klinische und gemeindepsychiatrische Versorgung einbezogen, wo sie meist zu niedrigeren Löhnen als die meisten anderen psychiatrischen Professionellen angestellt werden.
Während die unmittelbar persönliche Autorität der Ärzt_innen als einstige ›Götter in Weiß‹ abgenommen hat, wurde zugleich die psychosoziale Gesundheit als Verantwortung der Einzelnen etabliert und entgrenzt. Neben den Typus der entsubjektivierten Anstaltsinsass_innen, die es vor allem in den Heimen und in der Forensik wieder vermehrt gibt, sind die Figuren der mündigen Patient_innen und der empowerten Klient_innen getreten. Wo ›psychisch Kranke‹ noch nicht als ›austherapiert‹ gelten, sollen sie in ihrer Subjektivität gestärkt werden. Doch Subjektivieren bedeutet neben Ermöglichen auch Unterwerfen, es handelt sich daher nicht um individuelle Freiheit: analog zum Zwang andauernder kreativer Selbstverwertung entsteht ein Zwang zur psychischen und psychiatrisch initiierten Selbstregulierung. Damit sind nicht nur die Diskurse um Burnout, Stress-Resilienz und ADHS gemeint, sondern auch die Ausweitung von Ratgeberliteratur, Therapieangeboten, temporären klinischen Auszeiten und scheinbar selbstbestimmter Neuroleptikaeinnahme. Im nicht immer freiwilligen Zusammenspiel mit den psychiatrischen Professionellen und Institutionen sollen die Subjekte an der individuellen Regulierung ihrer psychischen Balance arbeiten. Der Chefarzt ist damit nicht mehr (nur) äußere Instanz, sondern wird analog zum postfordistischen Kapitalisten in das Über-Ich zumindest der Mittelschicht integriert. Es ist nur folgerichtig, dass die von der Psychiatriereform propagierte Selbsthilfe in den letzten Jahren zunehmend unter dem Schlagwort des psychiatrischen Selbstmanagements propagiert wird. Diagnosen auf Grundlage von Selbstbefragungsbögen gelten diesem Diskurs als effektiver denn die ärztlicherseits gestellten Diagnosen. Ebenso übernehmen die psychiatrischen Einrichtungen postfordistische Management-Strategien, die statt auf Verwahrung auf Case Management, statt auf persönlicher Autorität auf Sachzwang und Psychologisierung beruhen. Dass die Menschen sich tendenziell nicht nur als Patient_innen oder Klient_innen, sondern auch noch in Personalunion als Ärzt_innen begreifen sollen, lässt den früher manifesten Widerspruch zur internierenden Psychiatrie zunehmend unsichtbar werden. Vielleicht kommt daher die vielkonstatierte ›Erschöpfung‹: der Widerspruch wird kaum noch externalisiert, der Konflikt zwischen eigenen Bedürfnissen und kapitalistischen wie psychiatrischen Anforderungen muss kontinuierlich im Subjekt verhandelt werden – ein andauernder, lähmender Kampf gegen sich selbst. Ohne falschen Gleichsetzungen das Wort zu reden, scheint doch der individuelle wie kollektive antipsychiatrische Kampf ähnlich wie der proletarische Klassenkampf durch Bürokratisierung und Subjektivierung, Prävention und Integrationsversprechen eingedämmt. Wo die psychiatrische Einbindung vom Subjekt trotz allem nicht angenommen wird, stehen jedoch immer noch die altbewährten Methoden der gewaltförmigen Unterwerfung parat, die angesichts krisenbedingter Exklusion ganzer Populationen in den letzten Jahren wieder stärker in Anspruch genommen werden, z.B. in Form von Zwangseinweisungen hunderttausender Menschen. Gerhard Mutz weist darauf hin, dass aufgrund der spezifischen Verknüpfung der multipolaren psychiatrischen Strukturen »Herrschaft und Repression […] unerkannt bleiben müssen, weil [die Strukturen] sich selbst von den harten differenzierenden Techniken der Ausgrenzung distanzieren, während die gesellschaftlichen Normalitäts- und Abweichungsdefinitionen von den Individuen selbst verlangt werden« (Mutz 1983: 259). Die sozialpsychiatrisch inspirierte Psychiatriereform hat einen entscheidenden Anteil zu dieser Transformation beigetragen und damit zur Bewahrung von Ruhe und Ordnung auch in Zeiten ökonomischer Krisen. Franco Basaglia, der italienische Antipsychiater, beschreibt die sozialpsychiatrische Aufhebung der Widerstände und Stillstellung der sozialen Konflikte so:
Der neue Sozialpsychiater, der Psychotherapeut, der Sozialarbeiter […] sind nichts Anderes als die neuen Verwalter der Gewalt […]; denn durch die Abschwächung der Gegensätze […] ermöglichen sie mit ihrer vermeintlich wiedergutmachenden gewaltlosen technischen Arbeit in Wahrheit nur den Fortbestand der globalen Gewalt. (Basaglia 1971: 125)
Erst wenn dem Fortwesen dieser allgemeinen globalen Gewalt ein Ende gesetzt wurde, wird auch die Psychiatrie keine Notwendigkeit mehr beanspruchen können und ihr verdientes Ende finden.
Quellenverzeichnis
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