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Kritisches Denken


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Kritiker schlechthin ansprechen darf. Kritik der Vernunft – und dabei unter anderem auch Kritik der Gesellschaft – ist das Programm, das damit in den Blick gerät.

      Zeitalter der Aufklärung und der Kritik – Annäherung an Immanuel Kant

      Der Begriff der Kritik ist einer der grundlegenden philosophischen Methodenbegriffe. Entscheidend ist in der Philosophie immer, dass man sich im Nachdenken über die Probleme, die zum Nachdenken veranlassen, reflexiv auch über die Voraussetzungen und die Methode(n) dieses Nachdenkens verständigt. Kritik der verwendeten Begriffe, kritische Reflexion auf einen jeweils erreichten Stand der Klärung, kritische Revision früherer Phasen der Forschung und Auseinandersetzung: Kritik ist das Element allen problembewussten Denkens, aller Theorie. Sucht man nach einem exemplarischen Beispiel, an dem man sich vor Augen führen kann, wie das zu verstehen, wie diese Einsicht umzusetzen ist, dann ist man gut beraten, auf Immanuel Kant (1724-1804) zurückzugehen.

      Die Aufklärung, diese intellektuelle Bewegung, die dem 18. Jahrhundert seinen Epochen-Namen gegeben hat und die in ganz Europa auf die Befreiung des Menschen auf der Grundlage einer Läuterung des Wissens und Reform des Denkens abzielte, war auf ihrem Höhepunkt, und Kant war schon ein Mann von 60 Jahren, er hatte sich seinen Ruf als rücksichtsloser Kritiker der traditionellen Metaphysik schon erarbeitet,1 als er 1784 in seinem berühmten Aufsatz in der Berlinischen Monatsschrift auf die Frage, ob „wir“ denn „in einem aufgeklärten Zeitalter“ lebten, die Antwort gab: „Nein, aber wohl in einem Zeitalter der Aufklärung.“2 Was meint Kant mit seinem Programmbegriff, und in welchem Verhältnis steht der Anspruch auf Aufklärung zum Begriff der Kritik?

      Aufklärung ist ein Prozess der Erweiterung des Wissens, des Bewusstseins und der Denkungsart. Mit diesem altmodischen Ausdruck „Denkungsart“, den man auch mit „Gesinnung“ oder „Bildung“ wiedergeben kann, ist die grundsätzliche Einstellung gemeint – die gleichermaßen theoretische wie praktische Einstellung gegenüber den Dingen, den anderen Menschen, der Welt und nicht zuletzt auch gegen sich selbst. Dass es im Prozess der Aufklärung zwar um Belehrung, Kenntnisse, Wissenszuwachs geht, aber niemals bloß um sie, sondern dabei immer zugleich um die Art und Weise, wie ich damit umgehe, was ich daraus mache, wie ich bereit bin, mich nach meinen Einsichten auch zu richten – das soll dieser Begriff der Denkungsart kenntlich machen: Was nützen alle Kenntnisse, wenn sie bloßes Kreuzworträtselwissen bleiben und ich nicht imstande bin, selbstständig Zusammenhänge herzustellen und zu bedenken? Was nützt ein enzyklopädisches Wissen, wenn es mich zu einer Art von wandelndem Lexikon macht, ich dabei aber nicht imstande bin, in der komplexen, unübersichtlichen Wirklichkeit meine Interessen wahrzunehmen, meine eigenen Entscheidungen zu treffen, mein Leben selbstständig zu führen? Was nützt Wissenschaft aller Art, wenn der Horizont meines Denkens verstellt ist, wenn ich eine engstirnige, illiberale und intolerante Person bin, die in jeder kommunikativen Herausforderung versagt, jede Abweichung vom Vertrauten als Angriff empfindet, den Andersdenkenden verachtet, den Bettler vom Hof jagt, in jedem Fremden einen Abgesandten der Finsternis vermutet? Aufklärung ist niemals bloß Anhäufung von Wissen, sondern immer auch Einübung in den angemessenen Umgang damit, Erschließung eines Horizontes, liberale Gesinnung. An zwei Stellen dieses kurzen Aufrisses wurde bereits in voller Absicht das Prädikat „selbstständig“ verwendet, einmal im selbstständigen Umgang mit Wissen, das andere Mal in der selbstständigen Lebensführung. Damit soll darauf hingewiesen sein, dass Aufklärung, so wichtig auch die Läuterung des Wissens und Reform des Denkens ist, niemals bloße Theorie bleiben kann, sondern immer auch Auswirkungen auf die Praxis, das Handeln hat.

