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Verwundbar


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aus der Gemeinschaft heraus, deren Zeiterleben weiterläuft und deren Grundannahmen unberührt bleiben von dem, was ihnen widerfahren ist. Traumatische Ereignisse haben damit immer eine soziale Dimension. Sie konfrontieren mit den gewaltvollen Aspekten unseres Zusammenlebens, mit den dunklen Seiten unserer Ordnung und mit einer Wahrheit, die niemand wissen will: dass unser Leben zerbrechlich ist und die Welt ein riskanter Ort, an dem Menschen einander schaden, und dass „im Extrem ein einziges Gewaltwiderfahrnis“ ausreicht, um einen Menschen seelisch zu zerstören (Seidler 2013, 17).

      Trauma ist daher eng mit dem Tabu assoziiert (Gottfried/Riedesser 2009, 39 &183) und mit einer spezifischen Doppelbewegung verbunden aus Aussprechen und Verschweigen, Verweisen und Verhüllen. Denn der Traumabegriff signalisiert die Verwundungen, die in einer Gesellschaft vorkommen, ohne sie konkretisieren zu müssen. Er verweist auf eine Tabuzone, die um die Verletzungen herum entsteht, ohne sie damit schon zu berühren, und markiert den Tabubezirk, den eine traumatische Erfahrung im Leben der Betroffenen hinterlässt und der ihnen selbst und anderen lange verborgen bleiben kann.

      Auch das Trauma ereignet sich oft im Verborgenen: in abgesperrten Bereichen wie Haftanstalten, Lagern und Folterzellen, bei Geheimdiensten und beim Militär, viel öfter aber in öffentlichen Einrichtungen, in staatlichen und gesellschaftlichen Institutionen wie Firmen, Vereinen und Betrieben, in Familien, Schulen und Kirchen. Dort geschieht es als scheinbare Ausnahme von der Regel, die in den Alltag einbricht und die Tagesordnung durcheinanderwirft, doch wird es von den täglichen Strukturen auch getragen, ja vielfach durch sie erst ermöglicht, wenn es sich innerhalb der verabredeten Gesellschaftsordnung vertuschen und verschleiern, bagatellisieren und legitimieren lässt, statt sanktioniert und geahndet zu werden.

      Das Trauma hat dabei eine ambivalente Funktion. Einerseits bricht es als explosive Kraft brutal in den Alltag ein und kann hier mit großer Wucht alle erfassen, die in seinen Sog geraten: nicht nur die Betroffenen selbst, sondern auch Beobachter und Zeuginnen, Helfer und Therapeutinnen können emotional von ihm erfasst werden, ja allein die sprachliche Konfrontation kann traumaspezifische Ängste auslösen und auch diejenigen berühren, die nur auf der wissenschaftlichen Ebene mit ihm in Kontakt kommen. Andererseits stellt Trauma auch jedes Ordnungsgefüge, in dem wir leben, subversiv in Frage. Es deckt dessen Grausamkeit auf und kann dazu führen, dass Menschen den Mut aufbringen, das Tabuisierte beim Namen zu nennen, sich politisch und sozial zu engagieren und durch Prävention und Sanktionen dafür zu sorgen, dass die Gewalt begrenzt wird. Das Trauma selbst aber ist ein unberührbarer Bereich. Es ist als historische Tatsache der Vergangenheit präsent und potentiell immer da, für jeden in jedem Augenblick. Doch das Trauma „an sich“, jetzt und hier, gibt es nicht (Bokanowski 2005, 11). Was es gibt, sind traumatogene Ereignisse, die Traumafolgen in Gang bringen können, und das spezifische, individuell recht unterschiedliche Erleben dieser Ereignisse sowie Theorien, Konzepte und Denkmodelle, die das Zusammenspiel von Ereignis und Erleben zu klären suchen, und viele persönliche Leidensgeschichten, die das, was die Sprache verschlägt, nachträglich in Worte fassen. Im besten Fall kann sich dies zu einer Traumaerzählung formen und so das Loch füllen, das durch das Trauma entstanden ist.1 Das Trauma selbst hingegen bleibt eine Wunde ohne Kontur, nicht zu fassen und nicht zu berühren.2

      Sprachhistorisch stammt das Wort τραũµα aus dem Griechischen und wird meist mit „Wunde“ oder „Verletzung“ ins Deutsche übersetzt.3 Ursprünglich stammt es aus der griechischen Seefahrersprache und bezeichnete dort Lecks und andere Schäden, die Stürme, Strömungen und Klippen in die Schiffe schlugen und die Mannschaften an Leib und Leben gefährdeten, so dass es auch „Verlust“ und „Niederlage“ bezeichnen konnte.4 Die Medizin übernahm den Begriff für körperliche Wunden und benannte damit die Verletzung eines Gewebes, ehe der Terminus im 19. Jahrhundert von der Chirurgie aus auf psychische Vorgänge übertragen und nun für seelische Verletzungen verwendet wurde, die durch Einwirkung von außen, durch Unfälle und Kriege etwa, entstehen und mit einem Erlebnisgehalt verbunden sind, der die Betroffenen auffallend lange begleitet. In diesem Zusammenhang avancierte Trauma zum zentralen Fachbegriff der Psychoanalyse, später auch der Psychotraumatologie, die teils sich überlappende, teils unterschiedliche Konzepte mit ihm verbinden.

