ganzer Körper schien von dieser ständigen rhythmischen Bewegung erfaßt zu sein – wie in einem mystischen Tanz. Doch die Ursache war das Zucken der Flammen, die ihr Spiel von Licht und Schatten auf Arkanas brauner Haut trieben.
Die Schlangenpriesterin hielt die Augen geschlossen und den Kopf gesenkt. Sie konzentrierte die Kraft ihrer Gedanken darauf, alle Empfindungen auszuschließen. Nichts, was von außen an Wahrnehmungen auf sie eindrang, hatte jetzt noch eine Bedeutung. Ihr Bewußtsein war bereit, sich zu verlagern und den eingegrenzten Bereich des eigenen Ichs zu verlassen. Tief in ihrem Innern spürte sie, wie ihre Seele sich dafür öffnete, fremde Strömungen aufzunehmen und mit jenem Wesen in Zwiesprache zu treten, das sich nur ihr und Araua mitteilte.
Sie hob beide Arme und streckte sie dem Schlangengott entgegen. Der Moment war nahe. Sie spürte es deutlich, obwohl sie sich fern von Zeit und Raum befand. Ihr Bewußtseinszustand war wie das körperlose Schweben in einer unendlichen Leere.
„Sprich zu mir, Schlangengott, du, der du zahllose Generationen meines Volkes schützend auf seinem Weg begleitet hast. Sprich zu mir in dieser Stunde, in der meinem Volk und seinen Freunden vielleicht schlimmstes Unheil bevorsteht.“
Keines von diesen Worten war über Arkanas Lippen gedrungen. Die Worte schwangen in den Wellen ihres Bewußtseins mit und erreichten auf diese Weise die Gottheit, die gleichfalls nur auf einer fremden Bewußtseinsebene existierte und anderen Menschen unerreichbar bleiben würde.
„Öffne deine Augen, meine Hohepriesterin“, ließ sich der Schlangengott vernehmen.
Arkana gehorchte. Sie hob die Lider, und ihr Blick erfaßte die Statue, wanderte an ihr hoch und blieb an den grünen Augen des Schlangengottes haften, die jetzt in einem eigentümlichen Leuchten erglühten.
„Ich danke dir, daß du mich anhören willst“, sagte die Schlangenpriesterin, „ich danke dir heute besonders für die Güte, die du an meinem Volk und seinen Freunden sooft hast walten lassen.“
„Deine Worte sind ungewöhnlich. Du weißt, daß du mir nicht danken mußt. Ich spüre deine Empfindungen, die dahinterstehen.“ Das Leuchten in den Augen des Schlangengottes verminderte sich und nahm einen matten Hauch an, der ihn mitleidsvoll aussehen ließ.
„Ich weiß“, erwiderte er in der Bewußtseinsströmung, in der sie beide in Verbindung standen. „Aber es gibt nichts, womit ich deine Angst mildern kann. Die bösen Ahnungen, die dich erfüllen, sind sehr wohl berechtigt. Tödliche Gefahren warten auf den Seewolf und die anderen Männer – und auf Siri-Tong, die Rote Korsarin, die an mich glaubt.“
„Kannst du denn nichts tun?“ Arkanas geistige Stimme war beinahe flehentlich.
„Das, was mir möglich ist, werde ich gewiß tun. Ich werde dem Seewolf einen Weg weisen, der am besten geeignet sein wird, sein Vorhaben zu verwirklichen. Aber dann werden er und seine Gefährten auf sich allein gestellt sein. Denn die Black Queen verkörpert das Böse, das Böse, das sich außerhalb meines Machtbereichs befindet.“
„Du gibst mir wenig Hoffnung, Schlangengott.“
„Dann verstehst du mich falsch. Sei zuversichtlich. Eins ist sicher: Die Entscheidung des Seewolfs war richtig. Der Schlangen-Insel droht keine Gefahr, solange die Schiffe abwesend sind. Und was die Aufgabe in Tortuga betrifft: Hast du dich nicht immer auf die unerschütterliche Kraft des Seewolfs und seiner Männer verlassen können?“
„Das habe ich. Aber …“
„Es darf kein Aber geben, Schlangenpriesterin. Ich wiederhole: Sei zuversichtlich. In deinen Gedanken mußt du den Männern und der Roten Korsarin beistehen, du mußt sie beflügeln und ihnen Mut zusprechen. Düstere Gedanken sind nicht hilfreich. Nicht für dich selbst und nicht für andere.“
„Ich werde deinen Rat beherzigen“, sagte Arkana.
