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Milieusensible Pastoral


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steht wie die Volkskirchen in Deutschland, aber noch einem sehr viel härteren Säkularisierungsdruck ausgesetzt ist, spricht von der Notwendigkeit von fresh expressions of church.24 Sie strebt programmatisch eine mixed economy von herkömmlichen, ortskirchengemeindlich organisierten Gemeindeformen und alternativen Gestalten von „Kirche“ an, die sich dort ergeben, wo sich Christen – im Auftrag ihrer Kirche und mit ihrer Unterstützung – auf die Lebenswelten der Menschen in ihrer Gesellschaft einlassen.

      (2) Mentale Umorientierung: von der Komm-Struktur zur Geh-Struktur

      Neben die traditionelle und bewährte Komm-Struktur von Kirche muss die Geh-Struktur treten. Wir dürfen und müssen Menschen weiterhin einladen, zu unseren Gottesdiensten, in unsere Räumlichkeiten, zu unseren kirchlichen Veranstaltungen. Wir müssen aber realisieren, dass wir mit dieser Struktur nur einen Bruchteil der Menschen erreichen und interessieren, auch wenn sie sich zum gegebenen kirchlichen Leben vor Ort halten. Milieusensibilisierung heißt in diesem Zusammenhang: verstehen, dass auch das gegebene kirchliche Leben immer eine bestimmte Prägung ist, die – hoffentlich – Menschen erreicht, aber eben dadurch, dass sie für bestimmte Menschen interessant ist, die sich in ihr wohl fühlen und zu ihr passen, andere ebenso sicher abschreckt, abstößt und ausschließt. Die Pluralisierung der Lebensumstände zieht es nach sich, dass es nicht nur ästhetische und mentale Barrieren sind, die Menschen abhalten, sich dem kirchlichen Leben vor Ort anzuschließen. Sehr viele sind am Wochenende beschäftigt; sehr viele sind unterwegs; viele haben am Sonntagmorgen oder Samstagabend die einzige Möglichkeit, als Familie zusammen zu sein. Viele empfinden freilich auch kirchliche Gebäude, kirchliche Umgangsformen und Redeweisen, Rituale und Einstellungen als Teil einer Lebenswelt, die nicht zu ihnen passt und – das spüren sie instinktiv – zu der sie nicht passen. Wer das bewerten will, muss sich vergegenwärtigen, dass ebendas kirchengemeindliche Leben vor Ort nicht die christliche Lebensweise an sich repräsentiert, auch wenn dieser Kurzschluss je eher naheliegt, je weniger man sich öffnet – sondern eben nur eine mögliche Prägung darstellt. Wer Menschen erreichen will, die sich durch unsere Regelangebote einer Komm-Kirche nicht ansprechen lassen (von Kasualien einmal abgesehen), der muss die Komm-Struktur durch eine Geh-Struktur ergänzen. Wer Menschen in ihre Lebenswelten folgt und in ihnen Gemeinde baut, folgt damit dem Vorbild des lebendigen Gottes, der seine himmlische Herrlichkeit verlässt, auf die offenbar nicht sehr erfolgreiche Komm-Struktur verzichtet, sich in Jesus selbst auf den Weg macht und in unsere Lebenswelt(en) eintaucht, Mensch wird wie wir, in allem versucht wird wie wir und in der Begegnung mit den Abgründen und Untiefen menschlicher Lebenswelten Barmherzigkeit lernt.25 Diese Kommunikationsweise des lebendigen Gottes ist beispielhaft für Kirche und Christen, die Menschen erreichen wollen, die sich interessieren, indem sie zwischen, bei den Menschen sind.

      Was bedeuten diese Überlegungen für Kirche als Institution? Was können wir „einrichten“, um Kirche den Prozess mentaler und spiritueller Umorientierung zu erleichtern?

      (3) Kommunikation des Evangeliums im Kontext der Postmoderne

      Wenigstens ansatzweise möchte ich auf vier Gesichtspunkte hinweisen, die sich ergeben, wenn wir Postmoderne als eine der Basismentalitäten begreifen und uns um milieu- bzw. mentalitätssensible Glaubenskommunikation in postmodernen Kontexten bemühen:

      – (1) Postmoderne – nicht unchristliche, sondern achristliche Lebenswelt: die spezifisch missionstheologische Herausforderung

