Roy Palmer

Seewölfe Paket 19


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und in Punta Gorda atmeten die Kerle, die ihre Verteidigungspositionen längst bezogen hatten, auf. Mit einiger Gelassenheit blickte man dem Erscheinen der Queen und ihrer kleinen Schar entgegen.

       2.

      In der „Schildkröte“, der tief in den Felsen gehauenen, weitverzweigten Kneipengrotte von Tortuga, herrschte Hochstimmung. Es wurde gefeiert, daß „die Höhlenwände wackelten und die Balken sich bogen“, wie Carberry sich ausdrückte.

      Das Singen, Lachen und Grölen, das Kichern und Kreischen der Mädchen drangen bis zur Hafenbucht, wo die „Isabella IX.“, die „Le Vengeur III.“, der Schwarze Segler, die „Wappen von Kolberg“ und die „Tortuga“ ankerten. Nie hatte es ein größeres und ausgelasseneres Fest auf der Insel gegeben, und Diego, der Wirt, überschlug sich fast vor Beflissenheit. Eilfertig rannte er zwischen den Tischen und Bänken auf und ab und servierte Wein und Rum.

      Philip Hasard Killigrew, Jean Ribault, Siri-Tong, Thorfin Njal, Arne von Manteuffel und Jerry Reeves hockten mit Willem Tomdijk, Carlos Rivero und den Mädchen Manon, Julie, Cécile und Esther in einer Nische zusammen – ziemlich gedrängt, denn sehr viel Platz gab es nicht. Tomdijk, der von Esther und Julie flankiert wurde, konnte das nur recht sein. Treuherzig legte er den beiden die fleischigen Hände auf die Schultern.

      „Es ist nur richtig, daß ihr brave Siedlerfrauen werden wollt!“ rief er. „Und vielleicht kann ich auch noch Helferinnen in der Brauerei gebrauchen, die ich bauen werde!“

      „Aber wir werden doch nach Hispaniola übersiedeln, nicht wahr?“ fragte Cécile.

      „Mit Sicherheit“, erwiderte Carlos Rivero. „Es wartet eine schöne Zeit auf uns, arbeitsreich, aber vielversprechend.“

      Manon warf ihm einen verheißungsvollen Blick zu. „Das glaube ich auch. Dann laßt uns auf die Zukunft anstoßen.“

      Sie hoben die Becher und Humpen und stießen über dem Zentrum des grob zusammengehauenen Tisches miteinander an. Hasard blickte immer wieder zu den Nachbarnischen und den anderen Tischen. Er konnte sich eines Lächelns nicht erwehren. Carberry war gerade dabei, zwei Mädchen Sir John vorzuführen. Matt Davies und Jeff Bowie zeigten stolz ihre Eisenhakenprothesen vor. Batuti ließ wie zufällig seine Oberarmmuskeln spielen. Keiner konnte es ihnen übelnehmen, daß sie wie aus dem Häuschen waren. Aber eine Enttäuschung mußte der Seewolf ihnen doch bereiten.

      „Der ist ja niedlich!“ stieß eins der Mädchen hervor.

      Sie hatte Sir John den Zeigefinger hingehalten und ihn rasch zurückgezogen, als er hineinzuhacken versuchte. Ärgerlich wetzte der Vogel seinen Schnabel an der Jacke, die sich über der mächtigen Profos-Schulter spannte.

      „Kann er auch sprechen?“ fragte ihre Nachbarin, eine entzückende Blondine mit prallen, strotzenden Brüsten, die aus ihrem. Ausschnitt hervorzuquellen drohten.

      „Affenärsche und Bilgenratten“, schnarrte Sir John. „Stinkstiefel, hart Backbord, verwanzte Prielwürmer.“

      „Voilà!“ stieß die Blondine aus. „Reizend! Aber ich verstehe nicht, was er sagt!“

      Carberry grinste. „Ich verstehe auch nicht, was du sagst“, erklärte er in einem grauenvollen Kauderwelsch aus Englisch, Spanisch und französischen Brocken. „Aber das schadet nichts. Wirklich nicht.“

      „Sieh mal“, sagte Matt Davies im selben Moment zu einer der „Ladys“. Demonstrativ hielt er seinen scharfgeschliffenen Eisenhaken hoch. „Damit rasiere ich mich jeden Morgen.“

      „Und was kannst du noch alles damit tun?“ fragte sie ihn.

      Er erklärte es ihr, so gut er konnte, und sie riß die Augen in ungläubigem Erstaunen auf.

