Wolfgang Santjer

Gänseblut


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drehten sich seine Gedanken. Es folgten Arztbesuche und man stellte schließlich eine Depression fest. Mit den Auslandseinsätzen und der Kameradschaft war es vorbei. Am Ende landete er einsam auf dem Truppenübungsplatz.

      Sven Richter schloss das Fotoalbum und rieb sich seine Augen. Schluss mit diesen Grübeleien, er hatte jetzt ein neues Ziel. Sein Opa Trinus getötet und wie ein totes Tier vergraben. Wer war verantwortlich für dessen Tod und warum hatte sein Opa sterben müssen?

      Die Antworten auf diese Fragen konnte er nur im Rheiderland bekommen. Sven suchte die Telefonnummer von Kuno Hortema, der genau wie sein Vater Hero Hortema Jäger war. Jäger in dem Gebiet, wo Svens Opa gestorben war.

      Obwohl Sven damals noch klein gewesen war, hatte er gewusst, dass sein Opa im Dollart wilderte. An dem Tag, an dem Opa Trinus verschwand, war er auf der Jagd im Dollart gewesen. Svens Vater hatte immer davon gesprochen, dass Trinus einem Jäger in die Arme gelaufen war. Wer trieb sich denn sonst im Dollart rum? Entweder Fischer, die Reusen leerten, oder eben Jäger. Warum sollte ein Fischer seinem Opa etwas antun? Nein, für Sven gab es keinen Zweifel!

      Er musste in diesen inneren Kreis der Jäger eindringen, ihr Vertrauen gewinnen, um Antworten zu erhalten. Da hatte er aber ein Riesenproblem. Ohne weiteres würde er nicht Mitglied bei denen werden. Er war schließlich ein Fremder aus Süddeutschland. Auch dabei musste ihm Kuno helfen.

      Sven Richter griff zum Telefon.

      Tag 3,

      ein Bauernhof im nördlichen Rheiderland

      Kuno Hortema legte den Hörer auf, in Gedanken noch bei seinem Kameraden Sven Richter. Das schlechte Gewissen stellte sich immer ein, wenn er an diesen Zwischenfall in Afghanistan dachte. Ja, hätte Sven damals nicht so schnell reagiert, dann stünde der Name Kuno Hortema jetzt auch auf dem Ehrenschrein für gefallene Kameraden in Afghanistan.

      Sie waren gute Kameraden gewesen bis zu diesem verhängnisvollen Tag. Danach hatte sich Sven verändert. Niemand hatte ihn damals erreichen können; auch seine Versuche, Sven aus diesem Emotionsloch herauszuholen, waren gescheitert. Dann hatte man Sven auf diesen Übungsplatz abgeschoben. Kuno atmete schwer, als er daran dachte, dass er den Kontakt zu Sven verloren hatte. Die Wahrheit war, dass Kuno alles vergessen wollte, was in Afghanistan passiert war. Dazu hatte auch Sven gehört.

      Kuno gab sich innerlich einen Ruck. Jetzt konnte er etwas für seinen Kameraden tun. Etwas von der Schuld abtragen. Er würde das kleine Ferienhaus neben dem Bauernhof für Sven herrichten, seinen Vater überreden, ihn einzustellen, und ihn auch in der Freizeit nicht hängen lassen. Die Aufnahme in den Hegering war nicht einfach, aber die Kameradschaft würde Sven sicher gut tun.

      Aber eins nach dem anderen, zunächst lag das Gespräch mit seinem Vater vor ihm. Das würde ebenfalls nicht einfach werden, Hero Hortema war ein schwieriger Mensch. Manchmal dachte Kuno, sein Vater sei eine gut funktionierende Maschine. Keine Gefühle, berechnend und gnadenlos, wenn es um seine Interessen ging. Er war ein Polderfürst, der Hegeringleiter der hiesigen Jäger und Chef der Sielacht. Alle Konkurrenten um diese Ämter hatten schnell begriffen, dass man Hero besser nicht im Wege stand.

      Kuno atmete tief durch und ging zum Büro, wo sein Vater zu dieser Zeit immer anzutreffen war. Er klopfte an die Tür und trat ein.

      In dem kleinen Büro saßen sein Vater und seine Mutter, Lini. »Was willst du?«, fragte Hero Hortema schlecht gelaunt.

      Kuno räusperte sich und erklärte die Situation.

      »Nur um das mal klarzustellen«, Heros Stimme klang eiskalt, »ich soll einem Fremden das Ferienhaus langfristig überlassen, ihn einstellen und in den Hegering aufnehmen?«

      »Genau, Vater. Es ist kein Fremder, sondern der Mann, der mir das Leben gerettet hat«, sagte Kuno. »Außerdem ist Sven ein fleißiger und geschickter Handwerker!«

      »Ich bin auch der Meinung, dass wir diesem Sven sehr viel schulden«, sagte Lini Hortema mit fester Stimme.

