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Theologie im Kontext des Ersten Weltkrieges


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für die Kriegspredigt:

      – Es muss immer wieder deutlich gemacht werden, dass der Krieg nicht um seiner selbst willen geführt wird, sondern um der Gerechtigkeit und des Friedens willen.

      – Der Prediger darf nicht zum Lobredner des Krieges um jeden Preis werden.

      – Gleichwohl ist es gestattet, auf die guten sittlichen und sozialen Wirkungen zu verweisen, die der Krieg „in der Hand der Vorsehung haben kann und soll121, um ihn in rechter Weise zu ertragen und zur inneren Besserung zu nutzen.

      – Solch innere Nutzen aus der „Heimsuchung des Krieges“ können sein: Hingabe, Opferfreudigkeit, Geduld, Ausdauer, Vertrauen. Hier gibt es eine Nähe zum Opfergedanken, der in der katholischen Religion in besonderer Weise ausgeprägt ist – im Kreuzesopfer Christi, im Messopfer und in der Aufopferung des alltäglichen Lebens.

      – Die Kriegspredigt hat auch die Aufgabe der Kritik: Sie hat allem entgegenzutreten, was den künftigen Frieden erschwert oder verunmöglicht, allem unchristlichen Hass, allen Ungerechtigkeiten gegenüber den Feinden, allem „eigenen unwahren Vortrefflichkeitsdünkel“.

      – Recht oder Unrecht eines vorliegenden konkreten Kriegsfalles sollen nicht besprochen werden, weil dem einzelnen nicht alle erforderlichen Informationen zur Verfügung stehen, um zu einem absolut zuverlässigen Urteil zu kommen.

      In einem zweiten Punkt geht es Baur um die offenkundigen und scheinbaren Widersprüche, um die Aporien des Krieges in theologischer Hinsicht. „Die großen Rätsel“ des Krieges müssen thematisiert werden, und zwar aus zwei Gründen: Zum einen im Interesse der Apologetik, weil von atheistischer und monistischer, teilweise aber auch von christlicher Seite der Vorwurf erhoben wird, „daß in diesem Krieg das Christentum mit seinen Grundsätzen, mit seiner Lehre von der Liebe Fiasko gemacht habe gegenüber der Philosophie des Kampfes und der rücksichtslosen, durch keinerlei ethische Reflexionen und Rücksichten gebundenen Geltendmachung der Interessen und der Macht“122.

      Zum anderen – und das ist wichtiger –, weil die Widersprüche eine große Belastungsprobe für den Vorsehungsglauben und für den Christusglauben überhaupt darstellen. „Der Zwiespalt zwischen der Lehre Jesu von der Nächstenliebe und Feindesliebe einerseits und dem Kriege anderseits, zwischen dem Gebot ‚Du sollst nicht töten‘ und der organisierten Tötung von Tausenden durch die raffiniertesten und grausamsten Mittel, zwischen der Lehre von der Vatergüte Gottes und der furchtbaren Menschheitsgeißel des Krieges ist auf den ersten Blick so groß, daß viele Seelen sich nicht ohne weiteres einen sie befriedigenden Ausweg aus diesem Gegensatz, den sie als unlösbaren Widerspruch empfinden, zu finden vermögen“123. Die Bergpredigt mit der Weisung, dem, der schlägt, auch noch die andere Wange hinzuhalten, passt nicht zu der befohlenen Pflicht, „Minen zu legen und Bomben zu werfen und durch ungeheure Schrecknisse Unzähliger Leben und Eigentum zu vernichten“124.

      Baur sieht eine Antwort im Hinweis auf die Erbschuld des Menschen; der Krieg wird bei ihm zum „großartigen Anschauungsmittel“ für die „furchtbare Macht dieses mysterium inquitatis“125, zur „lebensvollen Illustration der katholischen Erbsünden- und Gnadenlehre“126. Die Erbsünde schwächt den freien Willen des Menschen, der sich in eigener Verantwortung für oder gegen Gottes Gebot und die Ideale des Christentums entscheidet. Der Krieg zeige, wie sehr der Mensch in seinem Streben und Wirken im Naturhaften steckenbleibt, wie sehr der Einzel ne ebenso wie Nationen ihrer ungezügelten Leidenschaft verfallen, was geschieht, wenn der Mensch sich von Gott und seinen Geboten löst. In der Umkehrung könne gezeigt werden,

      „wie gerade die christliche Moral mit ihrer Lehre von der Liebe die Urquellen aller Feindseligkeiten und kriegerischen Verwicklungen im Herzen der Menschen verstopfen will durch die Forderungen von Liebe, Gerechtigkeit, Achtung des fremden Rechts, und wie auch dann, wenn die Durchführung dieser Lehre am freien Willen des Menschen scheitert, sie es eben ist, welche auch die wilden und harten Erfordernisse des Krieges noch durch einen Zug der Ritterlichkeit, der Güte, Barmherzigkeit und Versöhnung mildert“127.

