Roy Palmer

Seewölfe Paket 19


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      „Fassen wir zusammen: Selbst wenn man Abstriche an Boussacs Glaubwürdigkeit vornimmt, sind die Informationen doch wertvoll genug, um die Lage einigermaßen richtig einzuschätzen. Die Black Queen hat auf ihrer Seite nur die Schiffsbesatzungen. Und die sind auch vermindert um die Leute, die die Geschützstellungen in den Felsen besetzt haben.“

      „Minus sechs“, warf Jerry Reeves ein.

      Hasard nickte.

      „Das habe ich nicht vergessen. Zur Sache also: Das einzige, was wir jetzt noch zu klären haben, ist die Frage der beiden Brander.“

      „Was gibt es da noch zu klären?“ rief die Rote Korsarin aufbrausend. „Es stand von vornherein fest, daß Jean und ich die Pinassen ins Ziel steuern.“

      „Allerdings“, fügte Ribault bekräftigend hinzu, „wenn wir diese Aufgabe übernehmen, dann wissen wir, warum. Gibt es jemanden, der einen besseren Grund hat als wir? Siri-Tong und ich haben eine verdammt persönliche Rechnung mit dem schwarzen Satansweib zu begleichen.“

      „Es war euer Vorschlag, die Brander zu übernehmen“, stellte Hasard richtig, „unumstößlich war das meines Erachtens noch nicht. Ich meine, daß jeder bei seinen Entscheidungen einen klaren Kopf haben sollte. Wollt ihr das nicht noch einmal überdenken?“

      „Nein“, entgegnete die Rote Korsarin prompt.

      „Nein“, sagte auch Jean Ribault spontan.

      „Also gut.“ Hasard zuckte mit den Schultern und lächelte. „Gegen eure Dickschädel kann man in diesem Fall wohl nichts tun. Ist jemand dagegen?“ Er blickte in die Runde.

      „Laß ihnen ihren Willen“, brummte Thorfin Njal, „wer so verbissen ist, der wird seine Sache auch prächtig bewältigen.“

      Auch Arne von Manteuffel und Jerry Reeves hatten nichts einzuwenden. Jeder wußte schließlich, wie sehr Jean Ribault danach fieberte, seine Rache zu vollenden. Und die Rote Korsarin stand dem in nichts nach.

      Der Seewolf hob die Runde auf. Gemeinsam begaben sie sich an Deck.

      Der hünenhafte Schiffszimmermann löste sich aus der Schar der Männer und trat ihnen entgegen.

      „Brander klar, Sir“, meldete er knapp.

      Hasard und die anderen traten an das Backbord-Schanzkleid.

      Auf den Pinassen waren Scheiterhaufen aus trockenem Abfallholz aufgeschichtet worden, und zwar jeweils auf dem Vorschiff und mittschiffs hinter dem Mast, so daß sich das Lateinersegel noch unbeeinträchtigt bewegen ließ.

      Ferris Tucker und seine Helfer hatten die Holzstapel mit Tauen gesichert, so daß sie selbst bei jähen Segelmanövern nicht auseinanderfielen oder über Bord gingen. Al Conroy hatte überdies eine besondere Zündvorrichtung aus seiner Trickkiste gezaubert.

      Es gab keine Zeit mehr zu verlieren.

      Jerry Reeves und seine Einsatztruppe wurden mit dem kleinen Beiboot der „Isabella“ an Bord der „Tortuga“ gebracht. Zur Unterstützung von Jean Ribault und Siri-Tong stellte Hasard sechs Mann ab, so daß sie auf den Pinassen jeweils zu viert waren.

      Das Kommando an Bord der „Le Vengeur III.“ übernahm Nils Larsen, der keine Mühe haben würde, sich mit seiner alten Crew im Gefechtseinsatz zu verständigen.

      Nachdem das Beiboot zurückgekehrt war, gab der Seewolf Befehl, Segel zu setzen.

       9.

      Immer wenn sie Tortuga aus der Ferne erblickten, drängte sich den Männern der Gedanke an Columbus auf, den legendären Entdecker. Wie treffend war doch sein Einfall gewesen, diese bucklige Insel als „Schildkröte“ zu bezeichnen! Denn nichts anderes bedeutete das spanische Wort „Tortuga“.

