Kamil Dlugosz

Der Altersfaktor beim fortgeschrittenen Zweitspracherwerb


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stabilisiert gelten kann und nach Ablauf dieser Periode der Erwerbszeitraum nicht mehr mit dem erreichten Endzustand korreliert (vgl. z. B. Granena, 2016: 17). Nach Wode (1993: 327) ist die Stabilisierungsphase bei erwachsenen L2-Lernern sogar noch früher abgeschlossen, und zwar schon nach Ablauf von zwei bis zweieinhalb Jahren. Längerfristig sind dem Autor zufolge ein frühes Kontaktalter sowie Art und Umfang des Kontakts für den Lernerfolg entscheidend.4 Wenn man zusätzlich bedenkt, dass simultan bilinguale Kinder prinzipiell weniger Sprachangebot im Vergleich zu monolingualen Kindern erhalten, aber dennoch an das muttersprachliche Niveau heranreichen, scheint die Kontaktdauer nicht der entscheidende Einflussfaktor auf den Zweitspracherwerb im syntaktischen Bereich zu sein.5

      Da aber einzelne Lerner trotz der gleichen Kontaktdauer die Zweitsprache unter verschiedenen Bedingungen erwerben können, ist notwendigerweise mit Variationen in verschiedenen Parametern des sprachlichen Inputs zu rechnen:

      „Children exposed to the L2 in a setting outside the home receive less input than L1 children exposed to a single language in both the home and social settings. This difference is both quantitative and qualitative in terms of the contexts that each language may be used in and is influenced by factors, such as the educational system, the status and the power relations between the two languages, and the institutional support that the minority language receives.“ (Chondrogianni & Marinis, 2011: 320)

      Daher wird in der Zweitspracherwerbsforschung auch der sprachliche Input, dem ein Kind innerhalb des Erwerbsraums ausgesetzt ist, als ein sehr wichtiger Faktor analysiert. Dabei scheinen sowohl seine Quantität als auch Qualität eine bedeutsame Rolle zu spielen.6 Veränderungen in der Inputsituation sind insbesondere in Migrantenfamilien zu beobachten, in denen beide Elternteile die gleiche Sprache verwenden.7 Das Kind ist dann in seinen ersten Lebensjahren fast ausschließlich dieser Sprache ausgesetzt. Ein Kontakt mit der Zweitsprache fällt normalerweise erst mit Eintritt in den Kindergarten oder in die Grundschule zusammen. Folglich ändert sich die Inputsituation des Kindes drastisch, weil die Erstsprache in den Hintergrund rückt und die Zweitsprache stark hervortritt (vgl. Rothman, 2009). Unterschiedlich können auch Inputquellen sein, denen bilinguale Kinder ausgesetzt sind. Manchmal passiert es, dass nur ein Elternteil die Minoritätssprache zu Hause spricht, wodurch die Inputmenge deutlich reduziert wird. Auch Geschwister haben einen großen Einfluss darauf, wie viel Sprachangebot in beiden Sprachen bilingualen Kindern zuteilwird. Anzumerken ist dabei, dass sich die Berechnungen der Inputmenge in den meisten Studien lediglich auf eine retrospektive Einschätzung der Inputsituation stützen, d. h. die Eltern werden gebeten, einzuschätzen, wie viel Zeit das Kind mit seiner Familie verbringt oder wie viele Stunden Kontakt mit den Medien in beiden Sprachen das Kind hat. Die zweifelhafte Validität der Elternfragebögen wird von Carroll (2017) wie folgt auf den Punkt gebracht:

      „(…) it may seem like a perfectly reasonable methodological decision to rely on questionnaires in which parents are asked to estimate how much time they spend with their children and what languages they are using when they do so. However, temporal units are crude measures of exposure and they tell us nothing about input [KD].“ (Carroll, 2017: 6)

      Wenn auch diese Ansicht legitim zu sein scheint, darf nicht vergessen werden, dass die retrospektiven Selbstangaben der Eltern normalerweise die einzige Möglichkeit sind, Informationen über den Input zu gewinnen. Zudem argumentieren einige Forscher, dass die von den Eltern angegebene Einschätzung der Inputmenge den Verlauf der bilingualen Entwicklung in vielen Bereichen tatsächlich voraussehen kann (vgl. J. Paradis, 2017).

      Auch die Qualität des sprachlichen Angebots kann sich auf den kindlichen Zweitspracherwerb auswirken. Nach Rothweiler (2007: 123) ist ein konstanter und eindeutiger Input relevant, in dem die verschiedenen Sprachen durch eine Zuordnung zu bestimmten Personen und Situationen getrennt werden. Ebenso förderlich ist es, wenn der Input in beiden Sprachen umfangreich ist und in erster Linie von Muttersprachlern kommt. Genauere Untersuchungen, die der genauen Struktur des Inputs und ihrem Einfluss auf den kindlichen Zweitspracherwerb der deutschen Wortstellung gewidmet wären, sind meines Wissens noch zu erwarten.

