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Kritisches Denken


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hat“8, bedeutet auch, die eigenen Selbstbeschreibungen und Darstellungsformeln dergestalt kritisch an die Bestimmungen ihrer Gehalte zu knüpfen, dass damit zugleich auch immer das Problem der Bestimmung ihrer gegenwärtigen (gesellschaftsrelevanten) Aufgabe bedacht ist. Damit kommt der Frage als modus operandi der Bedingungsmöglichkeit für das Ereignen gesellschaftlicher Wirkungseffekte ein Prozesscharakter zu, durch den das Fragen selbst unabgeschlossen bleibt und nicht in einer letztgültigen Antwort stillgestellt werden kann.9 Bezeichnenderweise hat Foucault diese Unabschließbarkeit auch für die Kritik betont, wenn er diese als ein „Projekt“ bezeichnet, „das sich unablässig formiert, sich fortsetzt und immer wieder von neuem ersteht […].“10.

      Frage und Kritik, darauf haben die bisherigen Ausführungen hindeuten wollen, stehen also seit Kant und der Koppelung des kritischen Projekts der Aufklärung an den historischen „Einfall der Frage selbst“11 in einem produktiven Wechselverhältnis. Bekanntlich hat dieses Wechselverhältnis bei Kant drei Fragedimensionen: 1. Anthropologisch: Auf dieser ersten Ebene betrifft das Fragen ganz allgemein (und überhistorisch) die menschliche Vernunft, denn diese wird, so Kant, „durch Fragen belästigt […], die sie nicht abweisen kann.“12 Hier ist das Fragen an die menschliche Konstitution als solche gebunden und gehört elementar zu unserem Dasein. 2. Historisch: Auf dieser Ebene betrifft das Fragen den bereits angezeigten historischen Einschnitt um 1800. Mit der Frage Was ist Aufklärung? wird das Fragen selbst zu einem spezifischen historischen Ereignis. 3. Metaphysisch/Erkenntnistheoretisch: Hier leitet das Fragen nach den Möglichkeiten und Grenzen der Erkenntnis – besonders durch die Frage „Wie sind synthetische Urteile a priori möglich?“13 – Kants großes kritisches Projekt ein. Gerade mit dieser letzten Fragerichtung nach den Bedingungen der Möglichkeit von Erkenntnis wird, so Foucault, allerdings im Anschluss an Kant im 19. und 20. Jahrhundert das Projekt der Aufklärung auf eine spezifische Form von Kritik verkürzt, sodass die politische Dimension der Aufklärung zugunsten eines Wahrheitsdiskurses und dessen „Konstituierungs- und Legitimationsbedingungen“14 eingeschränkt wird. Dann geht es nicht mehr um die kritische Reflexion der gesellschaftlichen Verhältnisse, sondern nur noch um die Immunisierung eines Denkens der Wahrheit gegenüber jeglicher gesellschaftlicher Implikation. Die Voraussetzung dieses Wahrheitsdiskurses liegt in einem substanzialisierten, a-historischen Bild der Wahrheit, das nur noch eine Frage zu formulieren vermag: „[W]elche falsche Idee hat sich die Erkenntnis von sich selbst gemacht […]?“15 Foucaults Gegenperspektive zu diesem Diskurs manifestiert sich in der Forderung nach einer kritischen „Ontologie der Gegenwart“16, die der historischen Verschränkung von Macht und Wissen Rechnung trägt.

      Vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Situation an den Universitäten und speziell in den Geisteswissenschaften lässt sich sagen, dass die Gegenspielerin (und Verbündete?) dieses a-historischen Wahrheitsbildes heute wohl weniger eine kritische Hinterfragung der Gegenwart ist als die Einfassung der Wissenschaft in eine Zweck-Mittel-Logik und in ein Verwertungskalkül, das das Fragen nicht offen hält, sondern permanent seine Nützlichkeit zu berechnen versucht. Die nachfolgenden Beiträge erheben daher auch nicht den Anspruch, Foucault im Versuch einer kritischen Ontologie zu folgen, sondern wollen vielmehr bei der Fraglichkeit der Frage noch einen Moment innehalten und den Fokus auf die (inter-)disziplinären Wirkungseffekte legen, die sich möglicherweise mit einer kritischen Perspektive auf die geisteswissenschaftliche Praxis des Fragens ergeben. Dabei scheint jedoch eins zunächst unhinterfragt zu gelten: Sowohl das Fragen als auch die Kritik, meist sogar in ihrer Verknüpfung als kritisches Hinterfragen, scheinen an Universitäten nicht zu fehlen. Im Gegenteil: Niemand würde wohl bestreiten, dass Kritikfähigkeit (im doppelten Sinne) grundlegend als soft skill im Studium erworben werden soll, wenngleich kritisch angemerkt wird, dass gerade die Rahmenbedingungen dieses Studiums kaum mehr Raum dafür lassen. Doch welche Art kritischen Fragens wird überhaupt adressiert? Wer stellt die Fragen? Wer verfügt über das Fragen und die Zeit, die das Formulieren von Fragen benötigt? Und was bedeutet es für die Geisteswissenschaften, sowohl für ihre interne Selbstverständigung als auch für die Inszenierung nach außen, wenn die grundlegende Eigenschaft des geisteswissenschaftlichen Fragens in ihrer Offenheit und konstitutiven Unabgeschlossenheit liegt? Wie legitimiert es sich, wenn sie sich qua Selbstverständnis einer unmittelbaren Verwertung entzieht und sich gesellschaftliche Wirkungseffekte, wenn überhaupt nur äußerst vermittelt und unvorhergesehen einstellen? Diese Frage der Verwertung und Nützlichkeit, die allzu oft als Bedrängnis empfunden und nicht als solche kritisch benannt, sondern euphemistisch als Frage nach der Bedeutung abgelenkt wird, markiert genau die Einsatzstelle des notorischen und omnipräsenten Krisendiskurses in den Geisteswissenschaften.

