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Theologie im Kontext des Ersten Weltkrieges


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in den damals entstehenden deutschen Flächenstaaten fast vollständig protestantischer Prägung zu Bürgern zweiter Klasse. Die jahrzehntelangen Emanzipationsbemühungen, das Ringen um kirchliche Freiheit und bürgerliche Gleichstellung, erlebten trotz mancher Erfolge herbe Rückschläge.

      Der deutsche „Bruderkrieg“ mit dem Sieg Preußens, das Ausscheiden Österreichs aus dem Deutschen Bund und die Reichsgründung von 1871 zementierten die inferiore Stellung der deutschen Katholiken. Im evangelisch geprägten preußisch-deutschen Reich stellten die Katholiken nur ein gutes Drittel der Bevölkerung und waren also schon zahlenmäßig in der Minderheit. Dazu kam ihr materielles Zurückbleiben. Auch im Hinblick auf soziale und berufliche Aufstiegschancen konnte von einer konfessionellen Gleichheit keine Rede sein. Es bestanden gesellschaftliche Barrieren und Regulative, die Katholiken bewusst etwa vom höheren Militärdienst sowie vom Staatsdienst fernhielten. Das infolge der Säkularisation entstandene katholische Bildungsdefizit25 verhinderte außerdem ein Eindringen in die akademischen Berufe26.

      Dazu kamen innere Faktoren, die den Katholizismus ins Ghetto führten: Zum einen die antimoderne Ausrichtung der Kirche während des langen Pontifikats Pius‘ IX (1846–1878). Bereits der Syllabus von 1864 wurde als „Fehdehandschuh an den modernen Staat und die moderne Gesellschaft“ gedeutet. Vollends desavouierte das 1. Vatikanische Konzil die Katholiken in den Augen protestantischer, liberaler und sozialistischer Kreise. Hier sprach man von einer offenen Kriegserklärung des Papstes an den neuzeitlichen Staat, die es Katholiken schwer, wenn nicht sogar unmöglich mache, in einer Demokratie oder parlamentarischen Monarchie als loyale Staatsbürger zu leben. Die Katholiken standen in den Augen der protestantischen Bevölkerungsmehrheit unter dem Kommando einer ausländischen Macht, sie waren „national unzuverlässig“.

      Ihre Krönung fand diese Entwicklung in den kurz darauf fast flächendeckend ausbrechenden „Kulturkämpfen“, die die Gegensätze zwischen Staat und Kirche bewusst verschärften. Mithin lässt sich darin ein gesamteuropäischer Weltanschauungskampf sehen, in dem sich die modernen Nationalstaaten und der restaurative Katholizismus – beide mit absolutistischem Anspruch – gegenüberstanden. Eine spezifische Ausprägung erhielt der Kulturkampf in Preußen. Er wurde hier zur Auseinandersetzung zwischen dem Kulturprotestantismus (als ethische Grundlage Preußen-Deutschlands) im Sinne eines „weltlichen“ Christentums und einer sich als societas perfecta verstehenden katholischen Kirche.

      Gleichwohl erlebte der Katholizismus in diesen Kulturkämpfen, die die Kirche mitunter an den Rand des Abgrunds brachten27, eine ungeahnte Stärkung. Bismarck scheiterte. Erst nachdem er die Fehler seiner Kulturkampfpolitik eingesehen hatte und in Leo XIII. (1878–1903) ein moderater Papst mit politischem Weitblick an die Spitze der Kirche getreten war, konnte der schrittweise Abbau der Kulturkampfgesetzgebung erfolgen.

      Die in der Not neu gewonnene innere Stärke des Katholizismus machte den Weg frei für das Heraustreten der Katholiken aus dem Ghetto, ihre Integration ins Kaiserreich und ihre Identifikation mit dem neuen Deutschland28. Die Kranzniederlegung der Zentrumspartei am Grabe 1898 war ein äußeres Zeichen der Bejahung des Reichsgründers und seines Reiches. Kaiser Wilhelm II. bekundete im selben Jahr den Katholiken sein Wohlwollen, als er anlässlich seiner Palästinafahrt dem Deutschen Verein vom Heiligen Lande das Grundstück der Dormitio zur freien Nutznießung überließ29. Wiederholt besuchte der Kaiser die Benediktinerklöster von Maria Laach, Beuron und Monte Cassino. Die Steyler Mission in Südchina stellte er unter das Protektorat des Reiches. Und 1907 betonte er: „Wie Ich keinen Unterschied mache zwischen alten und neuen Landesteilen, so mache Ich auch keinen Unterschied zwischen Untertanen katholischer und protestantischer Konfession. Stehen sie doch beide auf dem Boden des Christentums, und beide sind bestrebt, treue Bürger und gehorsame Untertanen zu sein. Meinem landesväterlichen Herzen stehen alle Meine Landeskinder gleich nahe“30.