      Wütend sah Hero seinen Sohn und seine Frau abwechselnd an. »Ihr seid euch ja wohl wieder mal einig. Aber du, Kuno, du bürgst mir für deinen Freund! Geld bekommt er erst einmal nicht und wenn er Mist baut, schmeiße ich ihn eigenhändig vom Hof. Lebensretter hin oder her.«

      Tag 4,

      Spanien, Costa Brava, Küste am Mittelmeer

      Maike de Buhr spazierte über ihren Lieblingsstrand. Es war später Nachmittag und die Sonne brannte nicht mehr so heiß. Sie liebte es, barfuß durch Wasser zu laufen, immer an der Wasserkante entlang. Die Küste verlief in einem weiten Bogen. Die lange Bucht war von Hügeln umgeben. Am kilometerlangen Strand befanden sich drei große Campingplätze.

      Das klare, warme Meerwasser umspülte Maikes Füße. Sie atmete tief ein und aus und genoss die Zeit für sich alleine. Ihr Vater und seine Freundin Karin saßen bestimmt auf der Terrasse. Karin gehörte das Ferienhaus in den Hügeln an der Costa Brava. Maikes Vater Johann de Buhr hatte Karin am Uphuser Meer kennen und lieben gelernt. Wie Pech und Schwefel, die beiden, dachte Maike. Karin hatte sie eingeladen, damit sie sich von dieser Autoabgasvergiftung erholen sollte. Ihr Lächeln verschwand, als sie daran dachte, wie knapp sie bei ihrem letzten Einsatz dem Tod von der Schippe gesprungen war. Die spanische Luft würde ihrer angegriffenen Lunge sicher gut tun.

      Aber Maike saß zwischen zwei Turteltauben, und heute Morgen war es besonders schlimm gewesen. Karins gute Laune ging ihr langsam auf den Keks. Ständig sah sie Maike an und lächelte dabei. »Hab ich Marmelade an der Schnute kleben?«, hatte Maike schließlich schlecht gelaunt gefragt. Dauernd hatte sie das frisch verliebte Paar vor Augen und sie saß ohne ihren Jan daneben. Prima, tolle Wurst, da konnte einem ja schon mal die gute Stimmung abhandenkommen. Als auch noch ihr Vater angefangen hatte, ihr Blicke zuzuwerfen und zu grinsen, hatte Maike beschlossen, es sei Zeit für den zweiten Spaziergang am Strand – und zwar allein. Und dann hatte ihr Vater mit Karin vor dem Haus gestanden und ihr nachgesehen. Maike hatte sich noch einmal umgedreht und bemerkt, wie die Turteltauben um die Wette lachten. Sie hatte die Augen zum spanischen Himmel verdreht und tief ein- und ausgeatmet, so wie es ihr der Arzt verordnet hatte.

      Am Strand waren viele Leute unterwegs. Maike beobachtete, wie Surfer mit dem Wind und ihrem Brett kämpften. Kleine Kinder buddelten im Sand und andere Menschen lagen tief entspannt auf dem warmen Strand.

      Beim dritten Campingplatz drehte sie meist um. Heute wollte sie etwas weiter gehen. Die Luft flimmerte vor Hitze. Ihre Gedanken waren wieder bei Jan Broning. Was machte er gerade, und dachte er auch an sie? In diesem Moment sah sie ihn tatsächlich, nur undeutlich, wie eine Fata Morgana.

      Der Mann, der ihr entgegenkam, hatte große Ähnlichkeit mit Jan. Und dann begann die Fata Morgana ihren Namen zu rufen und rannte auf sie zu. In diesem Moment begriff sie und begann ebenfalls zu rennen. Kurz darauf lagen sie sich in den Armen.

      »Jan, kneif mich, ich kann nicht glauben, dass du tatsächlich hier bist!«

      »Ich weiß was Besseres als kneifen.« Er küsste sie auf den Mund.

      »Wieso … womit … woher?«, stammelte sie.

      Jan lachte und drückte sie fest an sich. »Weil ich Sehnsucht nach dir hatte, mit einem geliehenen Wohnmobil … und woher ich wusste, dass ich dich am Strand treffen kann …?«

      »Karin!«, beantwortete sie seine Frage. »Sie hat dir erzählt, dass ich hier immer spazieren gehe. Deshalb haben sie sich heute Morgen so komisch verhalten. Na, wartet …«

      »Sei ihnen nicht böse«, sagte Jan gut gelaunt. »Sie mussten mir versprechen, nichts zu verraten, es sollte doch eine Überraschung werden.«

      Hand in Hand gingen sie weiter. Immer wieder blieben sie stehen, um sich zu umarmen und zu küssen.

      »Du, Jan«, flüsterte Maike, »ich möchte mit dir allein sein. Richtig allein.«

      »Das Wohnmobil steht da vorne auf dem Campingplatz«, sagte er mit rauer Stimme.

      »Na, worauf warten wir noch«, lachte sie, »ich möchte es mir von innen ansehen.«