      Mit der Anerkennung der Posttraumatischen Belastungsstörung im Jahr 1980 als einer möglichen Traumafolge von vielen und der Gründung der Psychotraumatologie als eigenständiger Wissenschaftsdisziplin im Jahr 1991 lassen sich zwar inzwischen zwei markante Vermessungspunkte zur Topographie der Traumaforschungbenennen, und auch die Präsenz und Popularisierung des Traumabegriffs lässt sich ab den 1990er Jahren gut nachweisen. Das Trauma selbst aber bleibt unsichtbar und undarstellbar.5

      Die Frage nach der Darstellbarkeit dieses Undarstellbaren findet sich nun vor allem in der Kunst,6 wofür ein Beispiel genügen soll: 2018 hatte das Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe im Rahmen der „Tage des Exils“7 Werke des syrischen Künstlers Khaled Barakeh präsentiert. Barakeh, der 1976 in Damaskus geboren wurde und inzwischen in Berlin lebt, beschäftigt sich in seinen Arbeiten mit politischen Machtstrukturen, mit Folter, Flucht und Exil und mit den Langzeitfolgen kriegerischer Auseinandersetzungen. Die von ihm entworfenen und in der Hamburger Ausstellung dargebotenen Fotografien hatten Momente des Verlustes gezeigt. Auf ihnen sind Menschen zu sehen, die, nur einen Augenblick entfernt, einen anderen Menschen verloren haben, ein Kind, einen Freund, die eigene Frau vielleicht, und die die Toten noch in den Armen halten. Dabei hatte der Künstler die Körper der Verstorbenen so aus dem Bild ausgeschnitten, dass nur ihre Silhouette als weißer Fleck sichtbar ist und die Identität der Opfer verhüllt bleibt. „The Untitled Images“ heißt die Reihe, die auf diese Weise den Blick auf die Überlebenden lenkt und zugleich die brutale Realität des syrischen Krieges anzeigt – die Grausamkeit des Regimes, aber auch die „Gewalt, die vom Akt des Zeigens durch die Medien ausgeht.“8 Die weiße Leerstelle lässt sich dabei als Traumadarstellung interpretieren. Sie markiert die Lücke, das Loch, den wunden Punkt, den die Überlebenden fassungslos in Händen halten und der ihr Leben von nun an begleiten wird.9

      2. Verwundbarkeit und Verletzungsmacht: Zur Wirkung des Traumas

      Trauma ist von seiner Wortbedeutung („Wunde“), aber auch von seinen Auswirkungen her der Inbegriff menschlicher Verwundbarkeit, doch taucht das Wort in einschlägigen Handbüchern der Psychotraumatologie eher selten auf. Ähnliches gilt für den latinisierten Fachbegriff ‚Vulnerabilität‘ im Sinne einer bestimmten Anfälligkeit, an etwas zu erkranken.10 Es gilt aber auch für den Vulnerabilitätsdiskurs11 und seinen Gegenspieler, den Resilienzdiskurs, der in der Psychotraumatologie eher zurückhaltend verhandelt wird und hier als „Posttraumatische Reifung“ (posttraumatical growth!) eine eigene Interpretation erfährt.12 Das mag damit zusammenhängen, dass das Trauma auf ein Ereignis der Vergangenheit zurückverweist und zugleich seine anhaltende Gegenwartwirkmächtig markiert:13 Für die Betroffenen ist die Einordnung des Traumas in einen zeitlichen, räumlichen und kausalen Zusammenhang oft nicht möglich. Erinnerungen an das auslösende Ereignis erscheinen fragmentiert wie Bruchstücke, die sich nicht zu einem Gesamtbild fügen. Wird das Ereignis durch bestimmte Trigger neu angesprochen und in Form von Intrusionen wie Flashbacks und Alpträumen wiedererlebt, so geschieht dies in einem „Hier-und-Jetzt-Gefühl“ (Neuner, Schauer & Elbert 2013, 333), das das vergangene Geschehen wie gegenwärtig erleben lässt und die innere Distanzierung verhindert. Vulnerabilität hingegen, so Hildegund Keul (2017, 589ff.), ist eine „Zukunftskategorie“. Er verweise auf die Furcht, in Zukunft verwundet zu werden, und diese Furcht bestimme das Verhalten in der Gegenwart. Daraus könnten sich zwei destruktive Wirkungsweisen entwickeln: Zum einen verkörpere sich die eigene Verwundbarkeit in Form der Narbe, die zurückbleibt – ursprünglich um die Wunde zu schützen, dann aber vielleicht auch mit der Folge, auch lebensfördernde Bindungen zu meiden. Zum anderen könne man dazu übergehen, andere zu verwunden, um nicht selbst verwundet zu werden, und mit dieser „Herodes-Strategie“, dieser Gewaltanwendung aus Selbstschutz, etwas ausprägen, was sie als „Vulneranz aus Vulnerabilität“ bezeichnet.14

      Auch in der Traumaforschung lässt sich eine solche Bewegung ablesen und damit noch einmal der Blick lenken auf die komplexe Wirkmacht des Traumas – nicht nur in Bezug auf die Opfer,15 sondern auch in Bezug