sagte Willem brummend, „die Leute werden alle Platz finden. Schließlich gibt’s hier genug Nebengelasse. Wenn wir unsere Reden schwingen, brüllen wir eben etwas lauter.“
Emile Boussac zuckte mit den Schultern und blickte in die Runde. Stimmengewirr erfüllte die Grotte. Auch aus dem angrenzenden Labyrinth von Gängen, Nebenräumen, Nischen und Kellern war bereits ein dumpf hallendes Gemurmel zu hören. Willem hatte vermutlich recht. Wer später zu weit entfernt in der weitverzweigten Kneipenhöhle saß, dem wurde es eben von denen weitererzählt, die in der Hauptgrotte mitkriegten, um was es ging.
Willem schob den leeren Bierkrug von sich weg, und sein Gesicht wurde zu einer betrübten Landschaft von wulstartigen Falten.
„Diego!“ brüllte er. Zum Klang seiner Donnerstimme erbebte seine Körperfülle. Er hatte keine Mühe, das Stimmengewirr zu übertönen.
Der Schildkrötenwirt hastete eilends herbei. Schließlich hatte er den sich anbahnenden Rekordumsatz dieses Abends keinem anderen als dem Koloß aus Holland zu verdanken.
Diego, mit strähnigem Haar und listigem Grinsen im Runzelgesicht, war selbst füllig genug. Doch in Willem Tomdijks Nähe wirkte er wie ein schmächtiges Kerlchen.
„Noch mal das Gleiche?“ erkundigte er sich dienernd und griff nach dem leeren Bierkrug.
Auch Emile Boussac schob ihm seinen Krug hin und wollte etwas sagen. Doch Willem kam ihm zuvor.
„Das Zeug kannst du selber saufen“, sagte Willem grunzend und faltete die Hände über dem Bauch. „Ich geb’s endgültig auf, mein Freund. Wie oft war ich jetzt schon in deinem Saftladen und habe Bier bestellt!“
„Bist du mit der Bedienung nicht zufrieden?“ fragte Diego bestürzt. „Habe ich dich nicht immer bevorzugt behandelt, Señor Willem? Du hast doch dein Bierchen immer prompt erhalten, oder?“
„Wenn es bloß Bier gewesen wäre!“ stöhnte der Ex-Bürgermeister und verdrehte die seetrüben Augen unter den Wulst-Lidern. „Was du ausschenkst, ist alles andere, nur kein Bier. Zapfst du vielleicht deinem Personal den Schweiß ab und füllst ihn in Bierkrüge?“
„Oder Schlimmeres“, fügte Boussac kichernd hinzu, „mir kannst du mit dem Gesöff auch gestohlen bleiben, Kollege Diego.“
Der Schildkrötenwirt erbleichte.
„Ist das euer Ernst?“ hauchte er. „Ihr wollt mich auf den Arm nehmen, wie?“
„Dir ist bekannt, daß du einen Fachmann vor dir hast“, dröhnte ihn Willems Stimme an. „Auch Emile weiß, wovon er spricht. Zu Hause in El Triunfo hat er den edelsten Gerstensaft ausgeschenkt, den du in der ganzen neuen Welt kriegen kannst.“
„Ich weiß, ich weiß“, ächzte Diego, „du hast es oft genug erzählt. Aber was soll ich denn tun? Ich bin von meinen Lieferanten abhängig. Madre mia, ich muß das Bier, das sie mir liefern, teuer genug bezahlen.“
Willem lachte glucksend, und sein mächtiger Leib bewegte sich ruckhaft auf und ab.
„Das meiste, was du bezahlst, ist Wasser. Mann, Mann, die Inselaffen und Eimerschipper in dieser Gegend haben doch noch nie in ihrem Leben richtiges Bier getrunken. Ich sage dir, wenn du deine gelbe Brühe ins Meer kippst, fallen die Fische tot auf den Grund.“
„Das werde ich doch den Fischen nicht antun, Señor Willem.“ Diego schickte einen ergebenen Blick zur Felsendecke. „Wenn du erst einmal deine eigene Brauerei aufgebaut hast, werde ich dein wichtigster Abnehmer, und alle Leute auf Tortuga sind endlich glücklich und zufrieden.“
„Mhm“, brummte Willem, „du hast ja schon eine Menge gelernt, seit wir hier sind. Dann bring uns jetzt Rum. Das ist das einzige, was man in deinem Laden genießen kann, ohne daß sich einem der Magen umdreht.“
„Ganz wie Sie befehlen, Mijnheer“, sagte Diego und versuchte dabei, den holländischen Wortklang nachzuahmen, was ihm aber nur unzureichend gelang. Er schnappte sich die beiden Krüge, verbeugte sich und vollführte eine Kehrtwendung. Erst auf dem Weg zur Theke, als Willem es nicht mehr sehen konnte, begann er zu grinsen.
