einen Strich, als sie sich wieder auf die Bank sinken ließ. Sie fing an zu begreifen, was der Fettsack im Schilde führte.
„Selbstverständlich denken wir immer daran!“ rief Willem. „Wir vergessen doch nicht, wer uns geholfen hat! Auch, daß wir auf Tortuga oder später auf Hispaniola eine neue Heimat finden werden, verdanken wir doch nur unserer verehrten Madam, unserer Black Queen. Aber“, er holte Luft, und sein mächtiger Leib schien sich dabei aufzupumpen, „Dankbarkeit hat irgendwann ihre Grenzen. Und die Rettung aus der Not kann man so oder so betrachten: Geschah sie aus reiner Menschenfreundlichkeit, oder steckte eine Portion Eigennutz dahinter?“
„Eigennutz!“ rief jemand von weit hinten aus der Menge.
„Die Lady braucht uns als Fußvolk!“ ertönte die Stimme eines anderen.
Die Black Queen hieb mit der Faust auf den Tisch, daß es krachte. Wieder sprang sie auf. Ihre Augen funkelten den Holländer an.
„Du verdammter fetter Hurensohn!“ schrie sie. „Das hast du doch alles angezettelt! Du hast die Kerle gegen mich aufgebracht, damit sie …“
Ein Raunen, das plötzlich einsetzte, ließ sie verstummen. Es klang nicht einmal drohend, eher bestürzt. Aber es lag eine unterschwellige Mahnung darin, die sie daran erinnerte, sich die Situation vor Augen zu halten.
Allein in der Hauptgrotte hielten sich mehr als hundert Männer auf, allesamt aus El Triunfo und allesamt auf der Seite von Willem Tomdijk. Schlagartig wurde sich die Black Queen darüber klar, daß sie keine allzu großen Töne spucken durfte.
Natürlich wußten die Kerle, was sie riskierten, wenn sie sie wirklich angriffen. Keiner von ihnen würde dann mit dem Leben davonkommen, denn die Mitglieder der Crews befanden sich ohnehin in Alarmbereitschaft, und sie würden nicht lange fackeln. Andererseits konnte die Stimmung in einer Menschenansammlung explodieren wie ein Pulverfaß, dem man sich zu unvorsichtig mit einer Lunte genähert hatte.
Also schluckte die Black Queen den Rest ihrer Worte hinunter. Die Hundesöhne steckten doch sowieso mit dem Fettsack unter einer Decke. Natürlich hatte er sie angestiftet, sich gegen sie, die Herrscherin der Karibik, zu wenden, damit sie ihn in seiner lächerlichen und kleingeistigen Revanche für den Vorfall auf dem Zweidecker unterstützten.
„Aber, aber, wir wollen uns doch nicht beschimpfen“, sagte Willem mit gespieltem väterlichem Wohlwollen. Diesem Eindruck widersprach jedoch der spöttische Blick, mit dem er die Schwarze musterte. „Setz dich wieder, Madam, und laß uns alles in Ruhe besprechen. Es nutzt nichts, wenn wir uns die Köpfe heiß reden.“
„Du wirst mich noch kennenlernen!“ zischte sie, so daß nur er und bestenfalls Boussac es hören konnten. Aber sie gehorchte und ließ sich auf ihren Platz sinken.
Willem Tomdijk bemerkte, daß Caligula ihn haßerfüllt anstarrte. Doch auch der hünenhafte Neger wagte nicht, den Holländer anzugreifen, und sei es auch nur mit Worten. Caligula wußte, daß die Männer ihn auseinandernehmen würden, wenn er nur einen Finger gegen ihren Ex-Bürgermeister rührte.
Abermals hob Willem die Hand, und wieder kehrte Stille in der Grotte ein.
„Freunde!“ fuhr er dröhnend fort. „Männer von El Triunfo! Wir wollen uns nicht aufregen. Alles muß ruhig und sachlich abgewogen werden. Unsere verehrte Madam, die Black Queen, hat ganz recht, mich zu verbessern. Natürlich schulden wir ihr unseren Dank, ihr und niemandem sonst. Ich habe mich da ein bißchen falsch ausgedrückt.“
„Jetzt fängt er wieder an, uns Honig um den Bart zu schmieren“, flüsterte Caligula in das Ohr seiner Gefährtin.
Die Queen stieß ein Knurren aus. Mit grimmigem Interesse hörte sie Willem Tomdijks weiterer Rede zu.
„Dankbarkeit ist eine feine Sache, Freunde. Aber wenn es um Leben oder Tod geht, muß man ein bißchen genauer darüber nachdenken. Ich sehe das so: Wir wollen nicht vom Regen in die Traufe geraten. Wir wollen nicht schon wieder unser Leben riskieren. Bei der Rettung in El Triunfo hat uns die Black Queen eine neue, friedliche Heimat versprochen. Wenn das nicht so gewesen wäre, hätten wir uns auch in die Wälder von Honduras zurückziehen können. Oder?“
Die Pause, die Willem voller Absicht einlegte, nutzten die Zuhörer prompt und wie erwartet. Donnernder Beifall hallte durch die Grotte. Nach Minuten schnitt Willem den Lärm ab. Die Geste, die er dazu benutzte, war wie die eines Zauberkünstlers.
