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Milieusensible Pastoral


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der Wahrheit, der Gerechtigkeit gestorben sind, weil der Mensch sie missbraucht hat, weil er sie benutzt hat, um sich selbst zur Macht zu bringen, wenn also tatsächlich unter unseren Messern das Schönste und Heiligste gestorben ist, was der Mensch besessen hat,17 wenn – für viele Menschen – nicht mehr vorstellbar ist, wie anders als im Sinne des Machtmissbrauches bzw. ohne moralische Wertung formuliert: wie anders als zum Zwecke des eigenen Willens zur eigenen Macht von „wahr“ und „vernünftig“ gesprochen werden kann, dann stehen wir in einer nihilistischen Konstellation. Nihilismus ist nichts anderes als die Kehrseite eines Wahrheitspluralismus. Logisch ist universaler Wahrheitspluralismus universalem Falschheitspluralismus ja äquivalent. Wenn alles wahr ist (und nichts mehr falsch), dann ist nichts mehr wahr (im modernen und prämodernen Sinne der Auszeichnung einer Position vor anderen); dann gibt es ja nichts mehr, was einen Unterschied machen würde. Dann kann man ja auch alles prädizieren, Wahrheit so gut wie Falschheit.

      g) Milieudifferenzierte Kommunikation des Evangeliums

      Bisher haben wir uns nur an der sehr groben, wenn auch fundamentalen Unterscheidung von nicht kompatiblen, nicht aufeinander zurückführbaren oder aufeinander abbildbaren Basismentalitäten orientiert. Moderne, Postmoderne und Prämoderne liegen dem Sinus-Milieu-Modell als unterschiedliche Grundorientierungen auf der waagrechten x-Achse der Karte der Lebensweltsegmente zu Grunde. Es ist nur konsequent, wenn wir der Fragmentierung und Segmentierung unserer Gesellschaft noch präziser folgen und auf der Basis des Bisherigen nun die feinere Milieu-Unterscheidung in den Blick nehmen und fragen, was sie für die Kommunikation des Evangeliums bedeutet.

      Die vielleicht entscheidende und wichtigste Erkenntnis der modernen Lebensweltforschung besteht in der Einsicht, dass Kirche nur ca. zwei bis drei von zehn Milieus erreicht.18 Unter „erreichen“ versteht die entsprechende Sinus-Studie für die katholische Kirche aus dem Jahr 2005 nicht eine gelegentliche Berührung mit Glaube und Gemeinde, etwa aus Anlass der Teilnahme an einer Kasualie. „Erreichen“ soll in diesem Zusammenhang einen prägenden Einfluss auf die Lebensgestalt eines Menschen meinen. Die Sinus-Kirchen-Studien wirken auch deshalb so provozierend, weil sie empirisch erhärten, was viele zuvor vermutet oder unscharf erahnt haben: Je (post-)moderner ein Lebensstil ist, umso ferner steht er dem verfassten kirchlichen Leben vor Ort.19 D. h., Kommunikation des Evangeliums in postmodernen (im Sinne von nachmodernen, s. o.) Verhältnissen gelingt durchaus, aber eben nur für ein bestimmtes, eingegrenztes Klientel. Verschiedene Untersuchungen haben erhärtet, dass Menschen, die traditionsorientiert leben, Kirche, oder präziser formuliert: dem kirchengemeindlichen, parochial verfassten Leben von Kirche deutlich näher stehen und an ihm signifikant stärker partizipieren als Menschen, die eine moderne Grundorientierung verfolgen und dabei postmaterielle, kritische oder liberale oder auch emanzipative Werthaltungen einnehmen oder aber postmoderne Settings einnehmen: also multioptional orientiert sind, ein Leben in – modern gesehen – Widersprüchen nicht scheuen, sich antibürgerlich verstehen, dagegenleben, versuchen, in ihrem Leben Grenzen zu überschreiten, und ihr Leben als Experiment entwerfen.

      Kirche20 erreicht Menschen im traditionsorientierten, konservativetablierten und teilweise im Milieu der Bürgerlichen Mitte. Hier gelingt ihr Glaubenskommunikation. In anderen Milieus gelingt sie ihr sehr viel weniger bis gar nicht. Die kulturanthropologischen Grundlagen der Milieu- und Mentalitätsforschung legen einen Zusammenhang nahe, der sehr einleuchtend ist, aber für die missionarische Pastoral immense Konsequenzen hat. Milieu ist deshalb zum Schlüsselbegriff aktueller Lebensweltforschung geworden, weil Menschen sich vor allem in Gruppen Gleichgesinnter zusammenfinden und organisieren. Nicht eine nahezu grenzenlose Individualisierung bestimmt die Lebensstile der Menschen, sondern eine überschaubare Gemeinschaft von Menschen, mit denen einen gemeinsame Überzeugungen, Gewohnheiten, Vorlieben, materielle Möglichkeiten und Bildungsvoraussetzungen verbinden. Konkret äußert sich das in einer sehr ähnlichen Ästhetisierung des Alltags: in einem Musikstil, der verbindet; in Freizeitaktivitäten, die man teilt; in einem Outfit, das man für cool, und genauso wichtig: in der Ablehnung von Kleidung, die man für mega uncool/doof/unangebracht etc. hält. Hier, in dem eigenen Milieu, fühlt sich das Individuum wohl. Hier muss es sich nicht ständig erklären. Hier trifft es in den „Mitbewohnern“ der eigenen Lebenswelt ein Stück weit auf sich selbst. In der Sache bedeutet das,

