auch Männer, die wie Sarraux, Nazario, Amintore oder Doger auf Hispaniola seßhaft werden wollten. Siedler – manche nannten sie auch die Bukanier. Sie besorgten sich das, was sie zum Leben brauchten, durch Jagd, Ackerbau, Fischfang und Küstenpiraterie.
Rosa, die Dicke, tat nichts von alledem. Sie ließ sich von Amintore und Annamaria umsorgen und verhätscheln. Eben leckte sie sich die Finger ab, die sie in den Feigenmarmeladentopf gesteckt hatte, schmatzte genüßlich und sagte: „Es gibt also Verdruß? Sollen die Kerle sich die Köpfe abhacken lassen, soll ganz Punta Gorda verrecken. Ich rühre mich von hier nicht weg.“
„Das habe ich mir fast gedacht“, sagte Amintore höhnisch.
Joao Nazario war unterdessen zur vereinbarten Zeit von einem anderen Freibeuter abgelöst worden, der seinen Platz in der Astgabel der Zypresse einnahm. Der Posten sah eben noch, wie der Zweidecker in einer Nebenbucht vor Anker ging, dann verlor er ihn aus den Augen.
„Keine Sorge“, zischte Nazario ihm zu, während er nach unten kletterte. „Gilbert und ich behalten den Kahn im Auge und bespitzeln die Mannschaft. Sollten die Hunde an Land gehen, geben wir ein Zeichen.“
Er landete mit einem Satz auf dem Boden und eilte mit Sarraux davon. Daß der düstere Zweidecker in einer westlichen Nebenbucht vor Anker ging und Punta Gorda nicht direkt anlief, konnte ein gutes Zeichen sein: Der Kapitän wollte keine Konfrontation mit den Bewohnern des Hafens. Er fühlte sich nicht stark genug für einen Kampf. Vielleicht wollte er nur die Gefechtsschäden ausbessern lassen.
Nazario und der Bretone eilten durch das Dickicht zu der Bucht, die sie selbst bestens kannten. Sie schlichen sich an, ohne von der Mannschaft des fremden Schiffes entdeckt zu werden. Im Unterholz kauerten sie sich hin, teilten die Zweige und Blätter vorsichtig mit den Händen und hatten den Blick frei auf das unheimlich wirkende Schiff, das einem unheilverkündenden Schicksalsboten gleich in die Bucht gesegelt war.
Nazario zog den Kieker wieder auseinander und spähte hindurch.
„Der Teufel soll mich holen“, raunte er seinem Kumpan zu. „Die ganze Crew besteht aus Dunkelhäutigen – und auf dem Achterdeck steht eine Negerin mit nackter Brust. Wie die sich benimmt, scheint sie der Kapitän zu sein.“
„Das gibt’s nicht“, flüsterte der Bretone, dann verlangte er das Spektiv. Er sah selbst hindurch und konnte das, was der Portugiese erspäht hatte, nur bestätigen.
Eine Galeone mit einer Crew von Schwarzen, Kreolen, Mulatten und Mestizen, aus deren Schar ein dunkler Riese mit krausem Vollbart herausragte – und eine Frau als Anführerin. Tatsächlich war sie nur mit einem Lendenschurz bekleidet und lenkte die Blicke der Beobachter wie in einem magischen Bann auf sich.
Wer war diese Frau? Was wollte sie? Und wer hatte ihr Schiff derart zugerichtet?
Caligula überwachte das Ankerwerfen und das Auftuchen der Segel, dann gab er den Befehl, das Beiboot der „Caribian Queen“ abzufieren. Er drehte sich auf dem Hauptdeck zu der Black Queen um und schaute zu ihr auf. Sie stand an der Querbalustrade des Achterdecks und hatte beide Hände aufgestützt.
„Wir haben Glück“, sagte Caligula, „und scheinen nicht bemerkt worden zu sein. Dabei ist Punta Gorda nur ein paar Meilen entfernt.“
„Ja, Glück haben wir wirklich“, sagte sie mit zynischer, verächtlicher Miene. „Besonders in der letzten Zeit. Aber paß auf, es könnten Beobachter im Busch stecken, die uns nicht aus den Augen lassen. Die Leute von Punta Gorda sind keine einfältigen Narren. Wir dürfen sie auf keinen Fall unterschätzen.“
„Natürlich nicht. Aber unsere Absichten sind friedlich.“
„Wir brauchen Proviant, Trinkwasser und Munition“, sagte sie. „Und wir werden dafür bezahlen.“ Sie sprach laut genug – für den Fall, daß sie jemand belauschte.
Nach der Niederlage im Gefecht gegen den Seewolf und dessen Verbündete hatte es auf der Hand gelegen, nach Hispaniola zu segeln. In erster Linie hatte die Queen die Absicht, so viel Abstand wie möglich zwischen sich und den Feind zu legen. Sie hatte mit einer Verfolgung gerechnet und sich darauf vorbereitet, Hispaniola ganz zu umrunden. Doch kein Fühlungshalter hatte sich ihr an die Fersen geheftet. Den Grund dafür konnte sie vorläufig nur erahnen – vielleicht ging es dem Seewolf zunächst darum, jetzt seine Position auf Tortuga zu festigen.