      Jener Schildkröten-Buckel schälte sich im beginnenden Morgengrauen aus dem Dunst, als der Verband des Seewolfs heransegelte. Einen besseren Verbündeten als den handigen Nord-Nord-Ost konnte sich niemand an Bord wünschen. Die fünf Schiffe hatten die vorgesehene Formation eingenommen. Bei raumem Wind über Backbordbug segelnd, bildeten sie eine große, nach Süden gerichtete Pfeilspitze. Im Zentrum, also den anderen um eine Schiffslänge voraus, segelte die „Isabella“. An Steuerbord bildeten der Schwarze Segler und die „Tortuga“ den westlichen Schenkel der Pfeilspitze. Auf der anderen Seite waren es die „Wappen von Kolberg“ und die „Le Vengeur III.“.

      Die beiden wesentlich schnelleren Pinassen kreuzten abwartend im Kielwasser der großen Schiffe.

      Bis auf zwei Seemeilen hatte sich der Verband dem nordwestlichen Zipfel von Tortuga genähert, als Unerwartetes geschah.

      „Deck!“ brüllte der Ausguck der „Isabella“. „Mastspitzen Backbord voraus!“

      Heisere Rufe waren auch von den übrigen Schiffen zu hören. Überall auf den Achterdecks blinkte die Messingummantelung der Spektive im schwachen Mondlicht, das die Dunkelheit noch nicht vollends verdrängt hatte.

      Die Umrisse traten aus dem grauen Zwielicht hervor, unverkennbar und höchstens eine Seemeile entfernt.

      „Der Zweidecker!“ stieß Ben Brighton entgeistert hervor.

      Hasard war nicht minder überrascht. Woher kannte die Black Queen den Zeitpunkt des Angriffs? Denn zweifellos befand sie sich nicht auf einer Erkundungsfahrt. Das ließ sich daraus schließen, daß sie von zwei Galeonen begleitet wurde, der „Aguila“ und der „Buena Estrella“. Letztere segelte ohne Besan, hatte die Gefechtsschäden also noch nicht vollständig behoben.

      Die „Caribian Queen“ und die beiden Galeonen lagen auf einem Kreuzschlag nach Nordost. Allein nach den Windverhältnissen war die Position der „Herrscherin der Karibik“ ungünstig. Aber Hasard kannte sie mittlerweile gut genug, um zu wissen, daß sie es meistens verstand, die Dinge zu ihren Gunsten zu wenden.

      Noch war nicht festzustellen, wie die Black Queen reagieren würde. Aber innerhalb von Minuten konnte sich die Lage entscheidend ändern. Hasard zögerte deshalb nicht. Er ließ Jean Ribault und Siri-Tong signalisieren, daß sie von nun an auf sich allein gestellt sein würden.

      Die beiden Pinassen segelten nacheinander von Backbord auf die „Isabella“ zu, gingen bei voller Fahrt längsseits und hakten sich am Schanzkleid fest, bis die Männer aus der Crew des Seewolfs aufgeentert waren.

      Dann lösten sich die Einmaster und jagten mit jener Eleganz davon, die ihnen ihre schlanke Bauweise ermöglichte. Mit Kurs Süd-Ost steuerten Siri-Tong und Jean Ribault geradewegs auf die Küste von Tortuga zu, um vor der Nase der Black Queen durchzuschlüpfen und den sicheren Küstenbereich zu erreichen.

      Für den Moment glich die Situation einem gegenseitigen Belauern. Während sich die Distanz zwischen den gegnerischen Verbänden zusehends verringerte, schienen sich beide Parteien darin verbissen zu haben, ihren Kurs stur beizubehalten.

      Doch unverhofft reagierte die Black Queen auf eine Weise, wie sie weder Hasard noch einer seiner Gefährten erwartet hatten.

      Statt wie vermutet nach Osten abzufallen, um der Übermacht zunächst auszuweichen, legte sich der Zweidecker in eine todesmutige Wende nach Nord-West. Viel zu schnell verringerte sich jetzt die Entfernung und schmolz auf fünf, sechs Kabellängen zusammen.

      Die Black Queen nutzte den kurzen Moment, in dem der Verband des Seewolfs im Begriff war, sich auf die neue Lage einzustellen und sich aufzulösen. Denn auch die „Aguila“ und die „Buena Estrella“ folgten mit ihrem Kurswechsel jetzt dem Beispiel der „Caribian Queen“.

      Ein glühender Feuerteppich von Mündungsflammen zuckte plötzlich aus der Steuerbordseite des Zweideckers. Der Geschützdonner zerfetzte die morgendliche Stille.

      Nils Larsen hatte seine Halse nach Südosten eben erst eingeleitet. Zu spät jedoch. Die Eisenkugeln rauschten im Schwarm heran. Zwei, drei Treffer schmetterten in das Vorschiff der „Le Vengeur III.“. Der Rest der Kugeln riß einen Fontänenwald aus dem Wasser.