Dann ergeben sich Fragen wie: Wer bin ich ohne Masken? Wer bin ich ohne Bezeichnung? Was ist mein ursprüngliches Gesicht? Was ist mein wahres Selbst?
Das sogenannte Ego braucht Geschichten, um sich selbst zu erkennen.
Das Gefühl, ich bin dieses oder jenes, braucht Geschichten, um dieses oder jenes zu sein.
Diese Geschichten finden nie im Moment statt.
Im Moment gibt es nur die Erlebnisse dieses Momentes. Das, was Sie gerade jetzt erleben: hier sitzen, ein Buch lesen, Geräusche hören, ein paar Gedanken, aus dem Fenster schauen, eine Bewegung der Hand und irgendwie ein Gefühl zu sein, mehr ist gerade nicht.
Aber wenn eine starke Bezugnahme auf das Ego besteht, dann brauchen Sie ständig diese gedanklichen Bewegungen, die diese Geschichten immer wieder reproduzieren und einen Bezug zur Person herstellen. Und so hat dieses „Ich-bin-dies“, „Ich-bin-das“ immer eine Anbindung. Die Person wird mit Geschichten verbunden.
Wenn wir in Form der Geschichten keine Bezugspunkte mehr haben für unsere Person, die unsere Selbstbilder bestätigen, und wenn es dann still wird in uns, hat das Ego vielleicht das Gefühl, nicht mehr zu sein oder sogar zu sterben.
Auch deswegen ist es so schwierig, im Moment zu bleiben.
Im erlebten Moment gibt es keine Geschichten.
Dann bin ich einfach nur. Nur das, und mehr nicht.
Tue das, was zu tun ist
Ajahn Buddhadasa sagte oft den Satz: „Wenn du das Dhamma praktizieren willst, dann erfülle deine Aufgaben“.
Oft haben wir nur einfache Aussagen von Weisen, die auf etwas zeigen, in kurzen, knappen Sätzen, worin allerdings die Erfahrung und die Weisheit eines ganzen Lebens zum Ausdruck kommt. Kann es wirklich so einfach sein?
Wenn ich diesen Satz „Erfülle deine Aufgaben“ einmal kontemplativ betrachte, könnte er bedeuten: ‚Wenn du deine Aufgaben erfüllst, bist du eingebunden in das ganze Universum, und das ist gleichbedeutend mit dem Praktizieren des Dhamma oder der Wahrheit und der Erfüllung deines Lebenssinns‘.
Erfülle deine Aufgaben, Meditation im Alltag
Das Wort Meditation gab es zur Zeit Buddhas noch nicht.
Er nannte diesen Prozess Bhavana. Dieses Wort bedeutet das Entwickeln von fünf in uns angelegten Qualitäten, nämlich: Vertrauen, Energie, Achtsamkeit, Konzentration und Weisheit.
Diese Qualitäten finden nicht nur in der formalen Meditation Beachtung, sondern der ganz normale Alltag mit seinen Herausforderungen ist der Ort, wo wir sie entwickeln können.
Ich wache also morgens auf, habe am Abend meinen Körper hingelegt, um ihn auszuruhen. Nun, ich hatte keine Wahl, denn er war müde. Aber doch erfüllt das eine Aufgabe dem Körper gegenüber. Gleich nebenan, in einem anderen Zimmer, schläft mein Sohn Samuel. Der wird von mir in ungefähr zwanzig Minuten geweckt.
Was ist zu tun? Was ist jetzt meine Aufgabe?
Erst einmal habe ich die Aufgabe, mich anzuziehen, Zähne zu putzen und zu sehen, ob es in der Küche warm ist. Dann möchte mein Sohn etwas frühstücken, und ich auch.
Was ist noch zu tun?
Er muss auch etwas anziehen. Das geht nur, wenn ich einige Tage vorher die Wäsche gewaschen und getrocknet habe und sie so bereitlegen kann.
Dann wecke ich meinen Sohn auf meine eigene Weise und wir frühstücken zusammen.
Ich könnte jetzt den ganzen Tag in seinem Ablauf so beschreiben, denn es gibt ständig etwas zu tun.
Es reicht zu sehen, dass es ständig wechselnde Lebenssituationen gibt, in denen eine Aufgabe erfüllt werden muss, um den harmonischen Fluss des Lebens zu gewährleisten.
Bei manchen Aufgaben habe ich eine Wahl, wie und wann ich sie erfülle, bei anderen nicht. Ich kann zum Frühstück Brötchen oder aber Müsli anbieten. Ich habe aber keine Wahl, wenn ich meinen Körper entleeren muss, und ich kann die Einatmung nicht gegen die Ausatmung austauschen.