      – dass die Milieus zwar empirisch nicht scharf voneinander getrennt werden können, dass es Übergänge und lebensweltliche Überlappungen gibt,

      – dass ein Milieu aber gerade darin seine Funktion hat, dass es ein spezifisches, beschreibbares Profil hat,

      – dass dieses Milieu-Profil ebenso – einige – integriert, wie es – viele – abstößt, dass es ebenso inkludiert, wie es exkludiert, – dass Milieus deshalb attraktiv sind, weil sie ein Profil haben, das „zu mir“ passt und zu dem ich passe, dass wir uns genau deshalb in ihnen wohlfühlen,

      – dass Milieus deshalb funktionieren und eine so große, für die sozialwissenschaftliche Beschreibung unserer Gesellschaft unverzichtbare Bedeutung erlangt haben, weil diese Passungen Distinktionsgrenzen generieren: Ich fühle mich in einer Lebenswelt, mit einem bestimmten Lebensstil wohl; ich will mein Milieu so, wie es ist. Wer anders ist, soll bitte woanders bleiben; er (oder sie) wird aber vermutlich von selber merken, dass er (oder sie) hier nichts zu suchen hat, hier einfach nicht hinpasst. – Wir reden von unsichtbaren Grenzen, die mental gegeben sind, im Regelfall nicht rational reflektiert werden, sondern intuitiv gelten und unwillkürlich vollzogen werden. Wo über sie nachgedacht wird, ist das im Regelfall ein – typisch modernes – Instrument, sie in ihrer Macht und Bedeutung zu relativieren (wie hier in diesem Aufsatz). Die Grenzen zwischen den Milieus sind nicht abstrakt, theoretisch. Sie besitzen eine enorme, rational nicht aufzufangende auch emotionale Dynamik.

      – Zugespitzt kann man formulieren: je mehr sich die einen in einem Milieu „wohl fühlen“, umso mehr werden Andersgeprägte abgestoßen, umso mehr werden die, deren Milieu dominant ist, auch nicht wollen, dass sich die favorisierte Lebenswelt ändert und dass Andersartige an dieser ihrer Lebenswelt partizipieren und diese womöglich ändern.

      All diese Einsichten sind für Kirche alles andere als belanglos,

      – weil sich die Milieusegmentierung der Gesellschaft in der Kirche wiederholt,

      – weil es eben auch in der Kirche Menschen gibt, die sich in ihr sehr wohl fühlen (auch wenn das zu glauben, modernen und postmodernen Menschen eher schwer fällt) und die in ihr eine emotionale und mentale Heimat finden,

      – weil es diese Menschen in diesen eher prämodern und traditionsorientiert geprägten Milieus sind, die Kirche einerseits so behalten wollen, „wie sie ist“, andererseits die Milieus, in denen sie sich so wohl fühlen, genau die Andersgeprägten ausschließen,

      – weil es – zugespitzt formuliert – in jeder Kirchengemeinde dominante Milieus gibt. Sie können bürgerlich, postmateriell, konservativ oder etabliert sein – in jedem Fall sind sie bestrebt, Veränderungen der Lebenswelt, in der sie „zu Hause“ sind, entgegenzuwirken.

      Eine der Strategien des auch in der Kirche zu findenden Milieu-Egoismus besteht darin, die eigene Milieuprägung, das eigene, eigengeprägte kirchliche Milieu mit der Kirche, dem Milieu von Kirche an sich zu identifizieren. Es nimmt nicht wunder, dass interessierte, veränderungsresistente Kreise in der Kirche sich gegen eine Lebensweltforschung wenden, die ihnen so unangenehme Einsichten zumutet und natürlich nach den Konsequenzen fragen lässt.

      Diese Einsichten sind hart. Es fällt Christen und Kirchen erfahrungsgemäß nicht immer leicht, diese Sachverhalte einzusehen und zu realisieren, dass auch in der Kirche ganz menschliche Mechanismen walten, auch wenn man noch so missionarisch sein möchte, auch wenn man sich noch so sehr für die Wirkung des Heiligen Geistes öffnen möchte, dabei aber de facto erwartet,

      – dass die anderen erst einmal so werden wie man selbst, wenn sie als Christen in „der Kirche“ mitleben wollen,

      – dass sie sich gefälligst der gegebenen Kirchengemeinde und ihren Gepflogenheiten anpassen sollen, bevor sie mitmachen.

      Mit diesen kritischen Bemerkungen sind wir bei den abschließenden Reflexionen. Was für