eigenes Zimmer oder ist dieses nicht entsprechend ausgestattet, so dass er dort ungestört Besuch empfangen und seine Hausaufgaben machen kann, sollte ein Zimmer in der Familie ausgeräumt und renoviert, sollten Möbel besorgt und das Zusammenleben den Bedürfnissen des jungen Menschen entsprechend umgestaltet werden. Die Umsetzung dieses Handlungsplans beinhaltet notwendig die Einbeziehung der ganzen Familie und die Bearbeitung von Widerständen gegen diese Veränderungen.
Einschränkender als ungünstige oder beengte räumliche Gegebenheiten können sich die eingespielten Verhaltensweisen einer Familie auswirken. Vor dem Hintergrund von Familienkulturen, die in deutlichem Widerspruch zu gesellschaftlichen Normen, zu den Ansprüchen der Bildungsinstitutionen und sogar zu geltendem Recht stehen, lässt sich die individuelle Unterstützung eines jungen Menschen manchmal kaum ansatzweise verwirklichen. Die Fördermöglichkeiten durch ambulante Einzelbetreuung sind also an die Mitarbeits- und Veränderungsbereitschaft des familiären Umfelds gebunden. Es ist nicht sinnvoll gegen die familiären Gegebenheiten anzuarbeiten, weil dieses Vorgehen den betreuten jungen Menschen in einen problematischen Loyalitätskonflikt zwischen seiner Familie und der Betreuungsperson stürzen wird. Die Arbeit mit dem jungen Menschen ist fast immer begleitet von einer beharrlichen Arbeit mit dem sozialen Umfeld.
Ein wesentlicher Teil der Aufträge bei ambulanten Einzelbetreuungen ist das Bearbeiten von Bildungs- und Ausbildungsproblemen. Daher gehören auch die Kooperation mit den entsprechenden Institutionen und das Aufsuchen der entsprechenden Lern- und Ausbildungsorte als essenzieller Teil zur Arbeit dazu.
Setting
Ambulante Einzelbetreuung ist klassische Beziehungsarbeit im Eins-zu-eins-Kontakt. Die Maßnahme richtet sich auf den jungen Menschen aus und ihre Wirksamkeit und ihr Erfolg leitet sich aus dem gelingenden und vertrauensvollen persönlichen Kontakt zwischen Betreuungsperson und dem betreuten jungen Menschen ab. Durch die Art und Weise der Zusammenarbeit kann im besten Fall eine Arbeitsbeziehung entstehen, durch die der junge Mensch in seiner Persönlichkeitsentwicklung gefördert wird und die belastende biografische Erfahrungen kompensiert.
Diese Arbeitsbeziehung ähnelt in ihrer ganzheitlichen Charakteristik alltäglichen und manchmal sogar familiären Beziehungen und enthält emotionale wie kognitive Aspekte. Die Sprache ist alltagsnah und richtet sich an den Gepflogenheiten des jungen Menschen und seines sozialen Umfelds aus. Das Verhältnis erscheint Außenstehenden manchmal erstaunlich freundschaftlich (vgl. Fröhlich-Gildhoff 2003). Die Kontaktfrequenz und die Dauer der Kontakte, die Inhalte der Gespräche und die Art der gemeinsamen Unternehmungen werden zwischen Betreuungsperson und betreutem jungen Menschen relativ frei ausgehandelt.
Doch sowohl die große emotionale Nähe als auch die Freiheit der Gestaltung beinhalten viele Verunsicherungsmomente und eine große Verantwortung für die Betreuerinnen und Betreuer, auch weil die personellen Aspekte die Arbeit sich kaum anhand[40] methodischer Richtlinien und Standards absichern lassen. Die in freier Aushandlung gefundenen Umgangsweisen und Interventionen werden durch die Fachkraft persönlich verantwortet. Die Wirksamkeit der jeweiligen Maßnahme ist eng an die Betreuungsperson und ihr Handeln gebunden. Während der praktischen Arbeit im Kontakt zum betreuten jungen Menschen kommen viele Fragen auf, deren Antworten in keinem Methodenhandbuch zu finden sind, wie die Frage, ob man sich siezen oder duzen soll, ob es unprofessionell ist, Adressatinnen oder Adressaten mit nach Hause zu nehmen und wie viel Einblick man ihnen in das eigene Privatleben gestatten soll. Die Verhaltensformen, die gültigen Regeln und Übereinkünfte des Miteinander-Umgehens sind nicht aus Konventionen und extern vorgegebenen Regeln ableitbar. Dabei ist die Grenze zwischen Privatperson und Berufsrolle schwer zu ziehen. An welchen Stellen muss man auf Einhalten der Form und Respekt bestehen, um nicht ins Laienhaft-Unprofessionelle abzudriften? Der Verlust der „professionellen Distanz“ als Signal mangelnder Expertise ist so berüchtigt wie undefiniert (vgl. Dörr, Müller 20072). Wodurch unterscheidet sich letztlich der private vom professionellen Kontakt, wenn sich die Anreden und Gesprächsformen, die Themen, die Kontaktformen annähern?
