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Milieusensible Pastoral


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verwundern, dass diese heute im katholischen Raum vielen als die christliche Alternative zum postmodernen Relativismus erscheint. Es kann angesichts der mehr als zwei Jahrhunderte dauernden Abarbeitung am Erbe des deutschen Idealismus nicht verwundern, dass vor allem die Ethik und die Erkenntnistheorie und damit im Ergebnis auch die Religionsphilosophie Immanuel Kants als normativer Rahmen (neu-)protestantischer Theologie und speziell Ethik erscheint.11 Aber war das immer so? Hat es hier nicht unendliche Abarbeitungsprozesse und Integrationsbemühungen gegeben, die bis heute nicht abgeschlossen sind? Haben wir demgegenüber Postmoderne als Kultur und Mentalität, als Herausforderung überhaupt schon nennenswert wahrgenommen?

      – Kann soteriologisch wirklich vertreten werden, dass Menschen, um zu Christus zu kommen, quasi eine doppelte Bekehrung brauchen: eine in eine (prä)moderne Kultur und dann – von da aus – eine zu Christus? Gehört es nicht gerade zur Kernsemantik des Evangeliums, dass es un-bedingt zukommt und gilt?

      – Vielleicht noch spannender sind die philosophischen Fragen, vor denen wir stehen. Natürlich hält die Debatte um die Substantialität postmoderner Ansätze noch an. Aber man wird doch mit einigem Recht fragen dürfen, ob nicht postmodernes Philosophieren einen fundamentalen Einschnitt in der abendländischen Philosophiegeschichte bedeutet. Wenn der von Nietzsche prognostizierte Tod des „moralischen“ Gottes12 metaphysisch zu verstehen ist, wenn also das von Nietzsche angesagte und von vielen Denkern des 20. Jahrhunderts wahrgenommene größte Ereignis der Denkgeschichte13 ebendarin besteht, dass sich uns philosophisch die Begriffe „der“ Vernunft, „der“ Wahrheit, „des“ Schönen, Guten, Gerechten zersetzt haben und nicht mehr repristiniert werden können, dann ist christliche Theologie schlicht und einfach gefragt, ob sie philosophisch einen Anachronismus darstellt, m. a. W., ob sie nicht auf Voraussetzungen aufbaut, deren Selbstverständlichkeit nicht mehr einfach unterstellt werden kann.

      Wir haben jetzt einige, lange nicht alle Herausforderungen angeschaut, die sich für die Glaubensweitergabe in einem im engeren Sinne postmodernen Kontext ergeben. Dass wir vor noch viel umfassenderen Fragen stehen, zeigt sich dann, wenn wir den weiteren – im Titel des Aufsatzes intendierten – Begriff von Postmoderne zu Grunde legen und uns der mentalen Fragmentierung unserer Zielgruppe stellen.

      e) Von der Unmöglichkeit, es allen recht zu machen

      Kirchliche und theologische Verantwortung des Glaubens hat es mit sehr unterschiedlichen Lebenswelten zu tun. Wir haben hier noch gar nicht die Vielfalt unterschiedlicher Milieus aufgeblättert. Es reicht schon, wenn wir uns die nicht aufeinander abbildbaren Ansätze der Basismentalitäten vergegenwärtigen. Vergegenwärtigt man sich die – erkenntnistheoretisch gesprochen – Inkompatibilität des Wahrheitsdenkens im modernen, prämodernen und postmodernen Paradigma, wird plausibel, dass die Rede von „Glaubenskommunikation“, Kommunikation des Evangeliums ein Abstraktum bedeutet.

      Nehmen wir als Beispiel den Bereich ethischer Weisung. Für ein prämodernes Denken gehört es zum Besten, was christlicher Glauben den Menschen geben kann, dass er ihm verbindliche Normen verkündigt, dass er ihn in einen Horizont hineinstellt, der den Menschen „relativiert“, Norm und Maß gibt und ihn so davor bewahrt, abzuheben. „Ihr werdet sein wie Gott“ – das ist dann die Versuchung der Schlange. Es muss dann dem Menschen gesagt werden, dass es Gebote gibt, die einzuhalten für ihn gut ist. Die Aufgabe der Kirche ist es dann, genau diese Weisungen Gottes auch im Raum der Gesellschaft und wenn möglich mit Unterstützung des Staates zur Geltung zu bringen. Wie anders sieht dagegen der postmoderne Kontext aus! Das Individuum ist – mit Friedrich Nietzsche gesprochen – „etwas Absolutes“14. Ihm kommt absolute Bedeutung zu. Es kann für es keinen übergreifenden Horizont geben, der seinen individuellen Horizont in Frage stellen könnte. Es kann keine umgreifende Wahrheit geben, die seine individuelle Wahrheit in Frage stellen könnte. Normen mit letztem, absolutem, weil „göttlichem“ Geltungsanspruch ermöglichen nicht, sondern bedrohen die Freiheit. Deshalb ist „ihr werdet sein wie Gott“, ihr werdet Subjekte eurer selbst sein, die Verheißung schlechthin.

