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Theologie im Kontext des Ersten Weltkrieges


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Weg führte, von prinzipiellen sowie eher theoretisch-systematischen Vorüberlegungen ausgehend, über eine historische Kontextualisierung der katholischen Bewusstseinslage zu einer gerafften Darstellung der tatsächlichen Faktoren katholischer Kriegsbejahung, die auf publizistischen Erhebungen beruhte, um schließlich in einer „Tiefenbohrung“ einen Entwurf einer einigermaßen „geschlossenen“ katholischen „Kriegsprogrammatik“ vorzustellen.

      Will man ein vorläufiges Resümee ziehen, so könne man Folgendes festhalten:

      1. Die Katholiken zeigten (offiziell) eine Kriegsbereitschaft und Kriegsbejahung, mitunter zunächst auch eine Kriegsbegeisterung, die derjenigen der Protestanten und überhaupt dem gesellschaftlichen Common sense (so es diesen denn überhaupt gab) wohl kaum nachstand. Erklärbar wird dies vor allem aus der jüngeren Geschichte des Katholizismus, die vor allem von einer tatsächlichen Inferiorität und Imparität, von einer nur teilweise erfolgreichen Emanzipation und von dem steten Vorwurf eines mangelhaften oder gar fehlenden Patriotismus geprägt war. Inwieweit es hier Abschichtungen gab, die aber vor allem an dem Bewusstsein dieser Inferiorität festzumachen wären (also: in der Diaspora stärker als in unangefochten katholischen Gegenden, im städtischen Bereich stärker als im ländlichen, im intellektuellen und akademischen Milieu stärker als in Handwerkerkreisen …), ist meines Erachtens noch keineswegs wirklich ausgelotet. Feststehen aber dürfte, dass es – trotz gewisser verbindender Grundgedanken – nicht „die“ Haltung der deutschen Katholiken zum Krieg gab. Auch diese gesellschaftliche Gruppierung, diese Subgesellschaft, war in sich nicht homogen, sondern durchaus plural aufgestellt. Die Fragen, die sich stellen, könnten lauten: Welche Normvorstellungen (die These vom „gerechten Krieg“, vom „Recht auf Verteidigung“, moraltheologische Aussagen etc.) im Hinblick auf den Krieg wurden in den verschiedenen katholischen Milieus gepflegt und propagiert? Gab es „Ausreißer“ (also z.B. extreme Nationalisten, unbedingte Pazifisten …), die sich diesen Normvorstellungen von vornherein und grundsätzlich entzogen?

      2. Es lässt sich im öffentlichen Diskurs ein ganzes Bündel an Motiven der Legitimation und Rechtfertigung auf Seiten der Katholiken eruieren. Nicht alle wird man als konfessionsspezifisch bezeichnen können, manche jedoch waren es bzw. erhielten ihre „katholische“ Färbung und Modifikation. Ob sich, beziehungsweise inwieweit sich eine „Hierarchie“ dieser Legitimationen und Rechtfertigungen ausmachen lässt, vermag ich nicht zu sagen. Ebenso wenig geklärt ist, ob es auf die Dauer des Krieges hin signifikante Verschiebungen gab. Ein Problem stellte mitunter die Kollision nationaler und kirchlicher Loyalitäten dar. Zum einen aufgrund des Kriegs gegen katholische Glaubensbrüder in Frankreich und vor allem Belgien, später auch in Italien. Hier half man sich – gegenüber Frankreich und Italien – mit dem Hinweis auf die „Gottlosigkeit“ oder Laizität dieser Staaten bzw. ihrer Führer (Abgefallene, Freimaurer). Zum anderen gab es einen ernsten Loyalitätskonflikt wegen der päpstlichen Friedensappelle, denen man sich nicht wirklich verschließen konnte oder wollte. Hier half man sich mit Hinweisen, die eher die eigene Hilflosigkeit hervortreten lassen, als wirklich eine Konfliktlösung anzubieten. So etwa, wenn betont wurde, auch Päpste hätten in der Vergangenheit schon Kriege geführt, oder: bei aller Feindesliebe sei es doch legitim, wenn einem die eigenen Volksgenossen näher stünden als die Glaubensgenossen jenseits des Grabens. Nicht zuletzt aber wirkte das Motiv des „gerechten Krieges“, der nicht nur mit „Notwehr“ und „Verteidigung“ untermauert wurde, sondern auch mit dem Fehlen von Annexionsgelüsten auf deutscher Seite sowie einer „gerechten“ Kriegsführung (die allerdings der Überprüfung nicht standhält).