      Die Befreiung des Menschen auf der Grundlage einer Läuterung des Wissens und Reform des Denkens – es gibt keine Formel, durch die auch die Philosophie Kants in ihrem programmatischen Anspruch auf die Einheit von theoretischer und praktischer Verbesserung des Menschen besser umschrieben wäre. Wenn Kant in seinem Aufsatz die Aufklärung als den „Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit“ bestimmt, dann hat er im Sinn, dass die Menschen, die in den zeitgenössischen Herrschaftsstrukturen unterdrückt, befangen, bevormundet sind, zunächst einmal ermutigt werden müssen, Erkenntnisse zu sammeln und den eigenen Erkenntnissen auch zu vertrauen. „Sapere aude. Habe Muth dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!“3 Und er sieht in den Verhältnissen seiner Zeit den vordringlichen Gegenstand des damit verbundenen Anspruchs auf Selbstständigkeit in der Religion. In einer Zeit, in der die Bürger in aller Regel durch Zwang der Obrigkeit die Konfession ihres Landesherrn (sei er nun Kaiser, König, Kurfürst) haben mussten (und wenn ein Landstrich durch Kriegseroberung unter eine andere Regierung fiel, dann konnte es auch nach dem Westfälischen Frieden passieren, dass die Menschen, die bis dahin Protestanten gewesen waren, sich gleichsam über Nacht als Katholiken wiederfanden – und umgekehrt), ist die Religionsfreiheit ein vordringliches Gut, für das es sich lohnt, zu argumentieren, zu streiten, sich einzusetzen. Denn es ist ganz deutlich, dass Art und Grad der Bevormundung, die durch Religionszwang bis in die innersten Belange eines Menschen ausgeübt wird, eine besonders empfindliche Art der Unmündigkeit darstellt. Entsprechend widmet Kant den größeren Teil seines Aufsatzes diesem Thema und preist den großen preußischen König, der als Erster den Ehrentitel eines aufgeklärten Monarchen verdient habe, weil er dekretiert hat, dass in seinem Land jeder nach seiner Façon selig werden solle – also: jeder selbst entscheiden können solle, welcher Religion er angehören will. Die Religion, so findet Kant, ist das exemplarisch ausgezeichnete Feld der Mündigkeit, nach der der freie Mensch als Bürger strebt – exemplarisch, und damit nicht das einzige. Von hier ausgehend, nach dem Modell der Religionsfreiheit soll in allen Bereichen des Lebens die Idee der Aufklärung umgesetzt werden.

      An Kants Stellungnahme zu diesem Herzstück der aufgeklärten, eigenverantwortlichen Lebensweise wird deutlich, welche Rolle der methodische Ansatz der Kritik in seiner Philosophie spielt. Ebenso gut kann man sagen: Es ist der für Kants gesamtes Werk grundlegende Gedanke der Kritik, der sein Denken als genuin aufklärerisch ausweist. Schon 1781 hatte Kant in der Kritik der reinen Vernunft den Anspruch der Vernunftaufklärung auf den Punkt gebracht, indem er formuliert:

      Unser Zeitalter ist das eigentliche Zeitalter der Kritik, der sich alles unterwerfen muß. Religion durch ihre Heiligkeit und Gesetzgebung durch ihre Majestät wollen sich gemeiniglich derselben entziehen. Aber alsdann erregen sie gerechten Verdacht wider sich und können auf unverstellte Achtung nicht Anspruch machen, die die Vernunft nur demjenigen bewilligt, was ihre freie und öffentliche Prüfung hat aushalten können.4

      Freie und öffentliche Prüfung – das ist das Leitmotiv des kritischen Denkens. Was stellt sich aber Kant unter Kritik vor? Kritik ist ein Lehnwort aus dem Griechischen (krinein = unter/entscheiden, beurteilen), und es bedeutet die methodische Einschätzung nach begründeten Maßstäben. Während für uns heute umgangssprachlich der Ausdruck meistens mit der negativen Bewertung identifiziert wird (so dass wir etwa sagen: Sie steht dem ganzen Plan kritisch gegenüber, wenn wir meinen: Sie hält nichts davon), meint der philosophische Sprachgebrauch gleichermaßen die Abwägung von Wert und Unwert; gemeint ist grundsätzlich die Erörterung von Geltungsansprüchen.

      Die einzige Autorität, deren Anerkennung bei der allseitigen Kritik der Geltungsansprüche (von Religion, Gesetzgebung, also: Politik – und Kant hätte umstandslos auch die Wissenschaft noch hinzufügen können) vorausgesetzt wird, ist die Vernunft als Instanz des Erkennens, des Denkens und Urteilens. Das aber wäre eine Inkonsequenz – wenn es denn so gemeint wäre, dass dabei die Vernunft im toten Winkel der Orientierung bliebe. Man kann nicht alles und jedes mit den Mitteln und Ansprüchen der Vernunft kritisieren, und die Vernunft selbst unkritisiert einfach so voraussetzen. Die Frage muss schon auch lauten, ob die Vernunft das, was ihr da als Leistung unterstellt wird, auch zu leisten vermag. Und eben diese Frage und die kleinteiligen Einzelfragen, die daran hängen, stellt Kant in dem Buch vor, in dessen Vorrede er vom Zeitalter der Kritik spricht – das heißt auch: Diese Frage ist zu einem guten Teil in umfänglichen Analysen bereits beantwortet, wenn er 1784 dann Mut machen will, dass sich der Mensch seines eigenen Verstandes bediene.

      Kants Programm der Vernunftkritik

      Kants gesamtes Werk ist der Kritik gewidmet – der Kritik derjenigen Fähigkeiten,