(Winkler 2001: 253).
Bei der ambulanten Einzelbetreuung stellt die Beziehung zwischen Betreuungsperson und betreuter Person das tragende Element der Hilfe dar. Genau dies bietet immer wieder Anlass für Kritik. Kritisiert werden die mit den emotionalen Komponenten der Arbeitsbeziehung verbundenen Manipulationsmöglichkeiten und die Verflechtung staatlich reglementierter Wohlfahrt mit privater Beziehungs- und Alltagsgestaltung (u.a. Fröhlich-Gildhoff 2003: 58, Heiner 2007: 19). Die Gefahr der Überschreitung persönlicher und privater Grenzen ist bei der ambulanten Arbeit besonders groß und wurde bei der Entwicklung der sozialpädagogischen Familienhilfe in den 80er Jahren als Versuch zur „Kolonialisierung der Lebenswelt“ (vgl. Habermas 1981, Rauschenbach, Gängler 1984) angeprangert.
Die mangelnde Abgrenzung zwischen wohlfahrtsstaatlicher Aufgabenerfüllung und Beziehungsorientierung ist ein grundsätzliches Problem zugehender Einzelfallarbeit. Der informelle, alltagsnahe und empathische Zugang erschwert es Fachkräften wie Adressatinnen und Adressaten, die Grenze zwischen professionellen Kontakten und privaten Beziehungen jederzeit deutlich zu erkennen und zu ziehen. Soziale Arbeit soll aber transparent und partizipativ ausgestaltet sein. Adressatinnen und Adressaten dürfen nicht emotional verstrickt werden. Sie sollen den Überblick über die Umsetzung und [54]Gestaltung „ihrer“ Hilfe behalten, sie überwachen, steuern und auch eingrenzen können. Beziehungsarbeit nutzt dagegen sehr wohl emotionale Elemente als Zugangs- und Bindungsmittel – dies vor allem bei Adressaten, die schwer erreichbar und besonders benachteiligt sind und von Unterstützungsmaßnahmen besonders profitieren könnten. Mit der Methode des Case Management sollte auf diese Widersprüche zwischen Entscheidungsfreiheit und emotionaler Bindung eine Antwort gefunden werden.
Der mit Mary Richmond als erstes in Verbindung gebrachte Ansatz der Einzelfallarbeit – Case Work – (Richmond 1922) vertritt ein ganzheitliches und relationales Konzept, bei dem Beziehungsarbeit und Sach- bzw. Zielorientierung, Diagnose und Intervention, Umwelt- und Personenbezug untrennbar ineinander greifen. Die Betreuungsarbeit ist nach ihrem Ansatz klassisch-sozialpädagogisch an der Förderung der individuellen Persönlichkeitsentwicklung ausgerichtet und folgt damit dem subjektorientierten Bildungsbegriff des 18. und 19. Jahrhunderts. Die Betreuungsaktivitäten integrieren Beratungs-, Alltagsbegleitungs- und Kontrollaspekte.
In Deutschland wurde die Methode der Fallarbeit in den 70er und 80er Jahren teilweise auf der Basis einer unvollständigen und tendenziösen Rezeption des ursprünglichen Konzepts Richmonds kritisiert (Müller 20064: 171ff.). Ihr Beziehungsansatz wurde als die Persönlichkeitsgrenzen überschreitend verurteilt und galt als methodisch kaum operationalisierbar. Am individuellen Ansatz der Fallarbeit wurde bemängelt, die Verantwortung für die Lösung sozialer Probleme werde allein bei den Individuen gesehen (Staub-Bernasconi, Meinhold 19984: 362). Strukturelle und gesellschaftliche Problemursachen würden demgegenüber unterschätzt. Auch der potenziell stigmatisierende Effekt einer Identifizierung von Fall und Person in der Fallarbeit wurde kritisiert (Müller 20 064: 34). Allerdings hatte gegen diese Einstellung schon Mary Richmond explizit Stellung bezogen und darauf bestanden, dass Adressatinnen und Adressaten nicht auf ihre Probleme reduziert werden dürften (Richmond 1922: 29).
Infolge dieser Kritik der Fallarbeit als Reaktion auf neue gesellschaftliche Entwicklungen und aufgrund neuer professioneller Optionen differenzierte sich die Methodentrias aus Einzelfallarbeit, Gruppenarbeit und Gemeinwesenarbeit zunehmend und wurde durch spezialisierte Konzepte wie den Case Management-Ansatz ergänzt. Case Management reagiert auf die ausdifferenzierte Infrastruktur eines entwickelten Sozialstaats und versucht in den Arbeitsbündnisstrukturen der Sozialen Arbeit Selbstbestimmung, Mündigkeit und Steuerungsfähigkeit der Adressatinnen und Adressaten bezüglich der Prozessdynamiken zu erhalten bzw. erst herzustellen. Der Schwerpunkt verschiebt sich daher gegenüber der Case Work auf beratende, koordinierende und netzwerkerschließende Tätigkeiten. Die Betreuungszeiten werden beim Case Management kürzer und projekthafter und das Verhältnis zwischen Betreuungsperson und betreuter Person kühlt auf ein vertraglich geregeltes, zielorientiertes Miteinander ab (Meinhold 20053: 365f.).