      Aktuelles Beispiel: Was den einen für das Überleben der Gesellschaft unabdingbar zu sein scheint: die Ablehnung von homosexuellen Lebensweisen, ist den anderen Inbegriff einer restriktiven, den Menschen verachtenden Moral, die den einzelnen Menschen einer abstrakten Norm unterwirft.

      Kommunikation des Evangeliums? Welches denn?

      f) Unterschiedliche kulturelle und mentale Erschließungen des Evangeliums

      Wieder könnte sich die Strategie nahelegen, den Konflikt dadurch zu beseitigen, dass der postmoderne Horizont als unchristlich abgelehnt wird. Der Konflikt ist dann ein Scheinkonflikt, weil eben nur die herkömmliche, traditionsorientierte, vor allem in prämodernen Mentalitäten verankerte Form von Kirchlichkeit das Attribut „christlich“ verdient. Gegenüber diesem Versuch der „Problemlösung“ ist an die bereits genannten Argumente zu erinnern. Hinzu tritt aber noch eine weitere Überlegung. Wer genau hinschaut entdeckt:

      – (1) Unterschiedliche Kulturen, Mentalitäten, Lebensstile erschließen das Evangelium in unterschiedlicher Weise, was im Umkehrschluss bedeutet, dass keine Mentalität und kein Milieu die Fülle des Evangeliums repräsentiert.

      – (2) Was bereits aus der Missionstheologie bekannt ist, bestätigt sich auch für unseren, in der Sache missionarischen Zusammenhang: Das Evangelium ist kein Container, dessen Inhalte an sich gegeben und nun als abstrakte und abstrahierbare Größe nur aus einer Kultur in eine andere übertragen werden müssten.

      Ich erläutere beide Sachverhalte:

      – (Ad 1) Am gegebenen Beispiel: wer könnte bestreiten, dass die Kommunikation des einen, göttlichen, für alle geltenden Willens Gottes eine ungeheure formierende, Gemeinschaft und Gesellschaft bildende Kraft besitzt; dass es zur Semantik der Ehre Gottes gehört, dass der Mensch ihm gehorcht; dass er Gottes Willen über seinen eigenen stellt. Hier ist ein lange Zeit dominierendes Lebenskonzept grundgelegt, das sowohl den Glauben auslegt wie auch eine ganze Kultur hervorgebracht hat. Hier bildet sich der Mensch, der spezifisch Mensch ist, im Gegenüber zu Gott; der im Gegenüber zur Offenbarung des persönlichen Gottes Geborgenheit, Sicherheit und eine heilvolle Begrenzung findet. Wer wollte umgekehrt bestreiten, dass gerade die Optionenvielfalt, der programmatische Reichtum der individuellen Lebensweisen und Lebenswelten ein kaum zu überbietender Ausdruck dessen ist, dass jeder Mensch ein einzigartiger, individueller Gedanke Gottes ist, der auf individuelle Entfaltung drängt. Uniformität ist nicht das Kleid Gottes. Es kann doch gar nicht bunt und vielfältig genug sein. Und kann es eine herrlichere Repräsentation der Majestät und Größe Gottes geben als den Menschen, der seine Freiheit realisiert und sich zum Herrscher über alles macht?

      Und sosehr, wie ein anything goes, ein „lasst uns alles ausprobieren, sind wir nicht Herren über alles“ entgleisen kann, so sehr haben wir ja bereits die Erfahrung gemacht, dass und wie eine prämoderne Gestalt und Erschließung von christlichem Glauben auch entgleisen kann, etwa da und dann, wenn Normen Menschsein nicht ermöglichten und befreiten, sondern Menschen unterjochten und Abweichungen diskriminierten.

      – (Ad 2) Wenn biblischer Gottesglaube griechischer Metaphysik begegnet und diese aufnimmt, um sich zu entfalten, wird das Evangelium anders aussehen, als wenn die biblischen Zeugnisse im Rahmen einer letztlich nihilistischen Welt-Anschauung gelesen werden. Ein Glaube, der sich philosophisch in einem umfassenden, theologisch durchwirkten Zusammenhang fundiert, der Gott ontologisch als den über den Menschen stehenden und nicht von ihren Bewegungen getriebenen „unbewegten Beweger“15 begreift, kann dem Gottesglauben eine imponierende Geschlossenheit, Sicherheit, Geborgenheit geben. Der alles wissende, alles wirkende Gott ist dieser Welt omnipräsent, auch wenn wir ihn nicht in allem verstehen. Das Evangelium fasst sich dann etwa in diesem einen Zentralwort „Vater“ zusammen, von dessen providentieller Liebe wir umgeben sind.

      Freilich, was ist, wenn die Theodizeefrage nicht mehr einfach ertragen wird; wenn sie zum „Fels des Atheismus“ wird (Georg Büchner: Dantons Tod); wenn es nach Nietzsche ein Gebot der intellektuellen Redlichkeit ist, für neuzeitlich-moderne Welterfahrung keinen Sinn mehr zu unterstellen16; wenn die Wahrnehmung des Leidens und der Ungerechtigkeit in dieser Welt überwältigend wird und die Mitte des Glaubens verdunkelt wird, weil