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Milieusensible Pastoral


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in einem postmodernen, durch einen programmatischen Wahrheitspluralismus bestimmten Kontext bewegen. Wahrheit kann in einem solchen Zusammenhang nur als etwas gedacht werden, das plural ist. Traditionelle Wahrheitsansprüche versanden hier aber einfach. Sie bedeuten nichts mehr. Natürlich dürfen auch Christen und Kirchen ihre Wahrheit haben; sie müssen gar nicht modern und bescheiden von Wahrheitsansprüchen reden, die sie im kritischen Diskurs der Vernünftigen zur Geltung bringen möchten. Sie haben ja das Recht auf ihre Wahrheit. Aber es ist eben – leider? – nur ihre Wahrheit. Kommunikation des Evangeliums? Der einen guten Botschaft?

      b) Behauptung der einen Wahrheit als christlicher Wille zur Macht und als Versuch, sich religiös durchzusetzen

      Es gibt natürlich noch eine Alternative. Wir verweigern uns einfach dem Wahrheitspluralismus. Das sieht dann so aus: Wir proklamieren in einem postmodernen Zusammenhang die Wahrheit des christlichen Glaubens, und zunächst hat niemand damit Probleme. Auch Christen, selbst Kirchen dürfen ja ihre Wahrheit haben. Warum denn nicht? So viel Toleranz muss sein. Wichtig ist nur, dass niemand dem anderen seine Wahrheit aufdrängt. Wir bleiben aber bei der uns zugestandenen, „individuellen“ Wahrheit nicht stehen, sondern setzen nach, indem wir insistieren: „Die Wahrheit des christlichen Glaubens ist nicht nur unsere Wahrheit, sie ist die Wahrheit für alle.“ Dieser überindividuelle, allgemeine Geltungsanspruch kann in einem postmodernen Kontext freilich nicht mehr verstanden, er kann nur noch missverstanden werden als Versuch der Selbstbehauptung und der Dominanz einer Position über andere. Selbstverständliche mentale Voraussetzung ist ja: Es gibt nicht nur eine Wahrheit, es gibt viele. In diesem erkenntnistheoretischen Rahmen wird individuelle Wahrheit selbstverständlich zugestanden. Ebenso selbstverständlich gilt aber auch: Wenn es nur individuelle Wahrheiten gibt und dann einer seine – individuelle – Wahrheit als die Wahrheit für alle behauptet, ist das nichts anderes als der Versuch der Selbstbehauptung, der Selbstdurchsetzung einer religiösen Position gegenüber anderen. Behauptung der einen Wahrheit degeneriert in einem postmodernen Kontext zur Selbstbehauptung über eine Wahrheit, die doch bloß eine von vielen ist.

      Hier reagieren Zeitgenossen freilich besonders sensibel, weil sie diesen Willen zur Dominanz kennen und sehr viele Menschen sehr darunter gelitten haben, dass christliche Institutionen ihnen das richtige Leben und Denken – lange Zeit im Verein mit staatlicher Macht – vorgeschrieben haben. Kommunikation des Evangeliums als der besten Botschaft, die dem Menschen widerfahren kann?

      Um nicht missverstanden zu werden: Die Missverständnisse, denen ein religiöser Wahrheitsanspruch notwendig begegnet, sind kein Grund, auf solche Geltungsansprüche von vornherein zu verzichten. Sie sind aber sehr wohl ein Grund zu fragen, wie sie so artikuliert und „zur Geltung“ gebracht werden können, dass sie nicht von vornherein als Dominanzversuche eingeordnet werden.

      c) Exkurs: Postmoderne Aversion gegen universale, exklusive und absolute Geltungsansprüche

      Im postmodernen Kontext vollzieht sich demgemäß Religionskritik nahezu nicht mehr als Sachkritik an bestimmten inhaltlichen Positionen. Auch Jungfrauengeburt und leibliche Auferstehung sind keine Probleme mehr. Es darf ja jeder für wahr halten und glauben, was er will. Streng genommen fehlt ja auch der Horizont der einen Wahrheit und der einen Vernunft, der eine Kriteriologie erlauben würde, auf Grund derer kritische Urteile möglich wären. Postmoderne Kritik an Religion geriert sich deshalb nicht sachkritisch, sondern dezidiert religionskritisch. Sie ist sensibilisiert für die Frage, ob Religion (oder Weltanschauung) sich unter dem Deckmäntelchen von (eigentlich überholten) Wahrheitsansprüchen Vorteile zu verschaffen und sich auf dem religiösen Markt durchzusetzen sucht. In diesem Sinne warnen Denker von so unterschiedlicher Provenienz wie Martin Walser, Odo Marquard, Ulrich Beck und Jan Assman vor der Form von Religion, die sie als Inbegriff solcher religiöser Wahrheitsansprüche sehen: dem Monotheismus. Monotheistische Religion, gleich welcher Provenienz, zeichnet sich ja aus durch Geltungsansprüche, die

      – universal sind: also für alle, nicht nur für einige die Wahrheit sein sollen,

      – exklusiv sind: also alleine gelten und neben sich keinen (logischen und anderen) Raum lassen,

      – absolut sind: sich göttlich, durch Rekurs auf eine letzte Autorität begründen, denen gegenüber es also kein Ausweichen, keine Relativierung, keine Einschränkung gibt.