      In Studien zum kindlichen Zweitspracherwerb der grundlegenden Wortstellungsmuster im Deutschen wird der Input zwar als wichtiger Faktor analysiert, er wird jedoch ausschließlich in Monaten ab dem Eintritt des Kindes in eine deutschsprachige Kinderbetreuungseinrichtung gemessen (vgl. Czinglar et al., 2017: 16). Der Erwerb der deutschen Wortstellung scheint weniger von verschiedenen Eigenschaften des Inputs abzuhängen, weil er in einer geordneten Entwicklungssequenz verläuft, die sich durch den Input kaum modulieren lässt. Da diese Entwicklungssequenz beim Zweitspracherwerb anders verläuft als beim Erstspracherwerb (vgl. z. B. Diehl et al., 2000: 63f.), ist davon auszugehen, dass nicht der Input, sondern vielmehr das Alter bei Erwerbsbeginn für den Wortstellungserwerb konstitutiv ist. Eine weitere Bestätigung dafür bietet der Erwerb des Deutschen als Herkunftssprache. In einer Studie zur Verb- und Negationsstellung zeigt Długosz (2019), dass der Erwerb dieser zwei Phänomene sogar in einer sehr ungünstigen Inputsituation problemlos verläuft. Obwohl die allgemeine Kompetenz der untersuchten Kinder in der Herkunftssprache von einer Attrition betroffen zu sein scheint, erweisen sich die grundlegenden Wortstellungsmuster weitestgehend als robust und veränderungsresistent. In diesem Zusammenhang ist erneut auf den generativen Ansatz innerhalb der Zweitspracherwerbsforschung hinzuweisen, in dessen Rahmen postuliert wird, dass die L2-Grammatiken Eigenschaften aufweisen, die nicht dem Input entstammen können, sondern nur innerhalb der Universalgrammatik erklärbar sind (vgl. Sopata, 2009: 89). Von diesem Standpunkt aus gesehen darf dem Input keine alleinige oder entscheidende Erklärungskraft zugesprochen werden, zumindest nicht beim frühen Zweitspracherwerb.8

      Die weiteren, eingangs erwähnten, externen Faktoren, wurden im Kontext des Erwerbs der deutschen Wortstellung kaum untersucht. Erste Versuche, den Einfluss des sozioökonomischen Status auf den Zweitspracherwerb des Deutschen zu ermitteln, wurden zwar bereits unternommen, jedoch nicht in Bezug auf die Syntax (vgl. z. B. Czinglar et al., 2015). Einen durchaus wichtigen Faktor, der entweder als intern zu klassifizieren oder als unabhängig von der Intern/Extern-Unterscheidung zu betrachten ist, stellt das bereits vorhandene L1-Wissen dar, das sowohl den Erwerb als auch die Verarbeitung der Zweitsprache bei Kindern beeinflussen kann. Auf die Frage des Einflusses der Erstsprache und seiner möglichen Manifestationen wird im darauffolgenden Subkapitel eingegangen.

      Zusammenfassend ist festzustellen, dass neben dem Alter bei Erwerbsbeginn auch die Dauer, Menge und Quantität des sprachlichen Inputs beim frühen Zweitspracherwerb eine bedeutsame Rolle spielen. Nichtsdestotrotz scheint der Erwerb der grundlegenden Wortstellungsmuster in der Zweitsprache Deutsch in erster Linie vom Alter bei Erwerbsbeginn abhängig zu sein. Die Möglichkeit des positiven Einflusses der Inputmenge und der Kontaktdauer mit der Zweitsprache, der in einigen Studien zum Erwerb des syntaktischen Wissens in anderen Sprachen bestätigt wurde, muss im Kontext des Deutschen als früher Zweitsprache erst untersucht werden.

      2.4 Spracheneinfluss beim kindlichen Zweitspracherwerb

      Die Untersuchung des Einflusses der Erstsprache auf den Erwerb von Zweitsprachen in verschiedenen sprachlichen Bereichen wird innerhalb der Zweitspracherwerbsforschung als zentrale Aufgabe angesehen (vgl. Odlin, 2003). Zahlreiche Untersuchungen haben verschiedenerlei Interaktionen zwischen zwei sprachlichen Systemen sowohl bei Erwachsenen (vgl. z. B. Arabski, 2006; Muysken, 2013) als auch bei Kindern (vgl. Döpke, 1998; Argyri & Sorace, 2007; Kupisch, 2007) ans Licht gebracht. Alle Arten gegenseitiger Beeinflussung zwischen Sprachen bei einem Individuum werden in der englischsprachigen Literatur durchgängig unter dem Sammelbegriff cross-linguistic influence zusammengefasst. Dem entspricht das deutsche Äquivalent Spracheneinfluss, das von Müller et al. (2011) im Kontext der kindlichen Zweisprachigkeit vorgeschlagen wurde.1 Im Verlauf des bilingualen Spracherwerbs (2L1 und L2) kann man im Grunde folgenden drei Manifestationen von Spracheneinfluss begegnen (vgl. Paradis & Genesee, 1996: 3f.; Müller et al., 2011: 12, 121f.):

      1 Transfer (transfer): Transfer besteht in der Eingliederung einer grammatischen Eigenschaft aus der einen Sprache in die andere Sprache. Kurzum: Es handelt sich hier um eine Übertragung von Eigenschaften.

      2 Beschleunigung (acceleration): Beschleunigung bedeutet, dass eine Eigenschaft in der Grammatik der betreffenden Sprache früher vorkommt als beim monolingualen Erwerb.

      3 Verlangsamung