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Milieusensible Pastoral


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in postmodernen, modernen und prämodernen Lebenszusammenhängen fördern?

      Die Antwort auf diese Fragen kann ich hier nur andeuten. Zu diesem Zweck formuliere ich einige Thesen, die an anderer Stelle zu entfalten oder auch schon entfaltet sind:

      3 Auf dem Weg zu einer milieusensiblen Kommunikation des Evangeliums – Konsequenzen

      Wer die sozialwissenschaftlichen Befunde ernst nimmt, für den kann eigentlich nicht mehr die Frage sein, ob Kirche auf die Fragmentierung und Segmentierung in der Gesellschaft und in ihren Reihen reagiert, sondern nur noch, wie sie reagieren soll. In dieser Hinsicht stehen wir noch ganz am Anfang. Ich kann abschließend im Folgenden nur einige Stichworte geben und Leitlinien nennen.21 Ich nenne kategorial unterschiedliche, nicht religionsphilosophische, sondern auch theologische sowie institutionelle Gesichtspunkte. Ich möchte aber beginnen mit dem, was mir in den vergangenen Jahren in vielen Begegnungen und Auseinandersetzungen als entscheidende Einsicht zugewachsen ist.

      a) Die geistliche Dimension der

      anstehenden VeränderungsProzesse

      (1) „und hätte der Liebe nicht …“

      Alle theologischen Erwägungen und institutionellen Anstrengungen werden letztlich ins Leere laufen, wenn unsere Kirche(n) nicht wirklich missionarisch wird/werden. „Das Missionarische“ kann man nicht machen. Es ist zuerst und zuletzt keine Methode, auch keine Anstrengung, kein zwanghaftes Muss – es ist in erster Linie ein Blick der Zuwendung, eine Offenheit für die Wahrnehmung derer, die das Evangelium nicht kennen, aber brauchen, ein Haltung der Liebe, die allein die Kraft für die notwendigen VeränderungsProzesse geben kann. Um diese Zuwendung müssen wir ringen, mit anderen, aber doch zunächst mit uns selbst. „Die Kirche“ muss sich öffnen für die, die sie erreichen möchte, aber nicht erreicht. Die konkreten Menschen, die „die Kirche“ ausmachen, sind Verantwortungsträger auf unterschiedlichen Ebenen, die sehr konkrete Fragen, Einwände, auch Ängste haben. Vielfach spüren sie instinktiv, wie groß die Herausforderung ist, die auf die Kirche(n) zukommt, wenn man die Milieusensibilität als Perspektive wirklich verankern will, und dass es eben mit ein paar Orga-Maßnahmen nicht getan ist. Der VeränderungsProzess hat nur eine Chance, wenn wir anhaltend mit Entscheidern und Kommunikatoren um ihn ringen und sie von den überwältigenden Chancen überzeugen, die in diesem ekklesiologischen Hebel liegen. Es geht ja um nicht weniger als darum, dass wir mit der Milieubrille eine „Sehhilfe“ (Cl. Schulz)22 bekommen, die nicht ein totes Augenglas darstellt, sondern uns Beine macht, wenn wir wahr nehmen, was wir wahrnehmen.

      Es geht darum, dass die Milieusensibilisierung das Zeug hat, dass Volkskirche das Volk neu entdeckt; dass missionarische Volkskirche dadurch endlich und wirklich und wieder missionarisch wird; dass sie sich zunächst in einem sozialwissenschaftlich gestützten Wahrnehmungsakt und dann in einer resultierenden, konkreten, präzise fokussierten Bewegung Menschen zuwendet, von denen sich viele engagierte Christen, auch kirchenleitende Persönlichkeiten, bis heute gar nicht vorstellen können, dass es sie gibt, auch in der Kirche gibt.23

      Notwendig ist also eine geistliche Achtsamkeit, zunächst unter uns, die wir für den Prozess hin zu einer milieusensiblen Pastoral werben, und dann in unserer Kirche, wenn sie denn wirklich an ihrem Anspruch festhalten will, nicht nur Kirche für Menschen mit einer bestimmten kulturellen und mentalen Prägung zu sein, sondern das Evangelium an alle zu kommunizieren.

      (2) Milieufragen als Machtfragen: die Herausforderung – nicht begriffener – Milieudominanz

      Es kann eine Hilfe sein, die Machtfragen anzusprechen, die sich mehr oder minder verdeckt mit der Milieuthematik verbinden:

