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Kritisches Denken


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Im Folgenden soll jedoch nicht diese Philosophie des Willens im Mittelpunkt stehen, sondern der Fragerichtung nachgespürt werden, die Nietzsche hier zugleich versuchsweise und versucherisch verschoben hat, um den Ort des Fragenden zu reflektieren. Die Verschiebung der Substanz-Frage zur Perspektiv-Frage ersetzt nicht nur eine Frageform durch eine andere, sondern rückt mit der Frage nach der konstitutiven Einbeziehung des Fragenden in die Frage sogleich die Verschiebung des Fragens durch die je perspektivisch bewegbare Blick- und Fragerichtung selbst in den Mittelpunkt: Die Frage nach dem Wer …? zeitigt eine grundlegende Reflexion darüber, wie sich das Fragen verschiebt, wenn es vom Ort des Fragenden, von seiner Konstitution und seinen spezifischen Denkvoraussetzungen ausgeht. Ich möchte daher damit beginnen, anhand eines künstlerischen Objekts, einer Rauminstallation, die in der Universitätsbibliothek Erfurt hängt, den Blick auf die Mehrdeutigkeit (→ A. Renker), die Probleme, ja vielleicht die Paradoxien des Verhältnisses von Fragen und Fragendem zu werfen, indem ich ein paar Fragen an dieses Kunstwerk richte. Es geht darum, die einfache lineare Bewegung von der Frage zur Antwort etwas durcheinander zu bringen, um so dem eigentümlichen Status des Fragens als Vollzugsform kritischer geisteswissenschaftlicher Arbeit auf die Schliche zu kommen.

      II.

      Steigt man im Foyer der Universitätsbibliothek Erfurt die Treppen zur ersten Etage hinauf, erreicht man nicht nur die Bücherregale der geisteswissenschaftlichen Disziplinen, sondern wird eher nebenbei und beim Abschreiten der Regale mit einer interessanten Installation des Künstlers Dietrich Förster konfrontiert.1 Von der Decke im Treppenauge hängen 7x7 rot lackierte Aluminiumrohre, die als Würfel arrangiert sind und sich in immer freieren Bewegungen nach oben aus einer klar strukturierten Ordnung lösen. Der Künstler kommentiert diese Bewegung folgendermaßen: „Wissenschaftlicher Fortschritt ist nur möglich, wenn es gelingt, das Fundament aus gesetzmäßig erfassbarer Ordnung zu verlassen, um in einer Art kreativem Höhenflug in noch unbekanntes Terrain vorzustoßen.“2 Für sich genommen scheint die Installation zunächst für diesen Anspruch an wissenschaftliches Arbeiten, an kritische Hinterfragung festgefügter Ordnungsmuster einen sehr gelungenen Ausdruck gefunden zu haben. Ein elementares Werkzeug dieses kreativen Vorstoßens ist dabei sicherlich das kritische Fragen, die Formulierung von Fragen, die die disziplinären Ordnungen der Dinge lockern und andere Anordnungsweisen ermöglichen. Allerdings verkomplizieren sich die Dinge, wenn man das Kunstwerk in seinem architektonischen Milieu kontextualisiert. Eine Rauminstallation steht niemals für sich allein, sondern interagiert notwendigerweise mit dem sie umgebenden architektonischen Raum. Berücksichtigt man dies, so kann festgestellt werden, dass man den besten Blick auf das Kunstwerk hat, wenn man sich auf der geisteswissenschaftlichen Etage der Universitätsbibliothek befindet. Dann aber beginnt Försters Installation nicht mit der starren Ordnung, um anschließend in immer freiere Bewegungen versetzt zu werden, vielmehr steht man am Treppenaufgang zunächst vor der freien Bewegung der Aluminiumrohre, die sukzessive in eine immer klarere Ordnung münden. Das Abschreiten der Installation steht also im umgekehrten Verhältnis zur diskursiven Beschreibung der Intention. Nun könnte man etwas böswillig mit Michel Foucaults Überlegungen zu institutionellen Disziplinierungsmechanismen behaupten, dass diese Umkehrung eine treffendere Metapher evoziert: Im Laufe des Studiums, das hier zugleich als sukzessives Abschreiten der Bücherregale (und damit als fortwährendes Akkumulieren von Wissensbeständen, d.h. als Bildungsgang) und der Rauminstallation versinnbildlicht ist, entstehen aus freien Denkern, kritisch Fragenden im doppelten Sinne disziplinierte, akademische Subjekte, die sich allmählich in feste Gefüge disziplinärer Anordnungen, abgegrenzter Zuständigkeiten, unbeweglicher Fragepositionen und -richtungen einreihen. Auf diese Lesart, die eher zu einer klassischen Institutionenkritik tendiert, möchten die folgenden Überlegungen aber gar nicht hinaus. Viel interessanter scheint die Interaktion von Kunstwerk und Bibliothek, wenn sie auf den strittigen, uneindeutigen Status kritischen Fragens in den Geisteswissenschaften bezogen wird. Dann gerät mit dieser Interaktion das Fragen selbst in eine eigentümliche Zwischenposition, in eine Zone, in der zwischen Anfang und Ende (→ S. Ludwig), zwischen Frage und Antwort als Zweck-Mittel-Relation keine klaren Grenzen zu ziehen sind, wodurch letztlich die Frage des anderen Anfangens, d.h. der anderen Fragerichtungen, der Verschiebung von disziplinären Frageausrichtungen selbst zur Disposition steht. Diese Ununterscheidbarkeit, oder besser: die Zirkularität des Fragens zwischen Anfang und Ende, Vorwärts und Rückwärts, Aktion und Reaktion, Bewegung und Stillstand scheint mir für das Nachdenken über kritisches Fragen in den Geisteswissenschaften ganz entscheidend. Sie betrifft denjenigen, der die Fragen stellt, den Denkenden in seiner perspektivischen Relation zu den Gegenständen, seine Haltung inmitten disziplinärer Anordnungen. Die Bestimmung von Anfang und Ende des Kunstwerkes in der Universitätsbibliothek Erfurt wird dann uneindeutig, wenn sie mit dem Raum in Beziehung gesetzt wird. Als Reflexionsmedium entfaltet es seine Kraft, wenn man die Frage nach Anfang und Ende zunächst unbestimmt lässt und den Fokus auf die gegenläufigen Bewegungen inmitten der räumlichen Anordnung legt, die dann stets eine Frage der sich verschiebenden Perspektive wird.

