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Betreuung und Pflege geistig behinderter und chronisch psychisch kranker Menschen im Alter


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mehr Zeit als die Übernahme der Aktivitäten durch den Mitarbeiter. Wenn Kompetenzen erhalten werden sollen – Selbstständigkeit und Selbstverantwortung sind wesentliche Elemente von Lebensqualität auch bei Menschen mit geistiger Behinderung – dann ist ein größerer altersbedingter Zeitaufwand in den täglichen Verrichtungen einzukalkulieren.

      1.8.4 Das Bedürfnis nach Aktivität

      Dieses Bedürfnis kann nach dem Übergang in den Ruhestand in optimaler Weise in tagesstrukturierenden Angeboten erfüllt werden, die eine dem Alter und der Behinderung des Bewohners individuell angepasste Tätigkeit oder angemessene körperliche Aktivität ermöglichen. Dem Bedürfnis nach sozialen Kontakten, nach Selbstständigkeit und nach selbstverantwortlichem Handeln sollte auch in diesem Rahmen entsprochen werden. Mit dem Übergang in den Ruhestand verlassen geistig behinderte Menschen einen zweiten Lebensraum, der ihr Leben häufig über Jahrzehnte geprägt hat. Die Arbeit in der Werkstatt strukturiert den Tagesablauf, es sind Freundschaften geschlossen worden, die die Bewohner über Jahre begleitet haben, und die Tätigkeit gibt den Bewohnern die Gewissheit, nützlich zu sein. Die Vielfalt der Beschäftigungen und der Kontakte verleihen dem Leben einen Sinn. Im Ruhestand ist der Lebensradius der Bewohner häufig auf die Wohngruppe reduziert, insbesondere wenn Einschränkungen der Mobilität vorhanden sind. Ein zweiter Lebensbereich kann durch das Angebot von tagesstrukturierenden Maßnahmen außerhalb der Wohngruppen geschaffen werden. Die Angebote sind den individuellen Fähigkeiten der Bewohner anzupassen, und für alle, die daran teilnehmen wollen, ist der Zugang zu ermöglichen.

      1.8.5 Das Bedürfnis nach individueller Zuwendung und Betreuung

      Dieses Bedürfnis wird ergänzt durch die Bedürfnisse nach Anerkennung und Wertschätzung, nach Hilfe bei Neuorientierung sowie bei der Bewältigung von Verlusten, von Erkrankungen und bei der Auseinandersetzung mit Sterben und Tod. Die Begleitung von älteren Menschen mit geistiger Behinderung in den letzten Jahren ihres Lebens kann sich nicht auf die körperliche Pflege allein beschränken. Betreuen/Pflegen heißt auch, Hilfestellung zu geben, wenn Belastungen im Alltag nicht bewältigt werden können, gemeinsam die Fülle eines Lebens zu sichten und die Ernte einzufahren, damit ein Sterben in Zuversicht möglich ist. Dies wiederum können nur Betreuer leisten, die mit dem Bewohner und seiner Lebensgeschichte und aufgrund ihrer beruflichen Ausbildung mit den Techniken der Gesprächsführung vertraut sind. Die psychosozialen Aspekte von Betreuung und Pflege werden nach wie vor unterschätzt und sind häufig auch nicht vorgesehen, da diese Dimensionen der Pflege nicht durch die Kategoriensysteme der Qualitätssicherung erfasst werden können. Ihre Bedeutung ist deswegen jedoch nicht geringer als die der körperlichen Pflege, beide Bereiche sind unerlässlich für das Wohlbefinden der Bewohner.

      Die »Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland« (Jacobi et al. 2014) erlaubt repräsentative Aussagen zur Prävalenz psychischer Erkrankungen in der BRD. Die Erhebungen schließen allerdings institutionalisierte Personen, wie beispielsweise Menschen in stationärer Betreuung, aus. Die 12-Monats-Prävalenz1 psychischer Störungen beträgt insgesamt 27,7 %. In Tabelle 5 sind die Prävalenzen einer Auswahl psychischer Erkrankungen nach Geschlecht dargestellt.

      Bei etwas mehr als der Hälfte der Befragten wurde eine einzelne Diagnose dokumentiert, bei einem Fünftel zwei, zehn Prozent zeigen drei, bei 13 % wurden vier und mehr Diagnosen festgestellt. Psychische Störungen treten am häufigsten in der Altersgruppe der 18- bis 34-Jährigen mit 36,7 % auf, seltener bei den 65- bis 79-Jährigen mit 20,3 %. Bei niedrigem sozio-ökonomischem Status finden sich bei 37,9 % psychische Erkrankungen, bei hohem sind es 22 %.

