Michael Borgolte

Weltgeschichte als Stiftungsgeschichte


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sollten beispielsweise zehn arme Waisenkinder versorgt werden, „die noch nicht die Pubertät erreicht haben. Sie sollen aber auch nicht so klein sein, dass ihr Verstand noch nicht in der Lage ist, etwas auswendig zu lernen beziehungsweise ihre Zungen noch nichts zu wiederholen vermögen. Sie sollen im Alter dazwischenliegen, damit sie den Koran und seine Grundlagen memorieren können. Jeden Morgen außer an den freien Tagen sollen sie anwesend sein und dem Lehrer folgend sich der Rezitation des Korans widmen. Wer den Koran ganz auswendig kann, bleibt noch eine gewisse Zeit dabei, damit sich festigt, was er gelernt hat und er ja nichts vergisst. Für jeden von ihnen sind jährlich 60 Dīnār bestimmt. ‚Wer den Kopf eines Waisen nur für Gotteslohn wäscht, dem erwachsen mit jedem Haar, an dem seine Hand vorbeigeht, Wohltaten. Wer einem Waisen Gutes tut, mit dem werde ich im Paradies zusammen sein‘, spricht der Prophet.“351

      So detailgenau sind die Regelungen, dass Aufwand und Aufstellung der Lampen und der doppelte Nutzen der Beleuchtung, im Diesseits und im Jenseits, betont werden: „Unser Gebieter, der Stifter – möge Gott den Schatten seines Ruhmes bewahren – hat für die Wachs-, die Flüssigtalg- und die Sesamöllampen der erhabenen Moschee jährlich 1.440 Dīnār bestimmt. In der Hoffnung, Gott möge den Weg des Stifters an den dunklen Orten erleuchten, werden zwei Kerzen im Iwan der Koranrezitatoren (ṣuffat al-ḥuffāẓ) aufgestellt (…). Für die Beleuchtung der Waschplätze und Durchgänge der Madrasa hat der Stifter jährlich 400 Dīnār bestimmt. Eine Lampe wird im Gang der Madrasa von Sonnenuntergang bis zu dem Zeitpunkt aufgestellt, zu dem ungefähr ein Drittel der Nacht vergangen ist, und von der ersten Morgendämmerung bis Sonnenaufgang. Fünf Lampen werden in der Toilette aufgestellt und am Tor eines jeden Ganges eine, damit die Rechtsgelehrten, Studenten und Angestellten Licht haben und für unseren Gebieter, den Stifter, beten. Wenn man dafür mehr Geld benötigt, wird der Betrag erhöht.“352

      Auch besondere Speisungen sollten dem Stifter zugutekommen: „Für eine Festtafel im Monat Ramaḍān sind für diese Gemeinschaft [der Madrasa] und für die Anwesenden jährlich 1.200 Dīnār bestimmt, das heißt an jedem Abend 40 Dīnār, die der Verwalter oder sein Stellvertreter für Brot, schmackhafte Speisen und Süßigkeiten ausgibt. Der Verwalter stellt zwei Tafeln auf, jeweils eine im westlichen und im östlichen Iwan, und platziert dort die Rechtsgelehrten, Studenten und alle anderen. Sie essen dort und beten für unseren Herrn und Gebieter, den Stifter – möge Gott ihn seine kühnsten Hoffnungen erreichen lassen. Das Essen wird zusammen mit dem gekochten Fleisch in sauberen Schüsseln serviert und mit zwei feinen Broten zugedeckt. Bei Sonnenuntergang wird jeden Abend an alle anwesenden Angehörigen der Madrasa und andere angesehene Persönlichkeiten eine Schüssel Suppe mit einem Viertel man [ca. 750 Gramm] des gekochten Fleisches und zwei Broten ausgeteilt. ‚Wer einem Fastenden Essen zum abendlichen Fastenbrechen reicht, dem werden alle Sünden vergeben und der kommt aus dem Höllenfeuer frei. Der erhält solch einen Lohn und gewiss nicht weniger‘, sprach der Prophet (…)“.353 Entsprechende Regelungen galten den Ṣūfī-Konventen.

      Der jenseitige Ertrag der „korrekte[n] und rechtsgültige[n] Stiftung“, die „als eine fortwährende wohltätigen Zwecken gewidmete Einrichtung und als eine von Anfang bis Ende ununterbrochene fromme Gabe“ bezeichnet wird,354 sollte sowohl dem ersten als auch dem aktuellen Stifter, Ibrāhīm und Ḫwāğa Šaiḥ Muḥammad Kuğuğī, zugutekommen und noch umfassender gelten, wie auch in einem Gebet manifest wird: „Oh Gott, so wie du den Sohn und den Vater in dieser Welt durch hohe Ränge und erhabene Vollkommenheit in Wissen und Taten ausgezeichnet hast, wobei du ihnen beiden bei der Gründung wohltätiger Einrichtungen (binā‘ al-ḥairāt wa ta’sīs al-mabarrāt) Erfolg gewährt und sie durch Besitztümer zugunsten der Muslime und Musliminnen den Erfordernissen der Bedürftigen gerecht werden lassen hast, so zeichne sie beide auch im Jenseits (fī l-’uqbā) mit vielfältigem Lohn aus und erhebe ihren Rang im Paradies. Versammle sie am Tage des Gerichts in der Gruppe der Rechtschaffenen, zusammen mit den Propheten, den Wahrheitsliebenden, den Märtyrern und den Gottesfürchtigen – Gott verschone den, der Amen sagt! Dieses Bittgebet (du‘ā’) umfasst die ganze Schöpfung, es schließt die frohe Botschaft ein.“355

