sie für ihre Frechheit verdient.“
Manoleto war der Wirt. Übersetzt bedeutete der Name soviel wie „Dreckfinger“, nicht etwa „Manuelito“ oder „Manuel“, wie man beim ersten Hinhören vermuten mochte. Manoleto hatte nie saubere Hände, und das hatte ihm den Beinamen eingebracht. Kurzum, er war einer der schmierigsten und schlitzohrigsten Kerle, die es in Punta Gorda und auf ganz Hispaniola gab.
Er warf Crapper einen huschenden Blick zu und zog sich dann schleunigst zurück. Er bangte mehr um seine Flaschen und Fässer als um die allgemeine Ordnung, die in diesem Hafen ohnehin nur symbolisch existierte.
Crapper griff nach dem Arm der Queen und wollte sie zu sich heranreißen. Er überragte sie um eine halbe Kopfeshöhe, und seine Muskelpakete hatten gewaltige Ausmaße. Caligula und die drei Piraten der „Caribian Queen“ trafen Anstalten, sich jetzt doch auf diesen Kerl zu stürzen, aber wieder war es die Queen, die die Initiative ergriff.
Sie ließ sich am Arm zu Crapper heranreißen, aber dann bückte sie sich gedankenschnell und warf ihn über ihre Schultern hinweg zu Boden. Es dröhnte, und Crappers Sturz war so hart, daß er ein entsetztes Keuchen ausstieß. Manoleto duckte sich hinter die Theke. T-Bone, Larsky, Norimbergo und die anderen Bewohner von Punta Gorda griffen zu den Waffen.
Doch die Queen hatte plötzlich wie durch Zauberei den Säbel in der linken und die Pistole in der rechten Faust.
„Schluß der Vorstellung“, sagte sie. „Ich bin nicht hier, um mit euch zu kämpfen, aber wenn ich angegriffen werde, wehre ich mich.“ Sie wartete, bis Crapper wieder auf den Beinen war, dann wandte sie sich erneut an ihn. „Ich bin bereit, mich mit dir zu duellieren. Vielleicht wird es Zeit, daß jemand in diesem Elendsnest ein Exempel statuiert. Daß ihr in totaler Freiheit lebt, ist noch lange kein Grund dafür, Fremde zu belästigen und anzufallen, die mit friedlichen Absichten erschienen sind.“ Ihre Stimme nahm noch einen etwas schärferen, schneidenderen Klang an. „Männer von Punta Gorda – ihr habt euch in mir getäuscht!“
3.
In seiner überschäumenden Wut hätte sich Lee Crapper am liebsten auf die Black Queen gestürzt, aber etwas hielt ihn zurück. Was war es? Die erstaunliche Kraft dieser Frau? Ihre Intelligenz, ihre Entschlossenheit? Sie schien hart, grausam und unduldsam zu sein, und ihre handfesten Argumente wirkten überzeugend. Für einen Moment sah er sie noch haßerfüllt an, dann aber senkte er den Blick. Ihr Mut hatte über seine Wildheit gesiegt.
„Ich verzichte auf ein Duell“, sagte er. „Ich schlage mich nicht mit Frauen.“
„Gut, Crapper.“ Sie steckte die Waffen weg und hielt ihm die rechte Hand hin. „Dann nichts für ungut. Du mußt dich aber auch davon überzeugen, daß nicht jede Frau eine billige Hure ist.“
Erst zögerte er, dann ergriff er die ihm angebotene Hand und drückte sie fest. Er hob den Kopf und grinste. „Einverstanden.“ Er drehte sich zu den anderen um. „He, Larsky, T-Bone, Norimbergo – was ist? Wollt ihr nicht auch mit der Black Queen Frieden schließen?“
Ja, sie wollten. Sie gaben ihre feindselige Haltung auf und folgten Crappers Beispiel. Es war kein Schwächebeweis, es war nur richtig, diese ungewöhnliche Frau gebührend zu empfangen und zu feiern. Teils leutselig, teils verlegen grinsend, traten die Kerle vor die Queen hin und schüttelten ihr artig die Hand, einer nach dem anderen. Die Queen stellte ihnen Caligula und die drei anderen von der „Caribian Queen“ vor, und dann tat sie das, was in dieser Lage genau richtig war: Sie bestellte eine Runde für alle.
Manoleto atmete auf. Er zapfte ein neues Faß an und füllte vor lauter Erleichterung die Humpen, Mucks und Pints bis zum Rand, was sonst ganz gegen seine Gewohnheiten war.
Die Black Queen und die Männer ließen sich an den Tischen von „El Escarabajo“ nieder, stießen miteinander an und begannen eine angeregte Unterhaltung.