      3. Die Kriegserfahrungen, das Bewusstsein der Gläubigen und die „Kriegstheologie“ der Bischöfe, Priester und Theologen passten nicht zusammen. Das hing nicht nur mit den veränderten Wirklichkeiten zusammen, „auf die das traditionelle theologische und rituelle Rüstzeug nur mehr sehr bedingt passen sollte“135. Die „Kriegstheologie“ war in sich brüchig und höchst ambivalent. Wie konnte ein Krieg als „gerecht“ bezeichnet werden, in dem so viel Ungerechtigkeit vorkam? Wie konnten Gott als „Mitstreiter“ und seine Vorsehung es zulassen und wollen, dass Kirchen und Klöster zerstört wurden, Priester und Gläubige ums Leben kamen, Katholiken sich gegenseitig niedermetzelten? Wie war es möglich, dass Christen, ja Katholiken diesseits und jenseits des Schützengrabens denselben Gott als Mistreiter für sich vereinnahmten, wenn sie denselben „gerechten“ Krieg für sich und gegen die anderen in Anspruch nahmen? Wie konnte denn der Krieg auf der einen Seite als „heilig“ bezeichnet werden, auf der anderen Seite aber als Folge der Sünde, als Unglück und Strafe? Wie konnte Gott mit den deutschen Waffen sein, wenn der Krieg verloren wurde? Welchen Wert hatte die Deutung des Krieges als „Zuchtrute“ und Erziehungsarbeit Gottes, wenn der anfänglich zu beobachtende religiöse Aufschwung nicht nur nach kürzester Zeit erlahmte, sondern mitunter zu synkretistischmagischem Aberglauben mutierte, ja, sich im Laufe des immer länger sich hinziehenden Krieges sogar in Skepsis, Zynismus und Religionslosigkeit verwandelte? Diesen Aporien wäre historiographisch einmal gezielt nachzugehen und zu fragen, welche theologischen „Lösungen“ Theologen, Hirten, Prediger wirklich anzubieten hatten.

      1 Demnach wurde die Kriegserklärung vor allem in den Großstädten, vom Großbürgertum und im akademisch-studentischen Milieu mit Begeisterung aufgenommen. Vgl. dazu S. Neitzel, Blut und Eisen. Deutschland und der Erste Weltkrieg, Zürich 2003, 36ff.; J. Verhey, Der „Geist von 1914“ und die Erfindung der Volksgemeinschaft, Hamburg 2014; G. Hirschfeld, Deutschland im August 1914, in: N. Beaupré / G. Hirschfeld u.a., Der Erste Weltkrieg, Darmstadt 2013, 31–40; S. Bruendel, Ideologien: Mobilmachungen und Desillusionierungen, in: N. Werber / S. Kaufmann / L. Koch (Hg.), Erster Weltkrieg. Kulturwissenschaftliches Handbuch, Stuttgart / Weimar 2014, 280–310, hier 285f. – Es liegen inzwischen zahlreiche regionale bzw. lokale Studien vor. Etwa (unvollständig): C. Geinitz, Kriegsfurcht und Kampfbereitschaft. Das Augusterlebnis in Freiburg. Eine Studie zum Kriegsbeginn 1914 (Schriften der Bibliothek für Zeitgeschichte NF 7), Essen 1998; ders. / U. Hinz, Das Augusterlebnis in Südbaden: Ambivalente Reaktionen der deutschen Öffentlichkeit auf den Kriegsbeginn 1914, in: G. Hirschfeld / G. Krumeich / P. Langewiesche / H.-P. Ullmann (Hg.), Kriegserfahrungen. Studien zur Sozial- und Mentalitätsgeschichte des Ersten Weltkriegs (Schriften der Bibliothek für Zeitgeschichte NF 5), Essen 1997, 20– 35; V. Ullrich, Vom Augusterlebnis zur Novemberrevolution. Beiträge zur Sozialgeschichte Hamburgs und Norddeutschlands im Ersten Weltkrieg, Bremen 1999; S. Herzig, Der Weltkrieg kam nach Osnabrück. Julikrise und „Augusterlebnis“ 1914 im Spiegel der Osnabrücker Tagespresse, Marburg 2010; M. Stöcker, Augusterlebnis 1914 in Darmstadt. Wie die Darmstädter den Ausbruch des Ersten Weltkriegs erlebten, Darmstadt 22014; P. Anhalt, „Soll’s sein, so sei’s wie mein Gott will“. Eine Studie zum „Augusterlebnis“ 1914 im Eichsfelddorf Steinbach, in: Eichsfeld-Jahrbuch 22 (2014) 239–258; M. Schütz, „Julikrise“ und „Augusterlebnis“ 1914. Hildesheim bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs, in: Hildesheimer Kalender 282 (2014) 22–31; K. Klasen, Kriegsbegeisterung oder Kriegsfurcht? Das Augusterlebnis 1914 im Saargebiet, in: Zeitschrift für die Geschichte der Saargegend 62 (2014) 81–104. – Schon älter: T. Rohrkrämer, August 1914 – Kriegsmentalität und ihre Voraussetzungen, in: W. Michalka (Hg.), Der Erste Weltkrieg. Wirkung, Wahrnehmung, Analyse, München 1994, 759–777.

      2 In den großen historischen Darstellungen wird die Rolle der Religion, die Haltung der Konfessionen, kaum thematisiert: J. Kocka, Klassengesellschaftliche Tendenzen und Gegentendenzen: das Verhältnis Land-Stadt, Generationen, Konfessionen und Minderheiten, in: W. Kruse, Der Erste Weltkrieg (Neue Wege der Forschung), Darmstadt 2014, 35–50, fordert „auf erweiterter Materialbasis“ zu untersuchen, ob „nicht-klassengesellschaftliche Gegensatz-, Spannungs- und Konfliktlinien (z.B. die zwischen den Konfessionen, den Generationen, zwischen Stadt und Land etc.) im Krieg relativ zu den Klassenlinien zurücktraten“. Während Kocka ausführlich auf die im Krieg wachsenden Spannungen zwischen Stadt und Land eingeht, auch auf einen ebenfalls ökonomisch begründeten, wachsenden Antisemitismus, wird der Katholizismus nur mit einem Satz bedacht: „Für die katholische Kirche bedeutete das relative Zurücktreten konfessioneller Merkmale stärkere Integration in die Gesamtgesellschaft“. Ebd. 46. Kocka stützt sich dabei auf eine kleine Studie aus den 1920er Jahren: