Roy Palmer

Seewölfe Paket 19


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Brandung tief unten als kleine weiße Flecken in der nächtlichen Schwärze der Fluten.

      Als sie wenig später ein kleines Plateau erreichten, ließen sie sich der Länge nach auf das ebene Gestein sinken und rührten sich nicht. Wieder horchten sie scharf in die Dunkelheit.

      Jerry glaubte, gedämpfte Stimmen zu hören – wie aus weiter Ferne. Doch er war nicht sicher. Es mochten ebensogut Windgeräusche sein, die in der Felsenlandschaft die seltsamsten Laute bildeten.

      Etwa hundert Yards landeinwärts, so konnte Jerry in einem vorüberwandernden Streifen Mondlichts erkennen, begann eine Zone spärlicher Vegetation. Er entschied sich für diesen Weg. Es hatte keinen Sinn, zu nahe am Küstenverlauf zu bleiben. Felsbrocken, Spalten und Geröllfelder bildeten unberechenbare Hindernisse.

      Ohne zuviel Zeit zu verlieren, pirschten sie weiter voran. Wieder übernahm der hochgewachsene Kapitän der „Tortuga“ die Führung. Das Gestrüpp am Rand des Plateaus war fast brusthoch und dornig. Jerry teilte es vorsichtig, und seine Gefährten hielten geringen Abstand. Langsamer jetzt, Schritt für Schritt, drangen sie behutsam vor und vermieden jedes Rascheln. Mehr als dreihundert Yards legten sie auf diese beschwerliche Weise zurück, bis sie freieres Gelände erreichten.

      Jerry wandte sich nach links, in südöstlicher Richtung. Anders hatte es keinen Zweck. Sie mußten die bewohnten Teile der Insel ansteuern, wenn sie ihr Ziel erreichen wollten.

      Nur zehn, zwölf Schritte legten sie zügig zurück. Jäh verharrten sie von neuem. Jerry Reeves brauchte ihre Blicke nicht erst in die richtige Richtung zu lenken. Sie sahen es alle im selben Moment.

      Da war blakender Lichtschein, linker Hand, etwa einen Steinwurf weit entfernt. Auch undeutliche Stimmen waren jetzt zu vernehmen.

      Der Kapitän der „Tortuga“ zögerte keine Sekunde. Er stieß Stoker und Mulligan an. Zu sagen brauchte er nichts. Lautlos schlossen sie sich ihm an, während er begann, auf die Lichtquelle zuzupirschen.

      Schon wenige Schritte weiter erkannten sie, daß die Lampe hinter hohen Felsbrocken verborgen war. Die Umrisse des Gesteins zeichneten scharfkantige, bizarre Linien. Die Stimmen wurden lauter, aber immer noch wehten nur Wortfetzen herüber.

      Im Gehen zog Jerry Reeves vorsichtig sein Entermesser. Kein schabendes Geräusch entstand dabei. Stoker und Mulligan taten es ihm nach.

      Nur noch wenige Yards trennten sie jetzt von den Felsbrocken. Sie verlangsamten ihre Schritte und schoben sich behutsam an das kühle Gestein heran. Der Geruch, den die Ölfunzel ausströmte, stieg ihnen in die Nase.

      Jetzt waren auch Worte zu verstehen. Die Männer auf der anderen Seite der Gesteinsbrocken sprachen Spanisch, allerdings mit einem schaurigen kehligen Akzent.

      „… rühren wir uns hier nicht vom Fleck, wenn ich es euch sage. Die Madam hat einen klaren Befehl erteilt.“

      „Stimmt. Daran halten wir uns. Die läßt uns glatt kielholen, wenn ihr gerade der Sinn danach steht.“

      „Aber vielleicht sollte einer von uns doch Meldung erstatten. Kann doch sein, daß sie von dem Gefecht nichts mitgekriegt hat. Und wenn die ‚Buena Estrella‘ so stark beschädigt ist, daß sie sinkt, was dann?“

      „So ein Quatsch. Die Kanonenschüsse waren bestimmt noch bis nach Hispaniola zu hören. Nein, nein: Der Befehl war klar. Alle Geschützmannschaften bleiben in ihren Stellungen und rühren sich nicht vom Fleck, bis Verstärkung eintrifft.“

      „Außerdem hat die Queen schon richtig überlegt. Wenn jede Geschützmannschaft so denkt wie wir, dann fehlt in jeder Stellung jetzt ein Mann. Richtig?“

      „Ja, schon, aber …“

      Die Männer von der „Tortuga“ hörten nicht länger hin. Sie wußten Bescheid. Die Rechnung ging unerwartet gut auf: Nach den Stimmen zu urteilen, handelte es sich um drei Kerle, die hinter den Felsbrocken palaverten.

