bilden zu viel Interleukin 2 (IL-2). Dieser chemische Botenstoff ruft die natürlichen Killerzellen und die zytotoxischen T-Zellen auf den Plan, um den Eindringling zu zerstören.92 In einem solchen Fall kommt es zu einem Überangebot dieser Zellen, wodurch die unschuldigen „Zuschauer“ – hier das gesunde Schilddrüsengewebe – in Gefahr geraten.
• Manche Menschen bilden zu viel Interleukin 4 (IL-4). Dieser Botenstoff aktiviert die B-Zellen.93, 94 Ein Überangebot an B-Zellen, die nach Eindringlingen Ausschau halten, können versehentlich unschuldige „Zuschauer“ markieren.
Die Abbildung zeigt die Funktion der TH-1- und TH-2-Bahnen des Immunsystems in Aktion und die Stellen, an denen bei einer Autoimmunerkrankung etwas schiefgehen kann. Die TH-1-Bahn stellt die Sofortantwort des Immunsystems dar, die TH-2-Bahn die verzögerte Reaktion.
• Bei Menschen, die sich kohlenhydratreich ernähren, ist der Blutzuckerspiegel labil; es kommt zu Insulinanflutungen, die eine Überproduktion von B-Zellen stimulieren.95
• Eine Parasiteninfektion und multiple Nahrungsmittelunverträglichkeiten führen zu einer Erhöhung von IL-4, wodurch es ebenfalls zu einer Überproduktion von B-Zellen kommt.96
• Eine chronische Virusinfektion führt zur Erhöhung von IL-2 und verursacht eine Überproduktion von natürlichen Killerzellen und zytotoxischen T-Zellen.97
Hashimoto ist zwar die am häufigsten vorkommende Autoimmunerkrankung, jedoch kann sich gegen jede Struktur im Körper eine Autoimmunreaktion entwickeln, auch gegen Organe, Gelenke, Hormone, das Gehirn, Nerven, Muskeln usw. Die richtige Behandlung setzt nicht beim angegriffenen Gewebe an, sondern hängt vom Verhalten des Immunsystems ab.98 Autoimmunerkrankungen nehmen in den Industrieländern rasant zu, was dazu führt, dass die Forscher um Erklärungen und Therapien ringen. (Ein Beispiel ist der therapeutische Einsatz von Peitschenwürmern bei Morbus Crohn!)99 Nach Auffassung der American Autoimmune Related Disease Association (zu Deutsch etwa: „Amerikanische Gesellschaft für Autoimmunerkrankungen“) leiden etwa 50 Millionen Amerikaner, das heißt 20 Prozent der Bevölkerung, an einer Autoimmunerkrankung.100 Frauen sind mit größerer Wahrscheinlichkeit davon betroffen als Männer. Nach Schätzungen einiger Experten sind es 75 Prozent.101
Man kann nicht immer ganz genau sagen, was die Gene eines Menschen zur Ausprägung einer Autoimmunerkrankung veranlasst. Es gibt jedoch zahlreiche Risikofaktoren (vgl. Kapitel 2). Ich habe den Verdacht, dass die Schwächung immunologischer Barrieren, wie die Darmschleimhaut, die Atemwege und die Blut-Hirn-Schranke eine große Rolle spielen.102 Sind diese Schranken gesund und stark, können Eindringlinge sie nicht überwinden. Daher wird das Immunsystem nur bei gelegentlichen Notfällen und „Renovierungsarbeiten“, wie der Beseitigung toter und absterbender Zellen, aktiviert. Wird die Gesundheit jedoch infolge ungesunder Ernährung, eines instabilen Blutzuckers, von Darminfektionen, von chronischem Stress und Funktionsstörungen der Nebennieren geschwächt, werden auch die Barrieren in Mitleidenschaft gezogen und porös. Dadurch kommt es zur Barrierestörung der Darmschleimhaut – dem Leaky-Gut-Syndrom –, von der durchlässigen Lunge und dem durchlässigen Gehirn ganz zu schweigen.103 Mit der Zeit ist das Immunsystem rund um die Uhr damit beschäftigt, Eindringlinge zu bekämpfen, die die Barrieren aus allen Richtungen überwinden. Diese schleichenden Übeltäter befinden sich in der Nahrung oder der Atemluft, und da das Immunsystem bereits überlastet ist, kann es keine Unterstützung und nur wenig Erleichterung bieten. Wird eine Mannschaft zu lange getriezt, besteht die Gefahr der Meuterei, sie greift an, was sie eigentlich schützen sollte – in unserem Fall den menschlichen Körper.
Autismus beginnt bei der Mutter
Bevor ich eine Patientin mit unerfülltem Kinderwunsch behandle, stelle ich sicher, dass Ihr Immunsystem intakt und die Frau gesund ist. Nach meinen Erfahrungen liegt bei Autismus oft eine Autoimmunstörung zugrunde, bei der das Immunsystem das Gehirn oder Nervengewebe des autistischen Kindes angreift. Kinder, deren Immunsystem von Geburt an eine Zeitbombe ist, sind anfällig für alles, was den eigenen Körper angreifen kann, sei es ein Impfstoff, Nahrungsmittel, Blutzuckerschwankungen oder giftige Schwermetalle. Wird eine Frau schwanger, die unter einem Leaky-Gut-Syndrom, einem gestörten Blutzuckerspiegel, multiplen Nahrungsmittelunverträglichkeiten und einer Nebennierenschwäche leidet, so setzt sie meiner Meinung nach ihr ungeborenes Kind dem Risiko einer der heute zunehmend häufiger auftretenden modernen Gesundheitsstörungen aus, zu denen Erkrankungen aus dem autistischen Formenkreis, Ekzeme, Asthma, Nahrungsmittelallergien und Nahrungsmittelunverträglichkeiten gehören.104, 105, 106, 107, 108, 109
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