      Den folgenreichsten Beitrag zur Frage der Geisteswissenschaft und letztlich auch zu ihrer Krise hat in den letzten Jahren Jacques Derrida mit seinem Bekenntnis zur unbedingten Universität geliefert. Derrida antwortet auf die neuen Herausforderungen der Geisteswissenschaften17 mit einem Bekenntnis zur „Verantwortung“18, die in der Ausübung der geisteswissenschaftlichen Praxis an den Universitäten liegt; mithin einer Verantwortung im Verhältnis von Wissen und Denken innerhalb eines Prozesses der Globalisierung, der Wissen selbst zu einer ökonomischen Ressource macht. Es lässt sich feststellen, dass das Plädoyer für eine unbedingte Universität im Anschluss an Derrida als Perspektive für die Geisteswissenschaften mittlerweile gleichwertig neben den unentwegt reproduzierten (Meta-)Diskursen über die Krise der Geisteswissenschaften steht. Der Diagnose eines scheinbar unauflösbaren Zusammenhangs von allgemeiner Verwertungslogik an den Universitäten und Bedeutungsverlust der Geisteswissenschaften widerspricht Derrida dabei mit einer Forderung: „Die Universität müßte also auch der Ort sein, an dem nichts außer Frage steht“.19 Diese immer wieder aufgerufene Forderung verspricht als Möglichkeit eines gesteigerten Selbstbewusstseins zwar zunächst einen potenziellen Bedeutungsgewinn in der geisteswissenschaftlichen Selbstreflexion, hält allerdings einen konkreten Bezug offen. Vielmehr stellt die Forderung sogar „noch die Form und Autorität der Frage, die Form des Denkens als Befragung“20 zur Diskussion. Das In-Frage-Stellen der Autorität des Fragens ließe sich, vielleicht ohne damit Derridas eigener Argumentation stricto sensu zu folgen, an dasjenige knüpfen, was er über das „Souveränitätsphantasma“, das „Phantasma der souveränen Verfügung“21 sagt. Dann ließe sich ein Unterschied im Fragen aufzeigen, der das (kritische) Fragen als soft skill vom Fragen als radikale Vollzugsform geisteswissenschaftlicher Kritik trennt. Dem souveränen Fragen (und der Praxis seiner Einübung) liegt ein Bild vom Subjekt zugrunde, das dergestalt über das Objekt der Frage verfügt, dass es dieses uneingeschränkt anzusprechen vermag. Es verfügt in der Frage über dieses Objekt, ohne selbst konstitutiv in das Fragen eingeschlossen zu sein. Eine kritische Denkarbeit, die die Fraglichkeit der Frage hervorhebt, muss hingegen die konstitutive Involviertheit des Subjekts in die Frage mit einbeziehen. Das Subjekt wird somit selbst Teil der Fragen: Warum stelle ich diese Fragen? In welchen diskursiven Zusammenhängen steht das Fragen? Welche Blickrichtungen und -bahnen werden dadurch abgelenkt? Die Einbeziehung des Subjekts in das Fragen betrifft dann gleichermaßen die Objekte und die Haltung des Subjektes zu seinem Gegenstand, der Disziplin, den institutionellen Rahmenbedingungen.

      Diese kritische Frage nach dem Subjekt des Fragens klingt bereits in Max Webers berühmtem Vortrag über Wissenschaft als Beruf an, indem er auf den heiklen Punkt des selbstreflexiven Moments in der Frage nach der Frage hinweist und implizit eine Frage aufwirft, der meist nur in den unterschiedlichen Facetten der geisteswissenschaftlichen Krisendiskurse des Sinns begegnet wurde:

      Die Tatsache, daß sie [die Wissenschaft] diese Antwort [nach dem Sinn] nicht gibt, ist schlechthin unbestreitbar. Die Frage ist nur, in welchem Sinne sie ‚keine‘ Antwort gibt, und ob sie stattdessen nicht doch vielleicht dem, der die Frage richtig stellt, etwas leisten könnte.22

      Die Abwesenheit des Fragezeichens am Ende des zitierten Satzes ins Licht geisteswissenschaftlicher Selbstreflexion zu rücken, ist der Anspruch der nachfolgenden Beiträge. Diese Frage lautet: Was kann das Fragen leisten, das nicht auf eine letztgültige Antwort zielt? Im besten Falle stellt sie, so die These der nachfolgenden Beiträge, die unhinterfragte disziplinäre Ordnung der Dinge dergestalt in Frage, dass ihre Zusammensetzung und Organisation als erklärungsbedürftig erscheint. Das verbindet die Frage nach den Fragerichtungen der Disziplinen innerhalb eines diskursiven Rahmens mit der Kritik. Gerald Rauning hat in seiner Analyse von Foucaults Was