      Jerry Reeves gab Stoker und Mulligan ein Zeichen, indem er sie kurz an der Schulter berührte. Dann schlich er als erster voran.

      Er umrundete den Felsen, hinter dem sie gelauscht hatten. Der Lichtschein verstärkte sich, und dann hatte er plötzlich freien Blick. Innerhalb von einem Sekundenbruchteil erfaßte er die Situation.

      Er sah ein Geschützrohr, das auf einer behelfsmäßig zusammengezimmerten Lafette ruhte und auf die See hinauszeigte, Kartuschen unter einer Persenning, aufgestapelte Eisenkugeln und drei Galgenstricke, deren Köpfe, erschrocken herumruckten.

      Es durfte keine Gnade geben. Jerry Reeves ließ seine Beinmuskeln explodieren. Wie ein Panther schnellte er auf den vordersten der Kerle zu, noch bevor einer von ihnen den Mund aufreißen konnte.

      Nur einen Sekundenbruchteil später waren auch Stoker und Mulligan zur Stelle. Die Klingen der Entermesser blitzten im matten Licht, das aus einer Lücke zwischen zwei Wolkenbänken herabfiel.

      Die drei Geschützbediener starben, ohne noch einen Laut von sich zu geben. Jerry Reeves und die beiden anderen richteten sich auf und schoben die Entermesser zurück in die Scheiden.

      Während Jerry und Stoker begannen, die Kartuschen zu öffnen und das Schwarzpulver den Abhang hinunterzustreuen, schlich Stoker zurück, um die wartenden Männer zu holen. Minuten später waren sie zur Stelle und halfen mit.

      Sämtliche Kartuschen wurden beseitigt. Dann stopften sie nacheinander sechs Eisenkugeln in das Geschützrohr. Es würde elend lange dauern, bis diese Stellung jemals wieder einsatzbereit war.

      Die Männer von der „Tortuga“ setzten ihren Weg fort. Wieder wahrten sie die gleiche Vorsicht, die ihnen bis jetzt ein unbehelligtes Vordringen ermöglicht hatte. Schon eine Viertelstunde später zahlte sich das aus.

      Abermals verharrten sie, als sie Lichtschein erblickten. Kein Zweifel, daß es sich um eine weitere Geschützstellung handelte, denn auch diesmal schimmerte das Licht zwischen Felsbrocken unmittelbar vor dem Felsenhang der Küste.

      Gustave Le Testu schob sich an Jerry Reeves heran.

      „Jetzt sind wir an der Reihe“, flüsterte der Hugenotte in das Ohr seines Kapitäns. „Wir wollen schließlich auch unseren Beitrag leisten.“

      „Einverstanden“, erwiderte Jerry.

      Gustave, der Mann mit dem schmalen Oberlippenbärtchen, pirschte ohne Umschweife los. Ihm folgte Montbars, der Korse, dessen graues Haar einen ungewöhnlichen Kontrast zu seinen jettschwarzen Augen bildete.

      Dritter im Bunde war der hagere Albert mit dem wirren schwarzen Haar. In Quimper an der französischen Atlantikküste war er als der Bucklige bekannt gewesen. Den falschen Buckel trug er schon lange nicht mehr unter dem langen schwarzen Umhang, und auch seine durchtriebenen Machenschaften gehörten der Vergangenheit an.

      Während sie warteten und den drei Männern nachschauten, mußten Jerry Reeves und seine Gefährten ungewollt an die Ereignisse an der bretonischen Küste zurückdenken. Damals, als sie den Seewolf als einen zuverlässigen und gerechten Freund kennengelernt hatten, waren auch Gustave Le Testu und die anderen beiden zu ihnen gestoßen.

      Gustave hatte eine Bande von Wegelagerern befehligt, mit der er Heinrich von Bourbon zu schaden versucht hatte, wo er nur konnte. Aber dann war die Bande von französischen Soldaten aufgerieben worden, und Gustave und Montbars waren die einzigen Überlebenden gewesen.

      Dunkelheit verschluckte die beiden Franzosen und den Korsen im felsigen Küstenbereich. Minuten verstrichen, ohne daß ein Laut zu hören war. Dann, plötzlich, tauchten die Silhouetten der drei Männer im Lichtschein auf. Gustave war es, der kurz den Arm hob und winkte.

      Jerry und die anderen setzten sich in Bewegung. Kurz darauf sahen sie, daß Gustave, Montbars und Albert ihr tödliches Handwerk mit jener unerbittlichen Zuverlässigkeit erledigt hatten, die damals in Frankreich dazu geführt hatte, daß sogar der Königshof auf sie aufmerksam, geworden war.

      Auch diese Geschützstellung wurde in der schon gewohnten Weise zerstört. Es gab zwei Rohre weniger, die den Schiffen des Seewolfs schaden konnten. Allein das war schon ein Erfolg. Aber es