      „Freunde!“ rief Willem Tomdijk und breitete die Arme aus. „Ich bin ja so froh, daß sich alles zum Guten gewendet hat! Ich will ehrlich sein: Als ich an Bord der ‚Caribian Queen‘ war, habe ich Angst gehabt – große Angst. Dieser Caligula hätte mir gern die Gurgel durchgeschnitten, und auch die Black Queen hat mich nur geduldet, weil sie wußte, welchen Einfluß ich auf unsere Leute habe! Aber das alles ist jetzt vorbei.“

      „Ja“, sagte der Seewolf. „Und für uns heißt es Abschied nehmen.“

      „Wie?“ Der Dicke glaubte, nicht richtig gehört zu haben. „Ist das dein Ernst? Das kann doch nicht wahr sein. Ich dachte, ihr würdet noch ein paar fröhliche Tage mit uns verbringen. Das kannst du uns nicht antun!“

      Auch Hasard fiel es schwer, die Insel wieder zu verlassen. Auch er war von Manons, Julies, Céciles und Esthers Reizen beeindruckt und fühlte ähnlich wie seine Männer. Aber er wußte, daß ihn die Pflicht rief. Die Pflicht – das war die Verantwortung über die Schlangen-Insel, über Arkana, Araua, Karl von Hutten, Ramsgate und die Schlangenkrieger und Kriegerinnen, die dort auf seine Rückkehr warteten. Auch Coral Island wollte bewacht werden.

      Die Vorsichtsmaßnahmen durften nicht vernachlässigt werden. Mit einem Angriff von See – beispielsweise durch die rachsüchtigen Spanier – war ständig zu rechnen. Er durfte sich keinesfalls darauf verlassen, daß die Schlangen-Insel ein geheimer, absolut sicherer Zufluchtsort war. Wie die Black Queen die Insel entdeckt hatte, so konnte es auch dem spanischen Feind gelingen, durch Zufall auf sie zu stoßen.

      Folglich drängte die Lage nach einem raschen Aufbruch – Hasard durfte keine Zeit mehr verlieren. Eindringlich sprach er auf die neuen Freunde ein und legte ihnen die Gründe dar, die für ein schnelles Verlassen von Tortuga sprachen.

      Carlos Rivero sagte: „Mir leuchtet das alles ein. Es wäre unklug von uns, euch aufzuhalten. Aber mußt du denn mit allen Schiffen zur Schlangen-Insel segeln?“

      „Ich schlage vor, daß die ‚Wappen von Kolberg‘ hierbleibt“, sagte Hasard. „Was sagt der Bund der Korsaren dazu?“

      Nur kurze Zeit dauerte die Beratung, dann stand es fest. Arne von Manteuffel sollte mit der „Wappen von Kolberg“ im Hafen von Tortuga bleiben, gewissermaßen als Nachhut und zur Sicherung der Insel. Arne stimmte Hasards Vorschlag spontan zu, denn er wollte die Gelegenheit nutzen, um ausführliche Gespräche mit Willem Tomdijk und Carlos Rivero zu führen.

      „Über die allgemeine strategische Lage in der Karibik“, sagte er. „Ihr beiden kennt euch ja hervorragend aus und könnt das Bild abrunden, das ich mir zu verschaffen versuche.“

      „Einverstanden“, sagte Willem. „Aber ich werde dich auch über die Bedeutung des Brauereiwesens in der Karibik aufklären, lieber Freund, das verspreche ich dir.“

      „Mir sausen davon jetzt schon die Ohren“, erklärte Diego, der gerade eine neue Runde Wein brachte. „Und das eine laß dir gesagt sein, Willem Tomdijk: Hier auf Tortuga, ist mit Bier nicht viel zu werden. Die Geschäfte laufen ohnehin schlecht.“

      „Das sehe ich“, sagte der Dicke lachend. „Aber keine Angst, Diego, dir mache ich keine Konkurrenz. Ich bin kein Narr, wie Emile es war. Ich kenne meine Möglichkeiten – und meine Grenzen.“

      „Hoffen wir’s“, sagte Diego, dann eilte er wieder davon.

      Emile Boussac, der Verräter – keiner weinte ihm eine Träne nach. Er hatte ein doppeltes Spiel in Szene gesetzt und mit dem Tod dafür bezahlt. Man hatte seine Leiche gefunden. Es schien keinen Zweifel zu geben: Die Black Queen hatte ihn auf dem Gewissen.

      Noch einmal wurden die Geschehnisse durchgesprochen, und Willem war drauf und dran, den Seewolf erneut hochleben zu lassen. Doch Hasard wehrte es ab. Er begann, sich zu verabschieden, erhob sich, begab sich an die Nachbartische und überzeugte seine Männer davon, daß es an der Zeit wäre, Tortuga zu verlassen.

      Lange Gesichter, entsagungsvolle Blicke, die den Mädchen galten – all das ließ sich nicht vermeiden. Aber am Ende sahen sie alle ein, daß die Entscheidung des Seewolfs nur richtig war. Die Schlangen-Insel und Coral Island warteten auf sie, sie mußten so schnell wie möglich dort nach dem Rechten sehen und die wartenden Freunde vor möglichen üblen