      – Die verschiedenen real existierenden kirchlichen Einrichtungen sind jeweils bestimmt durch dominante Milieus. Diese können sich unterscheiden. In einer kleinen Universitätsstadt kann es eine postmaterielle Prägung sein, in einem Stadtviertel wohlhabender Alteingesessener kann es ein konservativ-etabliertes Milieu sein, das die Lebensäußerungen einer Kirchengemeinde prägt. In jedem Fall ist es dominant, d.h., es versucht, zu bestehen, sich selbst zu behaupten; es folgt der Gesetzmäßigkeit des Selbstrekrutierungsmechanismus, der für alle – zunächst einmal auch kirchliche – Gruppen von Menschen gilt: Wir wollen eigentlich so bleiben, wie wir sind, weil und wenn wir uns so, wie wir sind, wohl fühlen. Wir haben diese Lebenswelt ja so geschaffen, wie sie ist. Sie passt jetzt zu uns. Zu uns kann kommen, wer sich uns anpasst. Wer anders ist und sich nicht anpassen kann bzw. will, wird über kurz oder lang merken, dass er nicht (zu uns) passt und nicht dazugehört. – Bei einem Kaninchenzüchterverein oder noch bei einer politischen Gruppierung sind solche Mechanismen womöglich verschmerzbar; schwierig wird es, wenn sich Gruppen in der Kirche so verhalten und geradezu dazu tendieren, ihre eigene Prägung mit der christlichen zu identifizieren, die Prägung der Kirchengemeinde mit dem Wesen von Kirche zu verwechseln.

      – Ressourcenverteilung und -gerechtigkeit sind weitere Themen, ggf. auch Hebel, mit denen in Kirche als System die Notwendigkeit der Milieuausdifferenzierung zur Geltung gebracht werden kann. Wenn Kirche wirklich nur zweieinhalb Milieus erreicht, wiederholte Sinus-Studien aber zeigen, dass – erstaunlicherweise – der Prozentsatz von (katholischen) Kirchenmitgliedern in den „kirchenfernen“ modernen und postmodernen Milieus nahezu auf der Höhe des Prozentsatzes der Katholiken an der Gesamtbevölkerung liegt, dann scheint es hier doch ein massives Verteilungsproblem zu geben. Die Kirchensteuermittel, die von allen Milieus aufgebracht werden, kommen vor allem einigen wenigen zu Gute. Speziell das ortsgemeindliche Leben, das vor allem den Bedürfnissen traditionsorientierter Christen dient, erhält den Löwenanteil der Kirchensteuermittel. Das bislang oft zu hörende Argument, jeder könne sich ja zur Kirchengemeinde halten, diese stehe ja allen offen, lässt sich im Licht der Lebensweltforschung nicht mehr aufrechterhalten. Eine solche Argumentation ist eben nicht milieusensibel. Sie übersieht die ebenso inkludierende wie exkludierende Wirkung bestimmter Milieus außerhalb und eben auch innerhalb der Kirche. Zum Kapitel Ressourcengerechtigkeit gehört auch die Frage: Für welche Zielgruppen wird kirchliches Personal angestellt? Wie steht es mit Zielgruppen außerhalb der Alten und Jungen? Was ist mit den Singles? Es gibt doch nicht nur die Familien, im Gegenteil, es gibt immer weniger. Wo kommen Arbeitslose und Akademiker, wo Arbeiter und leitende Angestellte in Regelangeboten von Kirchengemeinden vor? Warum sollen Menschen in der Kirche bleiben, wenn sie von ihren sich im Laufe der Zeit enorm summierenden Beiträgen keinen persönlichen Profit haben, abgesehen von punktuellen Berührungen an einigen Schnittpunkten des Lebens?

      Das sind ziemlich radikale Fragen. Es fällt nun noch einmal anderes Licht auf die Frage: Wer verhält sich hier letztlich unchristlich: Alteingesessene Christen, die anderen den Zugang zur Kirche versperren, oder Menschen, die den Weg in die Kirche nicht finden, weil es nicht ihre Kirche ist?

      b) Theologische Konsequenzen

      (1) Kirche neu und anders denken: neue Formate von Kirche in einer sich verändernden Gesellschaft

      Wir müssen darüber nachdenken, welche Gestalt Kirche in einer sich radikal verändernden Gesellschaft braucht, wenn sie bei den Menschen sein will. Die Ortskirchengemeinde hat sich über mehrere Jahrhunderte sehr bewährt. Sie hat sehr viele Menschen erreicht und ein flächendeckendes Netz über die Menschen gespannt. Heute müssen wir wahrnehmen: die Lebensweisen der Menschen haben sich nicht nur sehr ausdifferenziert. Die Biographien sind bruchstückhafter, zeigen weit weniger Konstanz als früher, sind durch hohe Erwartungen an Flexibilität und Dynamik gekennzeichnet. Wir nehmen wahr, dass zu der dem Selbstverständnis der Kirchen nach wichtigsten Regelveranstaltung, dem Gottesdienst, im evangelischen Bereich nur noch 3–10%, im Durchschnitt 4% Kirchenmitglieder finden. Die Ortskirchengemeinde hat sich sehr bewährt, und sie muss ein Regelangebot von Kirche bleiben. Aber sie erreicht nur noch einen kleinen, eher älteren, eher traditionsorientierten Teil der Bevölkerung. Wenn sich unsere Gesellschaft in Lebenswelten mit sehr unterschiedlichen Prägungen ausdifferenziert, dann liegt es nahe, dass Kirche diese Ausdifferenzierung nachvollzieht. Das bedeutet: Neben der parochialen Gestalt von Kirche brauchen wir ergänzende alternative Gestalten, mit denen wir Menschen in ihrer Lebenswelt erreichen – etwa da und dann, wenn die gegebene Ortskirchengemeinde