Wenn ich also meine Aufgaben erfüllen möchte, brauche ich die Qualität der Achtsamkeit. Wenn ich Brötchen schmiere, muss ich das richtige ‚Werkzeug‘ in die Hand nehmen, muss mit dem Messer zum Beispiel die Butter treffen. Wenn ich mit meinen Gedanken aber woanders bin, dann kann es passieren, dass ich statt Butter Senf darauf schmiere.
Vielleicht komme ich aus Versehen mit dem Ellenbogen gegen eine Tasse und sie droht, herunterzufallen, dann kommt die Konzentration ins Spiel, um schnell genug zu sein, sie vor dem Zerbrechen aufzufangen.
Das sind schon mal zwei Glieder der Meditation: Achtsamkeit und Konzentration.
Was ich die ganze Zeit schon brauchte, ist Energie.
Das begann ja schon mit dem Aufstehen. Da musste ich Kraft aufwenden, auch wenn es nur minimal war. Und wenn ich so jeden Tag meine Aufgaben angehe, dann vertraue ich auch irgendwie, dass ich das kann, dass mein Sohn das Frühstück auch isst, vertraue darauf, dass ich morgens Brötchen bekomme, dass ich weiß, wann der Kühlschrank zu füllen ist.
Ich vertraue auf meine Fähigkeit, diese Dinge zu tun, und ich vertraue auch darauf, dass ich eventuelle Lücken oder Engpässe bei der Versorgung mit Lebensmitteln erkenne und diese abstellen oder beheben kann.
Über den ganzen Tag hinweg gibt es irgendwelche Aufgaben zu erfüllen.
Wenn all diese Aufgaben mit Achtsamkeit, der Energie, die diese Aufgaben erfordern, dem Vertrauen, das sich gebildet hat, und der manchmal benötigten Konzentration durchgeführt werden, entwickelt sich vielleicht der fünfte Punkt, um den es in erster Linie geht: Weisheit.
Im Buddhismus bedeutet Weisheit: zu sehen, wie die Dinge wirklich sind.
Wenn man seine Aufgaben achtsam gemacht hat, kann man mit dieser begleitenden Qualität die Ereignisse des Lebens auch unter noch anderen Gesichtspunkten betrachten.
Das Brötchen, das mein Sohn da auf seinem Teller liegen hat, ist irgendwann einmal weg. Samuel geht zum Bus und weg ist er, erst einmal. Ich trinke meinen Kaffee, schaue in die Tasse und siehe da, der Kaffee ist weg. Mit Achtsamkeit auf die Dinge schauend, entwickle ich einen Blick für die sogenannten Daseinsmerkmale: hier die Unbeständigkeit oder Vergänglichkeit aller Dinge.
Ja, die Dinge gehen ständig, wandeln ihre Form, sind immer in Bewegung.
Ich könnte mich natürlich auch daran erfreuen, dass diese geschmierten Brötchen so schön aussehen und ich sie deswegen behalten möchte. Aber es ist nicht ihre Funktion, so zu bleiben, wie sie sind, sondern einen bestimmten Zweck zu erfüllen.
Schauen wir auf unseren Körper, als Beispiel dafür, wie Aufgaben erfüllt werden.
In einem gesunden Körper erfüllen all die Organe ihre Funktion, arbeiten gut zusammen. Keines fragt nach besonderer Beachtung oder schaut neidisch auf die Funktion eines anderen Organs. Die Aufgaben werden erfüllt, ohne zu wählen.
Manchmal sind die Organe vielleicht überfordert und dann reagieren sie, um sich selbst zu schützen. Aber eine Wahl treffen sie nicht.
Wenn sie das tun würden, könnte das ungefähr so aussehen: Sie beißen in ein Würstchen, schlucken es hinunter und es plumpst in den Magen. Der Magen, nehmen wir mal an, hätte bewusste Entscheidungsfähigkeit, sieht dieses Würstchen und denkt sich: „Ne, keine Lust darauf“ und lässt es einfach dort liegen. Dann fällt ein Pizzastückchen hinein und auch hier: „Ne, keine Lust auf Pizza“ und packt es zum Würstchen.
Dann kommt ein Stück Kuchen und der Magen denkt sich: „Ja, das ist gut“ und verdaut es. Auf der einen Seite sammelt er die Dinge, die er nicht mag, die anderen verdaut er.
Was sich da so mit der Zeit ansammelt, fängt bald an zu verwesen, zu faulen, entwickelt Giftstoffe und der Magen bekommt plötzlich