„Natürlich können wir euch mit Proviant versorgen!“ rief Larsky jetzt. „Es hängt nur davon ab, ob wir uns über den Preis einigen!“
„Bestimmt“, sagte die Queen. „Ich bezahle mit Silbermünzen.“ Von den Goldstücken, die sie an Bord der „Caribian Queen“ verwahrte, erwähnte sie lieber nichts, auch nichts von dem Diamantschmuck und den ungeschliffenen, rohen Juwelen, die zu ihrem Privatschmuck gehörten. So ganz traute sie den Kerlen immer noch nicht.
Es konnte gut möglich sein, daß Larsky und seine Kumpane bei Nacht einen Überfall auf die „Caribian Queen“ unternahmen, wenn sie dort Beute witterten. In ihrem derzeitigen Zustand und mit der angeschlagenen Crew an Bord war die Galeone ziemlich leicht zu entern. Nein, die Kerle von Punta Gorda durften gar nicht erst auf den Gedanken verfallen, etwas Derartiges zu versuchen.
„Und wieviel Munition brauchst du?“ fragte Lee Crapper.
„Soviel wie möglich, ich habe mit jemandem eine Rechnung zu begleichen.“
„Wir werden sehen, was sich auftreiben läßt“, sagte Norimbergo, ein dunkelhaariger, aalglatter Bursche. „Unsere Lager wollen wir zwar nicht plündern, aber wir können dir gewiß mit Pulver und einigen Siebzehnpfünderkugeln dienen.“
„Das geringste Problem dürfte wohl die Wasserbeschaffung sein“, sagte Caligula mit galliger Miene. Er war nicht ganz einverstanden, daß die Queen mit den Kerlen dicke Freundschaft schloß. Ein bißchen Eifersucht war auch mit dabei, aber die wollte er sich lieber nicht anmerken lassen, um sich nicht lächerlich zu machen.
„Wasser gibt es gratis!“ rief T-Bone aus und zeigte lachend seine riesigen Zähne. „Wasser ist in Punta Gorda wenig gefragt! He, Manoleto, wo bleibt der Nachschub? Wein her, die Becher sind leer!“
Manoleto füllte die Becher, Mucks und Humpen. Caligula blickte mißtrauisch in seinen Humpen, er rechnete damit, Kakerlaken im Wein schwimmen zu sehen. Erstaunlicherweise war dies nicht der Fall. Dennoch blieb Manoleto in Caligulas Augen die schmierigste Ratte, der er je begegnet war. Die Stühle und Bänke, die Tische, der Tresen und der Fußboden der Kneipe „El Escarabajo“ klebten vor Schmutz, sie bereitete ihrem Namen die erforderliche Ehre.
Geschickt lenkte die Black Queen das Gespräch in die richtigen Bahnen. Sie berichtete von dem Kampf gegen den Seewolf und ließ zündende Haßtiraden auf diesen Philip Hasard Killigrew, auf Ribault, die Rote Korsarin, den Wikinger und all die anderen Korsaren von der Schlangen-Insel los.
„Dieses Lumpenpack, das vor nichts zurückschreckt, ist eine Bedrohung für alle ehrlichen Piraten der Karibik!“ rief sie aus und hieb mit der Faust auf den Tisch. „Sollten sie jemals in Punta Gorda auftauchen, eröffnet sofort das Feuer auf sie!“
„Zur Hölle mit diesen Hunden!“ brüllte Lee Crapper dazwischen. Er hatte bereits eine Gallone Wein getrunken. „Verrecken sollen sie! Wir versenken ihre Kähne, wenn sie sich hierher verirren!“ Er glaubte, die Brüste der Queen vor seinen Augen tanzen zu sehen, und ihm wurde etwas schwindlig. Vielleicht lag das aber auch noch an seinem Sturz auf die Bohlen der Spelunke.
Aber auch die anderen beteiligten sich an den Flüchen und den Verwünschungen, die gegen den Seewolf und dessen Männer ausgestoßen wurden. Natürlich hatten sie alle schon von jenem legendären Killigrew gehört, der den Spaniern und Portugiesen hier wie in der Alten Welt das Leben erschwerte.
Sie wußten auch, daß der Seewolf ein fairer Kämpfer war, der jeden Schnapphahn und Galgenstrick verachtete. Sein Zorn richtete sich gegen alle jene, die grundlos wehrlose Seeleute und Eingeborene überfielen, wie es auch die Kerle von Punta Gorda zu tun pflegten.
Von „ehrlichen Piraten“ zu sprechen, wie es die Queen tat, war da schon ein Hohn. Aber die Kerle gingen ihr auf den Leim und erklärten sich mit ihr solidarisch. Ihre Blicke schienen an ihren Lippen zu hängen. Sie war eine gute Rednerin und verstand es, Kerle wie diese für ihre Sache zu gewinnen.
Eben das wollte sie – für ihre Ziele werben und sich den Rücken stärken. Ein oder zwei Niederlagen bedeuteten nichts. Sie folgte unbeirrt ihrem Weg, der sie zur Herrscherin der gesamten Karibik erhob.