      Neben dieser ethischen Seite erkennt Baur freilich auch das theologische Problem des Krieges, die Theodizee.

      „Wie verträgt sich die Tatsache des Krieges mit all seinem Weh und Greuel und Leid mit dem Glauben an einen gütigen Gott und seine Vorsehung? Wie lässt sie sich in den vorauszusetzenden sittlichen Weltplan eines allweisen, allgütigen Gottes eingefügt denken?“128

      Baur findet seine Antwort in der Wertabstufung, die es im Licht des Glaubens und der Vernunft gibt, und wonach das Leben und äußerliche Wohlergehen des Einzelnen oder der Völker eben nicht an oberster Stelle stehen, so dass der Krieg auch „nicht der Zusammenbruch der Jenseitsmoral ist, sondern geradezu umgekehrt der Diesseitsmoral“. Das Friedensreich des Erlösers bedeute kein ungestörtes Erdenglück. Das Ziel werde erst im Jenseits erreicht.

      „Die Kirche pilgert unter den Trübsalen der Welt und den Tröstungen Gottes ihrem hohen Ziele entgegen. Sie stellt ihren Kindern eher eine Steigerung als eine Erleichterung ihrer Leiden in Aussicht; sie gibt ihnen aber aus dem Schatze der ‚Tröstungen Gottes‘ eine Festigkeit inneren Friedens, die alles Sinnlich-Faßbare übersteigt“129.

      In diesem Fall und in diesem Sinn kann der Krieg auch Gutes erzeugen, als Erziehungsmittel in der Hand Gottes, der „die Völker zu höherer Innenkultur erziehen“ will,

      „durch das er sie aus der Verstiegenheit ihres Nationaldünkels zur Selbstbesinnung, Selbstkritik, Selbstbescheidung, zur Entwicklung aller in ihnen liegenden Kräfte rufen will, aus der Unzucht zur Zucht, aus der Üppigkeit zur Einfachheit, aus der Kompliziertheit und konventionellen Verlogenheit des Handels und Wandels zur schlichten Wahrhaftigkeit und Geradheit, aus der Frivolität zum demütigen, frommen Sinn, aus der Hingabe an das Zeitliche zum Dienst des Ewigen“130.

      Der Krieg ist in dieser Hinsicht kein Selbstläufer, kein Automatismus. Es ist Aufgabe der Kirche und der Seelsorger, mit Gott dahin zu wirken, dass der Krieg wenigstens diese Früchte zeitigt. Deshalb verweist Baur den Prediger „dringend“ an die Hl. Schrift. Das Predigen mit Schiller, Goethe, Zarathustra etc., wie protestantischerseits so häufig empfohlen werde, habe in der katholischen Homiletik kein Recht131. Bei Verwendung alttestamentlicher Texte mahnt Baur aber an, nicht auf deren sittlicher Höhe stehenzubleiben, sondern die Texte immer im Licht der jesuanischen Botschaft zu lesen und zu ergänzen. So dürften etwa die alttestamentlichen Drohreden nicht ohne weiteres bezogen werden auf die gegenwärtigen, konkreten politischen und militärischen Gegner, denn „das Christentum hat keinen Platz für Gesinnungen, die die Rache herabrufen auf den Gegner“132. Der israelitische Gedanke, dass seine Kriege „Jehowas Kriege“ sind, weil Israel das auserwählte Volk Gottes ist, lasse sich nicht übertragen, ohne sich gegen den Geist des Christen tums zu vergehen.

      Hier erlaubt sich Baur dann doch einige sehr konkrete Hinweise: Was Cromwell und die Puritaner taten, als sie England unter Rückgriff auf das Alte Testament als „das neue Volk Gottes“ betrachteten, als „Land der Vorsehung“, als „Gottesreich auf Erden“, sei unstatthaft. Und mit Recht seien Äußerungen mancher französischer Katholiken zu verurteilen,

      „wenn sie in Verkennung der übernationalen Stellung der christlichen Religion dem französischen Volk eine Sonderstellung vor Gott, eine Vorrechtsstellung vor den übrigen Nationen reservieren wollen und Frankreich als besonders auserwählten Liebling der Mutter Gottes betrachten“133.

      Gegen alle vordergründige Deutung der Vorsehung hält Baur fest: „Gott ist mit dem Recht“, aber diese Gewissheit werde noch einmal geläutert durch die Opferidee des Christentums. Demnach sei „nicht immer der augenblickliche Sieg auf seiten des Rechtes“, es müsse vielmehr oft „mühsam durch Kampf und Leiden und mannigfache Rückschläge hindurchgehen“, könne „gegeißelt, mit Dornen gekrönt, gekreuzigt, begraben werden“. Gottes Fügungen und Führungen verlaufen oft anders „als wir Menschen mit unserem Blick auf Nächstliegende und auf unsere eigenen Interessen es uns denken“134. – Ist darin eine Reaktion auf die militärischen Rückschläge und eine Vorsorge für einen negativen Ausgang des Krieges zu sehen?