      Postmoderne Religionskritik warnt demgemäß

      – vor der Monomythie des Monotheismus, der den Menschen mit Haut und Haaren besitzen will (Marquard)5,

      – vor der Intoleranz von Monotheismus und dem Konfliktpotential, das aus der monotheistischen Unterscheidung von wahrer und falscher Religion resultiert (Assmann)6,

      – vor der Eifersucht des biblisch bezeugten einen Gottes, die sich als Verdrängungsmechanismus: als „Missionarismus“ auch in säkularen Ideologen erhalten hat (Walser)7,

      – vor der Gefahr von universalen, absoluten und exklusiven religiösen Geltungsansprüchen, zu denen sich nicht mehr zu bremsende Gläubige zusammenrotten und denen gegenüber nur noch die Individualisierung des Glaubens an einen „eigenen Gott“ hilft (Beck)8.

      Bemerkenswert ist, dass alle im Gegenüber zu „Monotheismus als der vielleicht größten Gefahr der Menschheit“9 – wie schon Nietzsche wusste – Polytheismus und also eine Pluralisierung von Religion als Gegenmittel empfehlen. Kommunikation des Glaubens als der rettenden und helfenden Möglichkeit in einem durch Dominanzerfahrungen christlicher Institutionen hoch sensibilisierten und durch Aversion und Abwehr gepolten Kontext?10

      d) Verzicht auf die Kommunikation des Glaubens in postmodernen Zusammenhängen?

      Es ließe sich freilich eine noch radikalere Lösung unserer Aufgabe eines missionarischen Pastorals denken: der einfache Verzicht auf die Kommunikation des Evangeliums in postmodern, sprich wahrheitspluralistisch verfassten Kontexten. Die Position wäre dann: Man sieht doch: Weitergabe des Glaubens in solchen Lebenswelten geht nicht. Der Grund ist einsehbar. Wir stehen hier vor Entwicklungen und Prägungen, die die christlich-abendländische Tradition verlassen haben und die deshalb für uns nicht mehr erreichbar sind, weil wir keine gemeinsamen Voraussetzungen mehr haben. Vulgo: die anderen, gemeint sind die postmodern eingestellten Menschen, „wollen ja nicht“.

      Es gibt sehr viele, auch einflussreiche Christen, die eine solche Position oder Haltung einnehmen. Der Vorteil ist: Man hat sich die Herausforderung postmoderner Glaubenskommunikation mit einem Schlag vom Hals geschafft. Der Nachteile sind freilich ebenfalls viele, und sie wiegen schwer:

      – Wir haben unseren missionarischen Anspruch – auch und gerade als Volkskirchen – gegenüber diesem Teil unserer Bevölkerung aufgegeben. Theologisch und geistlich ist dies nicht verantwortbar.

      – Da der prämoderne Anteil unserer Gesellschaft, übrigens auch unserer Kirchen nach dem Microm Regio Trend ständig im Schwinden begriffen ist und umgekehrt die postmodernen Anteile stetig wachsen, läuft die o. g. „Strategie“ oder besser Verzichtserklärung auf ein Ja zum Ende des volkskirchlichen Anspruches hinaus.

      – Missionstheologisch stehen wir hier vor einer Bankrotterklärung: Entgegen aller Erfahrung der Kirchen – als Missionsgeschichte – würden wir hier die Position vertreten, dass wir das Evangelium eigentlich nur in Kulturen vertreten und kommunizieren können, die schon christianisiert sind, also über die entscheidenden Voraussetzungen verfügen. Was ist dann aber Mission? Was bedeutet dann das sich selbst imponierende, beglaubigende, Wirklichkeit setzende Zeugnis des Heiligen Geistes? Käme es nicht im Gegenteil positiv darauf an, auch im postmodernen kulturellen und mentalen Zusammenhang auf die Aufgabe der Kontextualisierung des Evangeliums zuzugehen? Ist Postmoderne un-christlich oder nicht einfach nur a-christlich? Scharf gefragt: Ist es nicht bloß die Unfähigkeit eines über Jahrhunderte in einer traditionellen Kultur alteingesessenen, saturierten Christentums, sich aufzuraffen und sich neuen missionarischen Herausforderungen zu stellen, die Kirche und Christen weithin unfähig, weil unwillig macht, sich Prozessen postmoderner Glaubenskommunikation zu stellen? Müssten wir hier nicht fair sein? Die prämoderne, traditionsorientierte Mentalität und selbst die moderne Mentalität haben einen über Jahrhunderte