„Dann ist es gut. Du wirst mich nun allein lassen. Sicher werde ich dir schon bald mehr sagen können, aber für dieses Mal muß es genug sein. Achte darauf, daß das heilige Feuer weiterbrennt, bis es von selbst erlischt.“
Arkana senkte den Kopf und schloß die Augen. Als sie sie wieder öffnete, waren die Augen der Statue erloschen. Die heiligen Flammen bewegten sich ruhiger, als hätten sie einen Teil ihres Lebens verloren.
Die Schlangenpriesterin erhob sich langsam und wie in Trance. Aber in ihren Adern spürte sie das Pulsieren einer neuen Kraft. Es war wie nach einem langen und erholsamen Schlaf. Ihr Körper war wie neugeboren und damit auch ihr Geist.
Verflogen waren die bösen Ahnungen. Als sie das Gewölbe verließ, wußte sie es: Der Schlangengott hatte ihre Gedanken in die rechte Bahn gelenkt.
5.
Drei Tage waren verstrichen.
Eine Zeit nervöser Ungewißheit hatte auf Tortuga begonnen. Jeder, der mit der Black Queen zu tun hatte, spürte ihre wachsende Gereiztheit. Die Stimmung griff auf die Besatzungen der vier Schiffe über und pflanzte sich immer deutlicher auch an Land fort.
Die Black Queen hatte bereits am zweiten Tag der entnervenden Wartezeit erhöhte Alarmbereitschaft angeordnet. Dies galt für die Mannschaften ebenso wie für die Geschützbedienungen, die oben in den Felsen Stellung bezogen hatten und aus den Schiffskombüsen mit Verpflegung versorgt wurden.
Caligula wußte sehr wohl, daß sie froh sein konnten, für die Geschützstellungen an Land überhaupt noch genügend Leute gefunden zu haben. Aber er hütete sich, seiner Gefährtin das zu sagen. Sie erlitt jedesmal einen Tobsuchtsanfall, wenn man den wachsenden Unmut unter den Siedlern aus El Triunfo auch nur andeutete.
Vor sich selbst mußte sie inzwischen vielleicht sogar zugeben, daß es kein weiser Entschluß gewesen war, die Mädchen in das umzäunte Lager zu sperren. Die zunehmende Gereiztheit der Männer war sicherlich zum Teil auch auf diese Verfügung der Queen zurückzuführen. Aber sie konnte die Order nicht aufheben, wenn sie nicht ihr Gesicht verlieren wollte.
An diesem dritten Tag hatte sie einen Befehl ausgesprochen, der für die Decksmannschaften endlich etwas Klarheit brachte.
Die „Buena Estrella“ ging auf Weisung der Black Queen ankerauf und begab sich auf einen Kontrollkurs rund um Tortuga.
Für die übrigen Schiffsbesatzungen wurde damit deutlich, über was bislang nur vage Vermutungen angestellt werden konnten. Die Queen rechnete mit einem baldigen Angriff auf Tortuga. Sie hatte darüber kein offenes Wort verloren und ihre Untergebenen bis jetzt nicht für wert befunden, an ihren düsteren Vorahnungen teilzuhaben.
Am Abend dieses dritten Tages wurde die Kneipe „Zur Schildkröte“ zum Mittelpunkt des Geschehens auf Tortuga. Schon vor Einbruch der Dunkelheit versammelten sich die Siedler aus El Triunfo scharenweise in der Felsengrotte, um die besten Plätze zu ergattern.
Willem Tomdijk hatte sich am Kopfende von einem der langen Bohlentische niedergelassen. Dort thronte er als ruhender Pol, mit unbewegter Miene, einer Buddha-Statue nicht unähnlich. Nur seine hochgezogenen Augenbrauen verrieten von Zeit zu Zeit, daß er über die ständig anwachsende Zuhörerschar mehr als zufrieden war.
Dies war sein Abend. Er, Willem Tomdijk, hatte ein Wörtchen mitzureden, wenn es um Zukunftsentscheidungen ging. Das mußte auch die Black Queen lernen. Er hatte eine Bürgerversammlung einberufen, ohne die Schwarze zu fragen. Jetzt stand sie vor vollendeten Tatsachen, und er war gespannt, wie sie reagieren würde.
Dieser Abend war seine Revanche für die Art und Weise, wie sie Emile Boussac, Manon und ihn vor drei Tagen an Bord des Zweideckers abgekanzelt hatte.
„Mein Gott“, sagte Boussac, der neben ihm saß. „Wo sollen die Leute bloß alle Platz finden?“
Die Hauptgrotte war bereits überfüllt. Nur die Plätze, die Willem für die Black Queen und ihre Begleitung reserviert hatte, waren noch frei. Versorgungsschwierigkeiten gab es allerdings nicht.
Der dicke Diego, Schankwirt und Inhaber der „Schildkröte“, hatte für diesen Abend mehr als ein