Tatsächlich entwickelte sich der Case Management-Ansatz genauso heterogen und vielseitig wie das weiterhin existierende Case Work-Konzept, das durch die neuen Methoden keinesfalls abgelöst wurde. So lassen sich Ansätze dahingehend unterscheiden, ob sie eher an der Infrastruktur (vgl. sozialökologischer Ansatz von Wendt 20084) oder ob sie eher an der individuellen Beziehung zwischen Fachkräften und Adressatinnen und Adressaten (vgl. Neuffer 20094) ansetzen. Bei der Umsetzung von Case Management-Arbeit spielt das jeweilige Tätigkeitsfeld eine große Rolle. Praktiziert in Form sozialer Basisdienste wie Allgemeiner Sozialdienst im Jugendamt oder Sozialpsychiatrischer Dienst wird der Case Management-Ansatz durch eine über längere Zeiträume gestreckte Fallführung umgesetzt. Die eigentliche Durchführung von Hilfen wird an andere Dienste delegiert. In diesen Arbeitsbereichen erfolgt eine Distanzierung[55] zu den Adressatinnen und Adressaten als zwangsläufige Auswirkung der erhöhten Fallzahlen und des Handlungsdruckes. Der Case Management-Ansatz bietet hier eine methodisch saubere Möglichkeit, mit den Realitäten der Arbeit umzugehen und gleichzeitig Ganzheitlichkeit und biografisch relevante Kontinuität für die Adressatinnen und Adressaten auf der Fallführungsebene über Hilfe- und Angebotsübergänge hinweg aufrecht zu erhalten.
Auf der Ebene der Einzelangebote und -hilfen wird derselbe Ansatz meist in Form kurzfristiger, zielbezogener Projekte realisiert, wobei zu Beginn ein Kontrakt über anvisierte Ziele und die zu erbringende Dienstleistung und am Ende die Evaluation der Maßnahme steht. Einige Autoren27 unterscheiden das eigentliche Case Management vom Fallmanagement, das aus einer festgelegten Abfolge von Phasen besteht und bei den Leistungen nach SGB II fest als Arbeitsmethode etabliert ist:28
■ Intake (oder auch Clearing): Intake ist ein eher technischer, englischer Begriff, der einen Einlassprozess mit einem gewissen Sogeffekt bezeichnet (auch: Einsaugen). In dieser Einstiegsphase der Hilfe erfolgt eine Rollenklärung und Darstellung des zur Verfügung gestellten Hilfeangebots. Die Adressatin oder der Adressat stimmen auf der Basis eines „informed consent“ – einer informierten Entscheidung – der angebotenen sozialen Dienstleistung zu. Dies schließt die detaillierte Aufklärung über die Rechte und Pflichten der Beteiligten und die geltenden Datenschutzbestimmungen ein.
■ Assessment (inkl. Zielvereinbarung): Assessment meint die Abschätzung, Beurteilung und Bewertung der Ausgangssituation. Es handelt sich also um eine Maßnahmephase der Anamnese und Diagnose. Das Assessment erfolgt ressourcenorientiert und in Zusammenarbeit mit der Adressatin oder dem Adressaten und wird systematisch dokumentiert. Hierzu gehört die Herausarbeitung der Ziele, die durch die Hilfe angestrebt werden, damit verbundener Indikatoren, durch die eine spätere Zielerreichung messbar wird, und ein Zeitschema für die Umsetzung.
■ Service-Planning/Maßnahmeplanung: Auch der Maßnahmeplan soll gemeinsam so erstellt werden, dass die Ressourcen der Adressatin oder des Adressaten möglichst weitgehend genutzt und institutionelle Hilfeangebote erschlossen werden. Der Maßnahmeplan wird verschriftlicht – zum Beispiel in Form eines ratifizierten Gesprächsprotokolls – und erhält auf diese Weise Vertragsstatus.
■ Monitoring: Die eigentliche Maßnahme wird meist durch beauftragte Leistungserbringer durchgeführt. Der Verlauf wird durch den Case Manager überwacht und gesteuert. Je nach Fortschreiten erfolgt ein regelmäßiges Re-Assessment mit einem Nachjustieren der Hilfeplanziele und Zeitschemata.
■ Evaluation: Der Hilfeprozess wird durch die abschließend vorgenommene Evaluation – die Erfassung und Auswertung der Ergebnisse und eine Einschätzung des Zielerreichungsgrades – abgeschlossen.
[56]Case Management hat sich außerhalb der eigentlichen Tätigkeitsfelder der Sozialen Arbeit – im Gesundheitssystem oder bei der Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt – leichter und schneller etablieren können als innerhalb. In diesen Humandienstleistungssystemen hilft die Methode, vereinzelte Angebote gezielt zusammen zu führen und aufeinander und auf die Bedarfe der Adressatinnen und Adressaten abzustimmen.
Case Manager werden häufig als Lotsen, Führer, Piloten oder Koordinatoren bezeichnet. Dies betont ihre Hauptaufgabe, die in der Vermittlung vorhandener Angebote liegt. Die ganzheitlichen, lebensweltorientierten und sozialpädagogischen