Natürlich wußte Diego, was der Holländer bei seinen Bemerkungen im Hinterkopf hatte. Nichts steckte Willem mehr in den Knochen als der Verlust seiner schönen Bierbrauerei in El Triunfo. Er würde Himmel und Hölle in Bewegung setzen, um sich die Ausrüstung für eine neue Brauerei zu verschaffen. Schon jetzt betrieb er Werbung für seinen künftigen Gerstensaft, indem er die Konkurrenz in den Dreck zog.
Als Willem Tomdijk und Emile Boussac ihren Rum erhielten, herrschte bereits ein nicht mehr zu überblickendes Gedränge in der Kneipengrotte. Willem mußte immer wieder vorwitzige Kerle zurückscheuchen, die sich zu seiner Linken auf die reservierten Plätze setzen wollten. Emile stierte währenddessen trübsinnig in seinen Rum und dachte an seine kleinen Pariserinnen, die man so schmählich eingesperrt hatte.
Unvermittelt ebbte das Stimmengewirr ab. Ein beinahe andächtiges Raunen folgte. Willem hob den massigen Schädel, und auch Emile riß sich aus seinen Gedanken los.
„Platz da!“ ertönte eine barsche Stimme vom Eingang her. „Platz für die Black Queen!“
Das war Caligulas Stimme, unverkennbar. Willem Tomdijk und Emile Boussac wechselten einen Blick. Die schwarze Königin, wie sie sich in ihrer Vermessenheit nannte, hatte sich tatsächlich herabgelassen, der Einladung Folge zu leisten. Entsprechend mußte ihr Gemütszustand sein. Innerlich kochte sie wahrscheinlich vor Wut. Willem war auf einiges gefaßt.
Sekunden später bildete sich eine Gasse im Gedränge. Begehrliche Blicke hefteten sich auf die hochgewachsene Schwarze, die in majestätischer Haltung mit hoch erhobenem Kopf voranschritt.
Caligula folgte ihr mit einem Schritt Abstand. Seiner Miene war anzusehen, wie sehr er diesen Spießrutenlauf seiner Gefährtin haßte. Am liebsten hätte er den Kerlen für ihr gieriges Glotzen kräftig was auf die Finger gehauen. Aber dafür waren es wieder zu viele.
Willem verkniff sich ein Grinsen. Er nickte Emile zu. Der drahtige Franzose sprang sofort auf und winkte der Negerin und ihrem Begleiter zu. Die Queen bemerkte es und schien erleichtert, in dem Durcheinander einen Orientierungspunkt gefunden zu haben.
Willem Tomdijk erhob sich schnaufend und wies ihr und Caligula die beiden Plätze an seiner Seite zu. Sie folgten der Aufforderung. Die Queen verschränkte die Arme über den Brüsten, wobei sie eine hochmütige und unbeteiligte Miene aufsetzte.
Der ehemalige Bürgermeister von El Triunfo hob gebieterisch den fleischigen Arm. Augenblicklich kehrte in seiner unmittelbaren Umgebung Ruhe ein. Nach und nach pflanzte sich die Stille fort, sehr bald war auch aus den Nebengelassen der Kneipe kein Ton mehr zu hören.
„Ich begrüße euch alle auf das herzlichste!“ brüllte Willem. Jede Silbe hallte wie ein Paukenschlag durch das Gewölbe. „Eine besondere Ehre ist es, daß wir die Black Queen und Caligula zu unserer Bürgerversammlung willkommen heißen dürfen.“ Er legte eine wohlbedachte Pause ein, und die Männer begriffen, was er von ihnen erwartete.
Donnernder Beifall brandete auf.
Der stoische Gesichtsausdruck der Black Queen wich einem Ansatz des Lächelns. Sie konnte nicht umhin, sich geschmeichelt zu fühlen. Der Feiste war ein Schlitzohr, das wußte sie. Aber vielleicht war sein Willkommensgruß doch ernst gemeint.
Caligula beugte sich zu ihr und flüsterte in ihr Ohr.
„Siehst du. Sie können gar nicht anders, sie bewundern dich eben doch. Nach allem, was du für sie getan hast …“
Auf ein erneutes Handzeichen von Willem Tomdijk endete der Beifall. Abermals ließ er seine Stimme dröhnen.
„Nun zur Sache, Männer. Ihr wißt alle, warum wir uns zusammengefunden haben. Es geht um unsere Pläne für die Zukunft. Was soll aus uns werden? Wir haben alles verloren und praktisch nur unser nacktes Leben gerettet.“
„Nicht ihr!“ schrie die Black Queen dazwischen. Sie sprang auf. „Ich habe euch das Leben gerettet. Vergeßt das nicht. Vergeßt es nie!“