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Theologie im Kontext des Ersten Weltkrieges


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nicht umgekehrt“85. Und dies habe auch Konsequenzen für die Theologenausbildung:

      „Die wohltätige Mischung der Theologiestudierenden und Ordensbrüder mitten unter die Krieger aus den andern Ständen, die von reichem Segen gekrönte Bereitwilligkeit, mit der die Priester das Leben in den Schützengräben, die glühenden Märsche und die kalten Winterfahrten, die Gefahren und Strapazen geteilt haben mit den Regimentern und Divisionen, die ihrer Seelsorge anvertraut waren, all das hat uns aufs neue das Ziel gezeigt, zu dem wir unsere Priesteramtskandidaten erziehen, zum unmittelbaren Leben in und mit dem Volk, zu möglichst lebendiger Berührung mit dem Denken und Fühlen der Volksseele, zu einem gewandten und klug sich anpassenden Verkehr mit Angehörigen aller Stände und Bildungsschichten, vor allem aber zu selbstverleugnendem und opferwilligem Eingehen auf die abgrundtiefen Nöte des Menschenherzens und zu der unermüdlichen und unverdrossenen Arbeitsfreudigkeit und Unternehmenslust, wie sie unserem gesunden und begabten Volk eigen ist, und wie sie in erhöhtem Maße all denen zu eigen sein muß, die unter diesem Volke arbeiten, die dieses Volk führen sollen“86.

       Fremdbilder und nationale Sympathien

      Für die deutschen Katholiken war es ein offen zutage liegendes Dilemma, gegen eine vornehmlich katholische Nation wie Belgien oder Frankreich Krieg führen zu müssen. Dieses Problem wurde in den ersten Monaten in der Öffentlichkeit ausführlich debattiert. Als Hauptargument wurde den Franzosen jede Religiosität abgesprochen87 – verbunden mit dem Vorwurf der „französischen Krankheit“, die vor allem ins Sexuelle zielte88. In Frankreich herrschten stolzer Unglaube, freche Sittenlosigkeit, „maßloses Versunkensein ins Irdische“ und eine grausame Verfolgung der Kirche Christi89. Der Laizismus, die Trennung von Staat und Kirche von 1905, habe schlimme Folgen gezeitigt. Auch sei es „ein trauriges Zeichen für die ‚große Nation‘, daß sie ihre Religionsdiener zum Tragen der Waffe zwingt. Kein Volk der Welt, nicht einmal das wildeste, tut das sonst“90. Jüngste Zeichen einer religiösen Erneuerung seien kaum mehr als eine Inszenierung, um den Heiligen Stuhl für Frankreich einzunehmen91.

      Die Erfahrung mit französischen Kriegsgefangenen ließ die Urteile über die Frömmigkeit der Franzosen allerdings allmählich besser werden. Dass das französische Volk nicht so ungläubig sei, wie es vielfach scheine, sondern nur Opfer eines religionsfeindlichen Staats, wird jedoch ebenfalls zum Argument für den Krieg gewendet: Die deutschen katholischen Soldaten hätten „eine Vorbildfunktion für die Wiederbelebung des Glaubens im Feindesland“92.

      Der Kriegseintritt Italiens, und somit einer weiteren katholischen Nation, forderte die Katholiken im Mai 1915 abermals heraus. Das Rechtfertigungsproblem, gegen die eigenen Glaubensbrüder kämpfen zu müssen, wurde ähnlich gelöst wie hinsichtlich Frankreichs: Man verwies darauf, die eigentlich kriegstreibenden Kräfte seien die antikirchlich eingestellten Enkel Garibaldis, insbesondere aber die Freimaurer, die in Italien eine reale Macht bildeten. Die italienischen Katholiken hätten den Kriegseintritt Italiens hingegen abgelehnt93.

      Aus dem Verhältnis zum anglikanischen Großbritannien ließen sich keine konfessionsspezifischen Argumentationsmuster entwickeln, außer dass für Irland Sympathien geweckt wurden94. Das Zarenreich wurde von Beginn des Krieges an stereotyp als unzivilisiertes Land dargestellt95. Russland habe die katholische Kirche und die Katholiken seit Jahren aufs Schärfste verfolgt96.

      1915 wurden die deutschen Katholiken von „religiöser Seite“ her massiv angegriffen, und zwar durch die von französischen Katholiken verfasste Schrift La Guerre Allemande et le Catholicisme. Unter dem Pro tektor des Pariser Erzbischofs hatten sich 43 Katholiken, unter ihnen zwei Kardinäle und neun Bischöfe, zusammengefunden, um den deutschen Glaubensbrüdern Hochverrat an ihrer Religion vorzuhalten97. Die französische „Kriegsarbeit“ der Theologen wird man nicht nur als Ausdruck eines „Nationalismus“, sondern vor allem als Versuch werten müssen, der Isolation zu entkommen, in die der französische Laizismus die Kirche in Frankreich getrieben hatte. Von daher war die Situation der französischen Katholiken mit jener der deutschen Katholiken in einer Zeit neu aufflackernder Kulturkämpfe durchaus verwandt.