Auch aus der Perspektive des jungen Menschen ist die Situation nicht leicht einzuschätzen. Er hat ebenfalls Schwierigkeiten die Beziehung zu fassen und zu greifen: Wer ist die Betreuungsperson für ihn eigentlich? Ist er oder sie Freund, erwachsener Berater, emotionaler Elternersatz? Wie ist dieser Mensch einzuordnen, der biografische Relevanz für sich beansprucht? Mit welchen emotionalen Ansprüchen darf man ihm begegnen? Welches Vertrauen kann man ihm entgegenbringen und wie vertraut soll man sich ihm gegenüber verhalten? „Du bekommst doch Geld dafür, dass du bei mir bist!“ Dieser kritische, manchmal fragend, manchmal fordernd, manchmal auch provozierend geäußerte Hinweis junger Adressatinnen und Adressaten ist Ausdruck einer tiefen Verunsicherung, der Befürchtung, dass nichts als Geld die Beziehung zusammen hält, wodurch wichtige Kategorien wie persönliche Wertschätzung, Anerkennung und Sympathie entwertet werden. Dass die Betreuungsperson nur für Geld anwesend ist, beinhaltet eine persönliche Kränkung und verweist auf die unaufhebbare Kälte und prinzipielle Auswechselbarkeit und Beliebigkeit jeder professionellen Hilfebeziehung. Das Interesse der Fachkraft scheint nicht dem jungen Menschen als Person, sondern nur als Klienten zu gelten. Damit wird die Mühe der Betreuung anscheinend nicht um seiner selbst willen, sondern um eines beruflichen Arbeitsauftrags willen geleistet. Diese Erkenntnis kann die Bereitschaft eines jungen Menschen einschränken, sich auf die Betreuungsbeziehung rückhaltlos einzulassen, vor allem wenn er in seinem Leben viele unzuverlässige und enttäuschende Beziehungen erlebt hat.
Jede ambulante Einzelbetreuerin und jeder ambulante Einzelbetreuer muss einen eigenen Weg suchen, persönliche Nähe und professionelle Distanz zu verbinden. Leicht auflösen lässt sich dieser Widerspruch zwischen einem kühl-abwägenden, professionellen Blick und der Lebensweltnähe zu den Adressatinnen und Adressaten, der Orientierung an ihren Bedürfnissen, Wünschen und Zielen und einem vertrauensvollen Umgang mit ihnen nicht.
Die Problemlagen in der ambulanten Einzelbetreuung
Ambulante Einzelbetreuung wird selten problemspezifisch eingesetzt. In vielen Fällen bilden die Problemlagen zu Beginn der Hilfe eine diffuse und undurchsichtige Anhäufung einander verstärkender Schwierigkeiten, bei denen ein Ansatz für Veränderung[41] kaum erkennbar ist. Die Beteiligten drängen auf Unterstützung, weil es „so“ nicht weiter gehen kann. Die Eingangssituation ist durch Sachzwänge – ein drohender Schulverweis, der unbedingt abgewendet werden soll, eskalierte Konflikte, eine zugespitzte Drogenproblematik oder eine drohende Haftstrafe – dominiert. Daraus resultiert ein starker Handlungsdruck. Die Gefahr einer an schneller Entlastung orientierten und wenig inhaltlichen Hilfeindikation ist dann groß. Vielleicht wären weiter gehende Hilfemaßnahmen sinnvoller. Dafür konnte man aber weder die Eltern noch den jungen Menschen gewinnen. Eventuell war vor Ort kein geeignetes Gruppenangebot vorhanden, der junge Mensch schien zu alt für die sozialpädagogische Familienhilfe oder die Eltern stimmten dem Hilfeangebot nur deshalb zu, weil sie sich davon Erleichterung versprachen. Ambulante Einzelbetreuung wäre somit ein Kompromiss, der kleinste gemeinsame Nenner oder – das wäre die ungünstigste Variante – die Hilfeform, von der die Beteiligten annehmen, dass sie ihnen am wenigsten Engagement abverlangt. Dies kann auch für den Verhandlungspartner Jugendamt gelten: Ambulante Einzelbetreuung ist wegen der verhältnismäßig geringen Kosten und des geringen internen Begründungsaufwands leichter durchsetzbar als andere Hilfen.
Zielgruppe
Abgesehen von der Betreuungsweisung, die ein spezifisches Angebot für straffällige Jugendliche darstellt, wird ambulante Einzelbetreuung relativ alters- und zielgruppenunspezifisch eingesetzt – bei einer Präferenz für (männliche) Jugendliche.
Auf der Ebene der Hilfeindikation findet also kaum problembezogene Selektion statt. Nach welchen Kriterien die Allgemeinen Sozialdienste eine Abgrenzung der verschiedenen Hilfeangebote leisten ist unbekannt. Wünsche beziehen sich häufig auf persönliche Eigenschaften und Kompetenzen der einzusetzenden Betreuungspersonen wie Geschlecht, Alter oder bestimmte Kompetenzen und Interessen. So ist vor allem ab Vorpubertät eine gleichgeschlechtliche Kombination von Betreuungspersonen und betreuten jungen Menschen üblich. Dies wird damit begründet, dass Betreuerinnen und Betreuer des gleichen Geschlechts eine Vorbildrolle hinsichtlich der Geschlechtsrollenidentität einnehmen und bei sexuellen Fragen als Beraterinnen und Berater fungieren können. Gleichgeschlechtliche Zusammensetzungen gelten in der Beziehungsarbeit