Roy Palmer

Seewölfe Paket 19


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sich hörte, war nicht mehr als ein Huschen. Schreck durchzuckte ihn. Er kreiselte herum und streckte abwehrend die Arme aus. Zu spät.

      Die Silhouette, die ihn ansprang, war schneller. Emile fühlte sich jäh in einem eisenharten Griff. Die Arme wurden ihm auf den Rücken gerissen, und erst jetzt sah er aus den Augenwinkeln heraus, daß es Caligula war, der ihn mit brutaler Gewalt festhielt.

      Aus dem Dunkel trat die Black Queen. Das Weiße ihrer Augen leuchtete. Ein spöttischer Glanz schien darin zu liegen.

      „Was hast du hier zu suchen, du lausiger Hurenbändiger?“ fauchte sie ihn an.

      „Ich? Nichts, gar nichts“, stammelte Emile. „Hab mir nur ein bißchen die Beine vertreten.“

      „Du lügst.“

      „Natürlich lügt er“, fügte Caligula mit glucksendem Lachen hinzu. „Bestimmt sucht er Verbündete, mit denen er seine hübschen Püppchen befreien kann. Er denkt wohl, daß die Gelegenheit günstig ist, wenn wir was anderes zu tun haben.“

      „Himmel, nein“, beteuerte Emile, „so ist es nicht, wirklich nicht.“

      „Nein? Wie ist es denn?“ entgegnete die Black Queen, und der Spott lag jetzt unüberhörbar in ihrer Stimme.

      Emile Boussac brachte seine Gedanken in rasender Schnelligkeit in geordnete Bahnen. Wenn er keine plausible Antwort fand, brachte sie es fertig, ihn zu foltern oder gar Schlimmeres mit ihm anzustellen. Jäh erwachte seine Händlerseele. Aber ja, schrie es in ihm, tu es!

      Wenn er der einen Seite von Nutzen war, konnte er es der anderen ebenso sein. Aber es mußte sich natürlich lohnen. Umsonst würde er mit seinem Wissen nicht herausrücken, diesmal nicht.

      „Du mußt ja lange darüber nachdenken“, knurrte Caligula in sein Ohr. „Soll ich dir mal auf die Füße treten?“

      „Nein, nein“, sagte Emile hastig. „Ich weiß nur nicht, wie ich es erklären soll.“

      „Spuck’s einfach aus“, forderte die Black Queen barsch, „dann ersparst du dir unnötige Schwierigkeiten.“

      „Es handelt sich“, Emile ächzte, denn der hünenhafte Neger lockerte seinen schmerzhaften Griff um keinen Deut, „um Beobachtungen, die – hm, sagen wir – strategisch wichtig sein könnten. Was ist es dir wert, Madam, wenn ich ein bißchen darüber berichte?“

      Die Black Queen wurde hellhörig. Es fiel nicht schwer, zwei und zwei zusammenzuzählen: Geschützdonner vor der Nordküste, Boussac schlich in der Gegend herum. Irgend etwas mußte sich abgespielt haben.

      „Du weißt also etwas“, sagte sie gedehnt und tat, als dächte sie angestrengt nach. Dann gab sie sich einen gespielten Ruck. „Also gut: Ich werde deine Mädchen auf der Stelle freilassen, wenn du mit mir zusammenarbeitest. Vorausgesetzt, deine Neuigkeiten sind wirklich von Bedeutung.“

      „Ich denke schon“, entgegnete Emile mit geschwellter Brust, „was würdest du sagen, wenn ich dir verrate, daß die Angreifer schon auf der Insel waren?“

      Der Black Queen und auch Caligula verschlug es die Sprache.

      „Rede“, sagte die Schwarze dann zähneknirschend, „und zwar schnell.“

      Emile Boussac ließ die Worte sprudeln. Wenn seine Mädchen freikamen, war das bares Geld wert. Einen besseren Lohn konnte er nicht erwarten. Also schilderte er alle Einzelheiten über das Zusammentreffen mit Jean Ribaults Freunden und darüber, wie er sie zu der Nebenbucht geführt hatte, wo sie mit zwei Pinassen davongesegelt waren.

      „Ist das alles?“

      „Im Augenblick ja. Aber ich werde gern weiter Augen und Ohren offenhalten und …“

      „Nicht nötig“, unterbrach ihn die Queen eisig. Mit einem jähen Ruck riß sie das handtellerbreite Messer aus dem Gurt.

      Emile Boussac spürte, wie sein Herz aussetzte. Die Todesangst lähmte ihn. Viel zu spät schaffte er es, den Mund aufzureißen. Aber den Schrei brachte er nicht mehr hervor.