      III.

      Zunächst ließe sich probeweise behaupten, dass die Frage nach der Frage auch oder vor allem in den Geisteswissenschaften in einer konstitutiven Zirkelstruktur befangen zu sein scheint. Auch in Jacques Derridas grundsätzlichen Überlegungen zu den Vollzugsformen kritischer Arbeit an der Universität bleibt die Frage nach der „Autorität der Frage, die Form des Denkens als Befragung“1, oder wie es in seinem Buch über Heidegger, den Geist und die Frage heißt: das „Privileg des Fragens, der Frageform, des fragenden Wesens, der Würde, die sich wesentlich dem Fragen verdankt“2, selbst im Fragen eingeschlossen (→ Einleitung). Das Fragezeichen am Ende des Satzes bleibt auch in der Reflexion über abendländisch-philosophische Fragepraktiken noch modus operandi der kritischen Hinterfragung. Ein unentrinnbarer Zirkel? Die angedeutete Gegenbewegung zwischen Kunstinstallation und architektonischem Milieu legt diese Zirkularität nahe. Eine Aporie bedeutet diese jedoch sicherlich nicht. Wenn Aporie Weglosigkeit, Methode hingegen die Wegbarkeit anzeigt, dann ist mit dem Gegenstand (dem Fragezeichen) die methodische Möglichkeit der kritischen Denkarbeit selbst schon gegeben. Es handelt sich demnach um eine (vielleicht paradoxe) Aufgabe, insofern als dass der Gegenstand hier zugleich die Methode selbst darstellt, immer schon ist. Die Frage nach dem Status und den Möglichkeiten geisteswissenschaftlichen Fragens bleibt also immer fraglich, ganz sicher aber auch (im positiven Sinne) fragwürdig. Vielleicht vermag uns Martin Heidegger, jener Philosoph, der wie kein Zweiter im 20. Jahrhundert die Frage nach dem Fragen, den Sinn des Fragens zum Problem des Denkens erhoben hat, einen ersten Anhaltspunkt für das zirkuläre Verhältnis von Gegenstand und Methode zu liefern. In Sein und Zeit betont er die Notwendigkeit, den Sinn der Frage nach dem Sein allererst wieder zu entdecken, wobei genau diese Forderung einer zirkulären Logik unterworfen zu sein scheint, da dasjenige, was als Frage erst wiederentdeckt werden soll, doch eigentlich im Fragen selbst bereits vorausgesetzt werden müsste. Auf dieses scheinbar ausweglose „Gehen im Kreise“3 antwortet Heidegger: „Das Entscheidende ist nicht, aus dem Zirkel heraus-, sondern in ihn nach der rechten Weise hineinzukommen.“4 Neben Heideggers eigener Technik des Hineinkommens als fundamentalontologische Wiederbelebung des Verständnisses nach der Frage des Sinns des Seins (also Fragen als existenzialer Seinsmodus des Daseins), die an dieser Stelle nicht weiter verfolgt werden soll, sind es vor allem zwei weitere Aspekte, die sich in diesem Zitat ausgedrückt finden: 1) Zunächst bedeutet das Im-Zirkel-Sein, dass es in Bezug auf das Fragen immer schon eine Art vorgängiges Verständnis gibt, das die Bedingungsmöglichkeiten des Fragens bestimmt. Das „Fragen nach x“ setzt demnach ein Vorverständnis voraus, ist nicht voraussetzungslos. Heidegger nennt das „vorgängige[…] Hinblicknahme“5. Dieses Vorverständnis näher in den Blick zu nehmen, kann vor allem fruchtbar werden, wenn man es kritisch mit Derridas Forderung nach dem Bedingungslosen des In-Frage-Stellens konfrontiert.6 2) Außerdem ist dieses Hineinkommen oder Immer-schon-inmitten-Sein in der Frage gerichtet gegen einen allzu schnellen Ausweg durch die Antwort. Dieser Aspekt richtet sich vor allem gegen ein Fragen, das sich einer linearen Zweck-Mittel-Relation einschreibt und die Produktion von Fragen, das kritische In-die-Frage-Stellen immer schon auf ein (bekanntes) Ziel hin restringiert. Das wäre dann sicherlich kein bedingungsloses Hinterfragen, sondern bloß immanentes Mittel einer Verwertungslogik, die dem kritischen Potenzial des anderen Fragens nicht gerecht werden kann.