      Die Wahrscheinlichkeit, im Laufe des Lebens an einer Schizophrenie zu erkranken, liegt bei etwa 1 % der Gesamtbevölkerung (Häfner 2005, S. 187; Weyerer/Bickel 2007, S. 162). Bei 85 % aller Patienten mit Schizophrenie ist die Erkrankung erstmals vor

      Tab. 5: Prävalenz psychischer Erkrankungen nach Geschlecht. Auswahl (nach Jacobi et al. 2014)

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      StörungenFrauenMännerGesamt

      dem 45. Lebensjahr aufgetreten. Obwohl die Prävalenz schizophrener Erkrankungen gering ist, sind diese Patienten in stationären Einrichtungen überrepräsentiert. Es handelt sich dabei um Menschen mit einer schweren psychischen Erkrankung, deren Anteil an der deutschen Bevölkerung 1 % bis 2 % beträgt (Gühne et al. 2015). Diese Patienten zeichnen sich dadurch aus, dass bei ihnen eine schwere psychische Erkrankung vorliegt, deren Behandlung seit mindestens zwei Jahren besteht, und die aufgrund der Erkrankung schwere psychosoziale Beeinträchtigungen aufweisen, beispielsweise in Ausbildung und Beruf, in Familie und Freizeit oder bei Alltagsfertigkeiten. Der Anteil psychisch schwer kranker Menschen an der Gesamtheit der schwerbehinderten Menschen beträgt 7 %, davon leiden 42 % an einer Schizophrenie oder Psychose, 47 % an einer Neurose, Persönlichkeits- oder Verhaltensstörung, weitere 11 % entfallen auf Suchtkranke.

      Der Kommunalverband für Jugend und Soziales Baden-Württemberg (KVJS) (2014) hat 2011 die Situation von Menschen mit chronisch psychischen Erkrankungen in Pflegeheimen untersucht. Eine Stichprobe von 1643 Personen – das entspricht 31 % der Gesamtheit der Empfänger von Hilfe zur Pflege in Pflegeheimen – wurde vertiefend analysiert. Es wurden alle Altersgruppen bis unter 65 Jahren einbezogen, 56 % der Patienten waren 55 Jahre und älter.

      Bei dieser Personengruppe lag in 62 % der Fälle primär eine psychische Erkrankung oder Verhaltensstörung vor. In 27 % fanden sich körperliche Einschränkungen, dazu gehören Zustände nach Schlaganfall, ganz- oder halbseitige Lähmungen und Krebserkrankungen, in 15 % bestand zusätzlich eine psychiatrische Nebendiagnose. In 11 % konnte keine Diagnose ermittelt werden.

      Menschen mit Schizophrenie bilden mit 38 % die größte Gruppe der psychisch kranken Menschen, die Hilfe zur Pflege erhalten, in Wohnheimen der Eingliederungshilfe sind sie anteilmäßig mit bis zu 60 % anzutreffen. An zweiter Stelle stehen mit 32 % Menschen, die chronisch mehrfach beeinträchtigt und abhängigkeitskrank sind (CMA), die einen hohen Pflegebedarf aufweisen. Aufgrund eines Alkoholmissbrauchs oder Missbrauchs von illegalen Drogen oder Medikamenten haben sie schwere Folgeerkrankungen entwickelt wie Leberzirrhose, Schäden des zentralen und peripheren Nervensystems, Inkontinenz, zeigen häufig Verwahrlosung und Orientierungslosigkeit. Es folgt mit 12 % die Gruppe der Menschen mit Demenzen und Hirnschäden, die wegen komplexer Krankheitsgeschichten und schwieriger sozialer Verhältnisse bei Einschränkung der Kognition im Alltag nicht zurechtkommen.

      Je mehr körperliche Einschränkungen vorliegen, desto höher ist die Pflegestufe2, je höher der Anteil an psychiatrischen Erkrankungen, desto niedriger ist die Pflegestufe, in Pflegestufe 0 haben chronisch psychisch kranke Menschen einen Anteil von 88 %.

      Nach Angaben des KVJS und der Dokumentation des Gemeindepsychiatrischen Verbunds lebten 2011 mehr psychisch kranke Menschen in Pflegeheimen (5 187 Personen) als in Wohnheimen der Eingliederungshilfe (4 688 Personen). Etwa ein Drittel der psychisch kranken Menschen haben eine weitere somatische Nebendiagnose, sie macht möglicherweise Behandlungspflege erforderlich, die in der Eingliederungshilfe nicht immer vorgehalten werden kann. Die Entscheidung für ein Pflegeheim kann auch vom Patienten getroffen werden, wenn er in die aktive Beteiligung an Aktivitäten, wie sie im Tagesablauf in der Eingliederungshilfe üblich ist, nicht eingebunden werden möchte.

      Die durchschnittliche Lebenserwartung ist im Vergleich zur Gesamtbevölkerung bei chronisch psychisch kranken Menschen deutlich vermindert. Laursen et al. (2014) schätzen die Verkürzung der Lebenserwartung von an Schizophrenie Erkrankten auf etwa 10 bis 25 Jahre. Die Übersterblichkeit führen sie auf vier Ursachen zurück:

      • Somatische Erkrankungen treten häufig bei Patienten mit Schizophrenie auf, werden oft erst spät erkannt und unzureichend behandelt.

      • Bei antipsychotischen