      „Wenn du andere verrätst, verrätst du auch mich“, sagte die Schwarze und stach zu. Dreimal hintereinander, bis sie sicher war.

      Caligula ließ den Toten fallen.

      „Ein Segen“, sagte er, „wenn wir nicht zufällig noch mit dem Munitionshändler gefeilscht hätten, wäre diese französische Ratte ungestraft davongekommen.“

      „Und wir wüßten nicht, was wir jetzt wissen“, sagte die Black Queen nachdenklich. „Ich frage mich nur, was die Kerle mit zwei Pinassen wollen.“

      „Keine Ahnung. Vielleicht wollen sie ihre ganze Horde an der Nordseite landen lassen. Mit den Pinassen schaffen sie das dreimal so schnell wie mit ihren Jollen. Vielleicht sollten wir bei den Geschützstellungen erhöhte Alarmbereitschaft anordnen.“

      „Möglich, daß du recht hast. Wir schicken auf jeden Fall einen Boten. Aber jetzt schleunigst an Bord. Ich will aus der verdammten Bucht heraus, bevor es zu spät ist. Die ‚Buena Estrella‘ müßte auch jeden Moment aufkreuzen.“

      Caligula widersprach nicht. Er wartete, bis seine Gefährtin auf der mittleren Ducht Platz genommen hatte. Dann wriggte er das Boot hinaus, auf den Zweidecker zu.

      Die fünf Schiffe des Verbandes von der Schlangen-Insel hatten die vereinbarte Position beibehalten.

      Zweieinhalb Seemeilen nördlich von Tortuga stießen Jerry Reeves und seine Gefährten zu den Verbündeten. Nachdem die beiden Pinassen längsseits der „Isabella“ vertäut worden waren, begab sich Jerry sofort in die Kapitänskammer.

      Stoker, Mulligan und die anderen blieben an Deck, um bei der Arbeit mitzuhelfen, die jetzt in aller Eile zu erledigen war. Unter der Anleitung von Ferris Tucker wurden die beiden Einmaster auf ihren Einsatz vorbereitet.

      Mit Jerry Reeves war die Versammlungsrunde in der Kammer des Seewolfs komplett. Alle wandten sich ihm in gespannter Erwartung zu: Hasard, Arne von Manteuffel, Thorfin Njal, Jean Ribault und Siri-Tong.

      Jerry setzte sich und bedankte sich mit einem Nicken für das Glas Rotwein, das Hasard ihm zuschob. Dann berichtete er über die erfolgreiche Mission. In knappen Worten beschränkte er sich auf das Wesentliche.

      „Die ‚Buena Estrella‘ ist uns auf dem Rückweg begegnet“, schloß er, „allerdings waren wir weit genug entfernt, und sie hatten auch genug mit sich selbst zu tun.“

      „Haben sie das Feuer an Bord gelöscht?“ fragte der Seewolf.

      „Ja“, erwiderte Jerry. „Wenn wir richtig gehört haben, waren sie schon dabei, die Schäden auszubessern.“

      „Habt ihr noch mehr Geschützstellungen an der Küste gesehen?“ erkundigte sich der Wikinger mit dröhnendem Organ.

      „Nur die Lichter. Auf alle Fälle gibt es jede Menge von diesen behelfsmäßigen Stellungen. Uns haben sie entweder nicht bemerkt, oder sie konnten nicht rechtzeitig reagieren. Diese Pinassen sind nämlich verteufelt schnell.“

      „Genau das, was wir brauchen“, sagte Jean Ribault und nickte zufrieden. Er warf einen Blick zu Siri-Tong hinüber.

      Ein kaum merkliches Lächeln entstand in den Mundwinkeln der Roten Korsarin. Aber in ihren Augen zeigte sich ein harter Glanz, der ihre eisige Entschlossenheit spiegelte.

      „Wenn alles vorüber ist, werden wir den Schaden ersetzen“, sagte Hasard. „Diego wird die Eigentümer der Pinassen ermitteln und ihnen das Geld in unserem Auftrag auszahlen.“

      „Noch ist nicht alles vorüber“, entgegnete Siri-Tong pessimistisch, „ich glaube nicht daran, bevor ich den Zweidecker mit eigenen Augen sinken sehe. Diese Schwarze ist einfach zu gerissen.“

      „Welch ein Kampfmoral!“ rief Arne von Manteuffel mit gespieltem Vorwurf. „Laß das auf unsere Männer abfärben, und wir nehmen am besten gleich wieder Kurs auf die Schlangen-Insel.“

      „Siri-Tong meint es nicht