So bot es sich an, in Punta Gorda Station einzulegen, die „Caribian Queen“ instand zu setzen und die Vorräte in den Lagerräumen zu erneuern. Die Verwundeten konnten sorgfältig verarztet werden, und vielleicht gelang es der Queen und Caligula, im Hafen ein paar neue Männer für ihr Schiff anzuwerben. Die Galeone war zwar nicht unterbemannt, aber die Verluste machten sich doch bemerkbar.
Das Boot lag zum Ablegen bereit an der Bordwand. Die Black Queen suchte vier Männer als Begleiter aus und ließ sie abentern. Dann stieg auch sie in die Jolle, begleitet von Caligula. Einer der Kerle drückte mit dem Peekhaken gegen die Bordwand des Schiffes, und die Jolle dümpelte ein Stück davon. Dann griffen die Männer zu den Riemen und begannen zu pullen.
Schweigend verlief die kurze Überfahrt zum Ufer der Bucht, Stille herrschte auch an Bord der „Caribian Queen“. Über was sollte auch groß gesprochen werden? Geflucht hatten sie alle ausgiebig. Wenn sich alles bewahrheitete, würden die Seewölfe und ihre Verbündeten bald in den tiefsten Schlünden der Hölle schmoren. Die Schlacht von Tortuga bedurfte keines Kommentars – es gab an der Niederlage nichts zu beschönigen und nichts hinzuzufügen.
Das Boot schob sich auf den weißen Ufersand, die Frau und die fünf Männer stiegen aus. Die Kerle sicherten das Boot, und einer blieb als Wachtposten zurück. Mit Caligula und den drei anderen Piraten schritt die Black Queen auf das Dickicht zu und verschwand darin.
Kaum einer der Männer an Bord der „Caribian Queen“ schickte den fünfen auch nur einen Blick nach. Von der Bewunderung, die diese skrupellosen und gnadenlos harten Kerle für die Queen empfunden hatten, war kaum noch etwas übrig. Sie hatte ihre Machtposition auf Tortuga und in der ganzen Karibik stärken und die Vorherrschaft an sich reißen wollen, aber erreicht hatte sie das Gegenteil.
Deprimiert war sie, aber sie zeigte es vor den anderen nicht. Dennoch wußte zumindest Caligula genau, wie ihr zumute war. Die Niederlage, die sie vor Tortuga erlitten hatte, war schlimm – schlimmer als alles, was sie bisher erlebt hatte.
Ihre stolze Flotte, der Grundstock für einen künftigen Großverband möglicherweise, war zerschlagen. Die „Aguila“, die „Vascongadas“ und die „Buena Estrella“ existierten nicht mehr, ein Schiff war in die Luft geflogen, die beiden anderen hatte der Gegner versenkt. So war der Queen nur noch die „Caribian Queen“ geblieben, auf deren Decks jetzt die zerschundenen, verletzten Kerle hockten und ihre Blessuren leckten.
Das Allerschlimmste aber war, daß die Gefolgsleute, die die Queen schon sicher auf ihrer Seite gewähnt hatte, ins gegnerische Lager übergelaufen waren. Anders ausgedrückt: Die Siedler von El Triunfo hatten keine Lust, für die Queen ihren Kopf hinzuhalten und sich für ihre hochgesteckten Ziele verheizen zu lassen – wenn sie auch vorher von ihr begeistert gewesen waren. Der reine Selbsterhaltungstrieb überwog, und Willem Tomdijk, der holländische Bürgermeister von El Triunfo, hatte wieder nahezu alle seine Männer hinter sich. El Triunfo war niedergebrannt, doch auf Tortuga, so schien es, hatten die Siedler vorläufig einen Platz gefunden, an dem sie sicher waren.
Die Black Queen trachtete danach, all dies aus ihrem Gedächtnis zu verbannen. Aber sie konnte sich jetzt, als sie sich mit ihren Männern einen Weg durch das Dickicht des Dschungels bahnte, der unangenehmen Erinnerungen nicht erwehren. Zu frisch waren sie und zu groß die erlittene Schmach.
Die Black Queen fühlte sich klein und häßlich, und doch hegte sie bereits die Zuversicht, daß das Schlimmste vorbei war. Sie hatte den Tiefpunkt erreicht, aber es würde wieder aufwärtsgehen.
In ihre Gedanken verstrickt, schritt sie voran und legte sich Pläne zurecht, wie sie ihre Mannschaft stärken und einen neuen Schlag gegen den Seewolf durchführen konnte. Sie bemerkte nicht die beiden Augenpaare, die sie aus dem Busch beobachteten, und auch Caligula und den anderen entging es, daß sie von Nazario