      So mehrten sich im intellektuellen Katholizismus die Stimmen, die einen stärkeren Anschluss an die Zeit, einen „zeitgemäßen“ Katholizismus forderten. Wie ein Fanal wirkten in dieser Hinsicht die Bücher Der Katholicismus als Princip des Fortschritts (1897) des Würz burger Theologen Herman Schell oder Katholisches Christentum und moderne Kultur (1906) des früheren Würzburger Kirchenhistorikers Albert Ehrhard (1862–1940). Doch wurden diese Regungen innerhalb der Kirche durch den intransigenten Pius X. und dessen Entourage niedergerungen. Der „Antimodernismus“31 der Jahre nach 1907 wurde zum Desaster, weil er die Kirche innerlich spaltete, nach außen hin aber schwächte. Wieder wurden die Katholiken demonstrativ ans römische Gängelband genommen, in Deutschland aber als antimodern und gesellschaftsfeindlich wahrgenommen, und so in die Defensive gedrängt. Damit war am Vorabend des Ersten Weltkriegs plötzlich das alte „Kulturkampftrauma“, das Gefühl der Minderwertigkeit – trotz zunehmend gelingender Integration ins kleindeutsche Reich – wieder sehr präsent32.

      Es ist verständlich, dass vor diesem Hintergrund die Reaktion der deutschen Katholiken auf den Ausbruch des Krieges nur eine positive, vielleicht sogar eine überzogen positive sein konnte. Der Zeitpunkt schien gekommen, die eigene politische Zuverlässigkeit unter Beweis zu stellen, zu zeigen, dass alles böse Gerede von gestern – die nationale Unzuverlässigkeit der Katholiken, ihre mangelhafte Identifikation mit dem Deutschen Reich – Lüge war. Jetzt schien die Chance greifbar nahe, nicht mehr „Bürger zweiter Klasse“ zu bleiben, sondern die Vollbürgerschaft zu erlangen. Des Kaisers Zusage beim Kriegsausbruch, dass die Reichsleitung von nun an „keine Parteien“ mehr kenne, sondern nur noch Deutsche, nährte denn auch diese Hoffnung und führte bei der Zentrumspartei zur Unterstützung der Kriegsanstrengungen33.

      Dass sich bei Kriegsbeginn die Hoffnungen der Katholiken auf Realisierung der Parität und damit auf einen Erfolg jahrzehntelanger Emanzipationsbemühungen richteten, werte ich als eine katholische Facette der allgemeinen Hoffnung von Intellektuellen, Akademikern und Jugend, die den Krieg begrüßten als Jungbrunnen gegen eine überalterte, verkrustete Gesellschaft.

      Für viele wirkte der Krieg zu Beginn deshalb wie eine Erlösung. „Nun will endlich die furchtbare jahrelange Spannung ein Ende haben. So wirkt der entsetzlichste Krieg wie eine Wohltat. Jetzt hört wenigstens die Heuchelei auf“ – meinte der protestantische Theologe Martin Rade (1857–1940)34. Und für den Konvertiten Max Scheler (1874–1928) kam der Krieg einem „metaphysischen Erwachen aus dem dumpfen Zustand eines bleiernen Schlafes“ gleich, war er eine notwendige Zerstörung der Illusionen des Liberalismus und Kapitalismus35.

      Einen ganz anderen Weg als die Katholiken hatte im 19. Jahrhundert allerdings der deutsche Protestantismus zurückgelegt. Die Säkularisation hatte günstige Voraussetzungen für seine Prosperität geschaffen. „Bürgerlichkeit“ galt weithin als ein protestantisches Empfinden, wurde zur Signatur einer Epoche, die untrennbar mit dem protestantischen Bildungsbürgertum verbunden war. Die Landeskirchen blieben aufs engste mit den Landesherren verbunden, die den Summepiskopat ausübten und so auch intensiven Anteil am entstehenden nationalen Bewusstsein hatten. Die Reichsgründung und der Kulturkampf taten ein Übriges: Die Kultur und das öffentliche Leben des Kaiserreiches waren in der Folgezeit eindeutig bestimmt. Protestantismus und deutsche Kultur wurden gleichgesetzt36.

      Das Ende des von Bismarck geführten Kulturkampfs brachte keineswegs eine konfessionelle Befriedung. Im Gegenteil: in den 1880er Jahren wurden die konfessionellen Gegensätze wieder stärker betont. Und so tauchte im beiderseitigen Sprachspiel ab etwa 1905 die Rede von einem „neuen Kulturkampf“ auf, die in den folgenden Jahren immer wieder rezipiert wurde und damit eine anhaltende Bewusstseinslage schuf, die bis zum Ersten Weltkrieg wirkte37.

      Diese Bewusstseinslage war nun auch wieder dezidiert national konnotiert. So polemisierte 1901 der Göttinger Historiker Max Lehmann:

      „Unfehlbar will sie sein, diese Papstkirche, alles will sie ihren Gläubigen ersetzen, auch die Wissenschaft, auch die Nationalität […]. Schweigen wir hier von den Beschimpfungen, welche sie gegen diejenigen Deutschen richtet, welche die Alleinherrschaft des Papstes gebrochen haben, ihr Haß richtet sich auch gegen diejenigen Führer unserer Nation, die einer Zeit angehören, da der konfessionelle Gegensatz verblaßt war. Der Index librorum prohibitorum […] ächtet die Œuvres