„Wir lassen uns nicht in eine Auseinandersetzung hineinziehen, die uns nichts angeht!“ rief er. „Warum, zum Teufel, können die Bewohner der Karibik nicht gemeinsam in Frieden leben? Es ist doch genug Platz für alle da. Wenn wir schon ans Kämpfen denken müssen, dann sollten wir uns lieber auf unsere gemeinsamen Feinde konzentrieren, auf die Spanier nämlich.“
Diesmal johlten und brüllten die Männer voller begeisterter Zustimmung.
Die wulstige Faltenlandschaft von Willem Tomdijks Gesicht war unbewegt, während er wartete, bis der Beifall verebbte. Aber seine kleinen nordsee-grauen Augen beobachteten die Black Queen und Caligula genau. Mit jeder Sekunde des Beifalls verzerrten sich ihre dunklen Gesichter in wachsendem Zorn.
„Ich habe gesagt, was zu sagen war!“ brüllte Willem schließlich. „Lassen wir jetzt die Madam sprechen!“ Auch das hatte er wohlweislich beabsichtigt. Sie erhielt erst dann Redeerlaubnis, wenn er seine Fäden ausgesponnen hatte. Die Männer aus El Triunfo mußten wissen, wer ihr wirkliches Oberhaupt war.
Caligula flüsterte erneut in das Ohr seiner Gefährtin.
„Beleidige ihn nicht noch einmal. Wir schneiden uns damit ins eigene Fleisch. Du siehst, wie er die Kerle unter seiner Fuchtel hat.“
Sie nickte nur. Dann stand sie auf und wandte sich der Menge zu. Es kümmerte sie nicht, daß sich die meisten Blicke auf ihre nackten Brüste konzentrierten. Mit dem, was sie hatte, konnte sie sich sehen lassen. Und fast immer hatte ihr das Bewunderung eingebracht. Warum, zum Teufel, sollte es hier nicht auch so sein?
Die Zuhörer verharrten jetzt in gespannter Stille.
„Ich bedanke mich für eure Aufmerksamkeit!“ rief sie mit mühsam erzwungener Freundlichkeit. „In einem Punkt gebe ich eurem Bürgermeister recht. Es nutzt nichts, wenn wir uns gegenseitig mit Vorwürfen und Anschuldigungen überhäufen. Aber so einfach, wie euer verehrter Willem die Dinge hinstellt, sind sie nun wirklich nicht. Verdammt noch mal, begreift denn hier keiner, was uns bevorsteht?“ Sie begann, sich in Rage zu reden. „Ihr habt alle miterlebt, wie wir von diesen verfluchten englischen Bastarden angegriffen wurden. Zweimal …“
Schrille Pfiffe schnitten ihr das Wort ab, begleitet von wütenden Buh-Rufen.
Die Black Queen biß sich auf die Zunge. Sie hatte ihren Fehler begriffen, kaum daß sie ausgesprochen hatte. Ein bestimmter Teil der Männer aus El Triunfo waren Engländer – ein verdammter Fehler, den sie sich geleistet hatte. Selbst die schlimmsten Halunken zeigten meist noch Nationalstolz, wenn es hart auf hart ging.
„Versteht mich richtig!“ schrie sie. „Ich rede von diesen Kerlen, die uns immer wieder auf den Pelz rücken. Damit meine ich doch nicht alle Engländer. Das müßt ihr auseinanderhalten. Hakt euch jetzt nicht an Kleinigkeiten fest. Diese Brut hat sich wahrscheinlich längst auf ihrer verdammten Schlangen-Insel zusammengerottet und plant den nächsten Angriff gegen uns. Vielleicht sind sie sogar schon unterwegs. Ich sage euch, die haben nur eins im Sinn: uns zu vernichten und sich Tortuga einzuverleiben. Solange diese Meute von elenden Piraten existiert, können wir nicht in Frieden leben. Die werden nicht eher ruhen, bis sie Tortuga erobert haben.“
„Wenn das so wäre“, ertönte eine empörte Stimme aus dem Hintergrund, „dann hätten sie es längst tun können. Ohne große Mühe. Wenn der Seewolf wirklich vorhätte, Tortuga zu besetzen, dann wäre das passiert, bevor deine Schiffe hier eintrafen, Black Queen!“ Niemand bemerkte im allgemeinen Durcheinander, daß es Diego war, der sich diesen Zwischenruf nicht verkneifen konnte.
„Unsinn!“ schrie die Black Queen zurück. „Diese ganze Geschichte hat sich erst jetzt ergeben. Euer sogenannter Seewolf hat nämlich begriffen, daß ich