      Wir müssen als Kirche einen theologischen bzw. religionsphilosophischen Schwerpunkt unserer missionstheologischen Reflexion auf die milieusensible Glaubenskommunikation in postmodernen Lebenszusammenhängen legen. Deutschland ist Missionsland geworden, aber doch nicht nur in dem Sinne, dass es weite Bereiche v.a. im Osten und Norden und in den Großstädten gäbe, die weitgehend säkularisiert wären. Ich sehe noch eine weitere Bedeutung dieses inzwischen viel zitierten Satzes. Es geht nicht nur um den Sachverhalt, dass wir es in weiten Teilen Deutschlands mit einer Kultur zu tun haben, die sich von Kirchen und Glaube abgewandt hat und Christentum nun kritisch gegenübersteht. Es ist vielmehr eine Kultur entstanden, oder besser eine unüberschaubare Vielfalt von Subkulturen und Lebenswelten, die als Ergebnis des Säkularisierungsprozesses weitgehend ohne Bezug, auch ohne kritischen, zum christlichen Glauben entstanden ist. Postmoderne Mentalität und postmoderne Milieus sind nicht unchristlich, sie sind achristlich. Sie stellen ein kulturelles Setting dar, das vom Evangelium noch gar nicht erreicht wurde. Das stellt vor Herausforderungen, die spezifisch missionstheologischer Natur sind. Es geht exakt um die Aufgaben, vor denen auch Missionare stehen bzw. standen, wenn sie in der Dritten Welt das Evangelium in eine Kultur hinein kommuniziert haben, die diesem komplett fremd war.

      – (2) Kontextualisierung des Evangeliums in postmodernen (Sub-) Kulturen

      Dementsprechend besteht die ebenfalls missionstheologische Aufgabe darin, das Evangelium in postmodernen Kulturen zu kontextualisieren. Dies bedeutet nicht, einer an sich gegebenen Größe noch einmal eine andere Gestalt zu geben. Vielmehr konstituiert sich das, was das Evangelium ist, indem es in eine bestimmte Kultur eingeht, sich in ihr inkarniert. Sehr schön lässt sich der sprachphilosophische Sachverhalt am hebräischen dawar exemplifizieren. dawar ist kein Wort, das einen theoretischen, abstrakt fassbaren Geltungsanspruch bedeutet, sondern eine Mit-Teilung, die immer sofort eine soziale Gestalt in dem Zusammenhang hat, in den sie (hin-)eingeht. Evangelium in postmodernem Kontext ist von daher nicht „dasselbe“ wie in modernen oder prämodernen Lebenszusammenhängen. Eine solche Vorstellung unterstellt ja die Möglichkeit, eine solche Mentalitäten übergreifende Identität abstrakt zu erfassen. Evangelium ist kein Container, der von einer Kultur in die andere umgesetzt werden könnte, vielleicht noch einmal einen anderen Anstrich bekommt. Um in einer Kultur zu wirken, muss es Teil dieser Kultur werden. Um die Kultur zu verändern, muss es so weit in sie eingehen, dass Kommunikation möglich ist, „auf Augenhöhe“, in den gegebenen Relationen. Ein wunderschönes, nicht zu überbietendes Beispiel finden wir in der Kommunikation des dreieinigen Gottes mit uns Menschen, wie sie in Phil 2,5 f beschrieben wird. Wir sollen dieselbe missionarische Gesinnung und Kommunikationseinstellung haben wie der lebendige Gott, der, um mit Menschen zu kommunizieren, selber Mensch wird; der seine Lebenswelt verlässt und in unsere eingeht, unsere Lebensbedingungen teilt. Die theologische Reflexionsaufgabe ist eine doppelte: Wir müssen demütig und selbstkritisch einsehen, dass das Konzept von Theologie und Evangelium, das in knapp 1700 Jahren im Westen entstanden ist, hoch valide ist, aber eben nicht das Evangelium und die allein mögliche Form von Theologie repräsentiert, sondern eine Gestalt des Evangeliums und eine spezifisch westliche Theologie. Wir dürfen und müssen daneben eine andere Gestalt von Evangelium gewinnen und eine alternative Form von Theologie für die Postmoderne entwerfen. Ihr Spezifikum besteht darin, dass sie – anders als eine herkömmliche Theologie vermöchte – unserer postmodernen Mentalität nicht nur kritisch gegenübersteht, sondern diese dadurch bereichert und verändert, dass sie in ihr Gestalt gewinnt. Die Ängste, Essentielles zu verlieren, sind begreiflicherweise groß, und sie sind nicht unberechtigt. Das Essentielle darf nur nicht mit dem verwechselt werden, was das Spezifische einer bestimmten Kulturwerdung ausmacht. So müssen wir sehr konkret darum ringen, ob ein bestimmtes philosophisches Setting, etwa ein metaphysisches Denken über Wahrheit und Vernunft, das diese nur im Singular denken kann, zur Kommunikationssituation des Evangeliums unbedingt dazugehört; ob wir das Evangelium nur in Form einer propositionalen Wahrheitsbehauptung weitergeben können – oder nicht. Falls Ersteres der Fall wäre, wären wir freilich in bestimmten mentalen und philosophischen Szenarien zur Sprachlosigkeit verurteilt und könnten diese nur noch bekämpfen. Hier gibt es einen immensen Klärungsbedarf.

      Mentalitätssensible Kommunikation des Evangeliums und Kontextualisierung desselben in postmodernen Zusammenhängen vollzieht sich dabei in Aufnahme und Widerspruch, im Andocken und Verändern. Das möchte ich an drei Beispielen andeuten:

      – (3) Postmoderner Horizontverlust

      Postmodernem Denken sind die metaphysischen Singularitäten, wie sie vor allem die griechisch-philosophische Tradition hervorgebracht hat, zerbrochen. Noch mehr, sie sind entlarvt als