      Kann also gesagt werden, dass die Welt des Islam ‚Stiftungen für das Seelenheil‘ kannte, so wie vor allem das Christentum? Zweifellos trifft das zu, wenn man das Kriterium guter Taten im Diesseits und über den Tod hinaus zur Bewährung des Einzelnen vor dem endzeitlichen Gericht Gottes mit der Belohnung des ewigen Lebens anlegt. Etwas anderes ist es jedoch, wenn die muslimische Konzeption der Heilsgeschichte und die entsprechenden Formeln der Überlieferung beachtet werden. In der Forschung ist darauf hingewiesen worden, dass der Islam im Unterschied zur linear-eschatologischen Dynamik des Christentums einem zirkulären Konzept folge. Im Zentrum seiner religiösen Forderung stehe die Revision der Vertreibung aus dem Paradies; der Gläubige müsse sich unentwegt an Gott erinnern und zu ihm zurückkehren.356 Deshalb wird das ewige Leben als Annäherung an Gott beschrieben, bei der es, den frommen Leistungen entsprechend, auch eine Graduierung gebe. In den muslimischen Stiftungsurkunden dominiert dementsprechend das Motiv der „Nähe zu Gott (qurba)“.357 Statt von ‚Stiftungen für das Seelenheil‘ wie im Christentum muss, so ist zu folgern, eher von ‚Stiftungen für die Gottesnähe‘ die Rede sein. Allerdings wird auch im Islam die fromme Stiftung häufig mit dem Nutzen für die Seele motiviert, dem besonders Koranlesungen dienten;358 es spricht viel dafür, dass dieses Motiv von anderen Religionen, mit denen die Araber schon zu Zeiten Mohammeds auf ihrer Halbinsel oder in deren Umgebung in Berührung gestanden hatten, übernommen worden war.359

      Wie in anderen Religionen auch, sind Seelenglaube und Jenseitsvorstellungen im Judentum unklar, widersprüchlich und umstritten.360 Im Unterschied zum Christentum fanden die damit verbundenen Fragen aber überhaupt wenig Interesse;361 beim Mangel einer allgemein anerkannten Instanz für theologische Entscheidungen wirkten auf die weitverstreuten Gemeinden je andere Denker und Religionen mit unterschiedlicher Reichweite und Nachhaltigkeit ein. Was als ‚Seele‘ im Sinne von ‚Person‘ oder ‚Individuum‘ aufgefasst wird, erscheint im Hebräischen am ehesten als nephesch; diesem Begriff stehen neshamah und ruah zur Seite, die aber vornehmlich das ‚Lebensprinzip‘ oder den ‚Odem des Lebens‘ bezeichnen.362 Ursprünglich scheinen die Hebräer Leben und Seele kaum voneinander getrennt zu haben. Während wir davon sprechen, dass wir eine ‚Seele haben‘, dachten sie, wie in der Forschung formuliert wurde, dass sie eine ‚Seele sind‘.363 Beim Tod wandte sich der Leib zum Staub, aus dem er gebildet worden war, während der ‚Lebenshauch‘ zu Gott dem Schöpfer zurückkehrte. Gewiss hat der Einfluss des Hellenismus seit dem 4. Jahrhundert v. u. Z. einen Individualisierungsschub bewirkt, denn vor allem Platon hatte gelehrt, dass die Seele die Essenz des menschlichen Daseins sei und sich beim Tod aus der Gefangenschaft des Körpers befreie.364

      Das soll jedoch nicht heißen, dass überwiegend äußere Einflüsse das hebräische Nachdenken über die Seele bestimmt hätten; manche Wissenschaftler meinen sogar, dass der Glaube an die Unsterblichkeit der Seele schon in den ältesten Schichten der jüdischen Überlieferung angelegt gewesen sei. In einer ausgreifenden Analyse des Seelenglaubens von der Antike bis zur ‚Spätmoderne‘ hat der Theologe Helmut Feld kürzlich diese Auffassung mit einer Reihe von Schriftzeugnissen zu belegen versucht.365 Das Schattenreich des Todes, Sche’ol, sei in keinem Teil des Alten Testaments so häufig und plastisch als ‚Land ohne Wiederkehr‘ beschrieben worden wie im Buch Hiob.366 Hiob selbst aber ziehe eine Trennung und ein endgültiges Verlassenwerden von Gott nicht ernsthaft in Betracht und werde bei all seiner Not und Verzweiflung in seiner Hoffnung am Ende auch nicht enttäuscht.367 Ähnliches lasse sich vom Beter einiger Psalmen sagen. Dieser danke einmal für die Errettung seiner Seele (nephesch) „aus den Tiefen des Totenreiches“.368 Sowohl in den Psalmen als auch im Buch Hiob kommen nach H. Feld „in Verbindung mit dem Glauben an eine leibliche Auferstehung auch Elemente einer Vorstellung von der ‚Seele‘ zur Sprache“. Obgleich die Bibelforschung darüber uneins sei, gehe dies seiner Auffassung nach aus dem David zugeschriebenen Psalm 16 hervor: „Darum freut sich mein Herz und meine Seele frohlockt; auch mein Leib wird sicher wohnen. Denn du gibst meine Seele (mein Leben) dem Totenreich nicht preis, du lässt deinen Frommen nicht schauen die Verwesung.“369 Hier komme klar das