      Zu den Vorwürfen der französischen Streitschrift gehörten: Die „deutsche Kultur“ – von Kant und Hegel, Haeckel und Nietzsche geprägt – sei eine atheistische, heidnische, der katholischen Kirche grundsätzlich feindliche Kultur, roh und barbarisch. Der „deutsche Krieg“ entspringe germanischer Selbstüberhebung, der Verachtung der lateinischen und slawischen Rasse, und verfolge das Ziel, die romanischen Völker, und mit diesen den Katholizismus, auszurotten. Der Krieg sei ein Vernichtungskampf des Protestantismus gegen den Katholizismus, dem die deutschen Katholiken willig die Hand böten. Dies zeige sich vor allem bei der völkerrechtswidrigen Besetzung des katholischen Belgien, bei der es massenhaft zur Schändung von Kirchen sowie zu Gräueltaten an Zivilisten und Geistlichen gekommen sei. Frankreich führe dagegen einen Krieg für das „katholische Prinzip“, Frankreichs Sieg sei ein Sieg der katholischen und christlichen Idee. „Wider Frankreich kämpfen heißt wider Gott kämpfen“98. Damit wurde der Krieg tatsächlich zum „Religionskrieg“99.

      Durch die scharfen Anklagen war der deutsche Katholizismus früh herausgefordert, sich mit dem Krieg, den Motivationen, der eigenen Rolle apologetisch – aber notgedrungen auch kritisch – auseinanderzusetzen. Während die deutschen Bischöfe gegen die Angriffe der französischen Kirche Verwahrung beim Hl. Stuhl einlegten100, publizierten katholische Wissenschaftler eine Reihe von Gegenschriften, in denen sie den von französischer Seite angesprochenen Fragen und Problemen nachgingen101.

      Gegen den französischen Vorwurf, Deutschland habe den Krieg gesucht, wandte sich der Freiburger Historiker Heinrich Finke (1855–1938). Jeder kriegführende Staat betone den eigenen gerechten und den ungerechten Krieg des Gegners102, jeder Krieg bezwecke aber Veränderung des politischen Besitzes:

      „Der wahre Angreifer ist, wer diese Veränderung anstrebt. Was wollte nun Frankreich? Es wollte Revanche und Elsaß-Lothringen. Niemand leugnet das in Frankreich […]. Und Russland? Es wollte und will Konstantinopel – Byzanz. […] England wollte kein Land von uns; es wollte aber unsere Flotte vernichten, uns als geschäftliche Konkurrenten schlagen. Und wir und Österreich? Wollten wir mit Gewalt ein Land, das andere in Besitz hatten? Wir wären zufrieden gewesen, wenn man uns in Ruhe gelassen, uns unser Hab und Gut gegönnt hätte. Kaum einer Nation ist es so wie der unsrigen gegeben, ehrlich das Lebensrecht der großen Nationen anzuerkennen, ihre Völkerindividualität und ihre geistige Bildung zu verstehen und gerecht zu würdigen. Gewiß hat hie und da ein unklarer Alldeutscher, ein sogenannter Imperialist, den Wunsch nach einem größeren Deutschland geäußert; in die Denksphäre unserer führenden politischen Kreise sind solche Gedanken nicht gekommen. […] Mehr als 40 Jahre hat es [Deutschland] den Frieden mit den Großmächten gehalten, Friedensstörungen in Europa abgelehnt und auch in den anderen Weltteilen an den zahlreichen Kolonialkriegen sich am wenigsten beteiligt; freilich auch am wenigsten beteiligt bei den Kolonialeroberungen. […] Kein europäischer Staat hat so viele kriegerische Anerbieten im Jahrzehnt von 1894 bis 1905 abgelehnt wie Deutschland. […] Als Russland zu Boden lag, Frankreich noch nicht fest an England gebunden und durch innere Wirren zerrüttet war. Wie leicht hätte ein kriegslustiges Deutschland beide Staaten vereinzelt niederschmettern können auf Menschenalter hinaus! Die deutsche Friedensliebe hat gesiegt. Wie wandelte sich nun aber die Weltlage seit Beginn des Jahrhunderts? Frankreich und Russland sind seit 1891 ruckweise einander nähergekommen. Flottenbesuche, Besuche der Staatsoberhäupter, entzückte Artikel der leitenden Presse über den immer stärker werdenden Drang nach engerer Verbindung kennzeichnen Lage und Stimmung“103.

      England „begann mit dem englisch-japanischen Bündnis von Anfang 1902, ‚diesem unerhörten Schritte einer europäischen Macht‘, die Reihe der mehr oder minder lockern Verbindungen, die England mit verschiedenen Staaten, nur nicht mit Deutschland, anknüpfte, und die, wenn auch nicht in jedem einzelnen Falle, in ihrer Gesamtheit auf eine Einkreisung Deutschlands hinzielten. […] Russland hatte Anfang 1912 den Balkanbund unter seinem Protektorat geschmiedet. Österreich ist ausgeschaltet; die kleinen Staaten warten begierig auf seinen Verfall und streiten schon um Beute. Aus dem seltsamen Verlaufe