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hierzu: „Sie wird als normale Reaktion auf ein extrem bedrohliches oder schreckliches Ereignis angesehen, die nach einigen Tagen wieder abklingt, sofern das Ereignis vorbei ist.“

      Lange wurde die PTBS als Angststörung klassifiziert (APA 2000); sie kann aber ebenso als Störung des Erinnerungsvermögens angesehen werden, denn das Geschehen des „Damals“ und „Dort“ kann nicht mehr adäquat vom Erleben im „Hier“ und „Jetzt“ getrennt werden (Elzinga & Bremner 2002). Der Schrecken der Vergangenheit erhält – über Intrusionen, Schreckreaktionen und Alpträume – Einzug in die Gegenwart. Dieser erlebte Bruch spiegelt sich auch auf neurobiologischer Ebene wider: Erinnerungselemente, die normalerweise verknüpft sind, werden fragmentiert abgespeichert. Nach Squire & Zola-Morgan (1991) können Gedächtnisinhalte unterteilt werden in „explizites“ (verbalisierbares), und „implizites“ (nicht verbalisierbares) Gedächtnis. Das explizite Gedächtnis enthält sowohl Faktenwissen als auch autobiographische Informationen; diese umfassen neben allgemeinen Informationen über Lebensabschnitte auch ereignisspezifische, faktenbezogene Informationen zum Kontext dieses Erlebnisses („Was ist passiert? Wo ist es passiert? Wann ist es passiert?“). Diese „kalten Informationen“ sind bei emotional relevanten Ereignissen eng verknüpft mit den sogenannten „heißen Erinnerungen“ (Metcalfe & Jacobs 1996; Elbert & Schauer 2002), die als Netzwerk aus sensorischer Wahrnehmung, Emotionen, Kognitionen und Körperempfindungen gespeichert werden (siehe Abb. 1). Dabei sind zwei Strukturen des Gehirns von besonderer Relevanz: Amygdala und Hippocampus. Die Amygdala, die bei der emotionalen Bewertung und Wiedererkennung von Reizen wie auch bei der Furchtkonditionierung eine wichtige Rolle spielt, ist vorwiegend für die Konsolidierung des heißen Gedächtnisses zuständig (Correll, Rosenkranz & Grace 2005). Das kalte Gedächtnis wird vorwiegend über den Hippocampus gebildet, der für die Informationsweitergabe vom Kurzzeit- ins Langzeitgedächtnis und für die Erfassung und Konsolidierung von Kontextinformationen zuständig ist (Elbert et al. 2015). So erklärt sich, dass wir beim Hören eines bestimmten Liedes an spezifische Situationen erinnert werden oder ein bestimmter Geruch unmittelbar die Erinnerung an bestimmte Menschen wach werden lässt; im Beispiel der Abbildung exemplarisch der Anblick des Schulhofs, der die Erinnerung an den Tag der positiv erlebten Einschulung weckt.

       Abb 1: Sensorisch-Perzeptuelles Netzwerk eines positiv erlebten Ereignisses, in Anlehnung an Elbert et al., 2015

      Unter Einwirkung von massivem Stress steigt die Aktivität der Amygdala, während die Aktivität des Hippocampus signifikant beeinträchtigt wird. So werden bei traumatischen Ereignissen die „heißen“ Erinnerungsinhalte intensiv und gut verknüpft „ins Gedächtnis gebrannt“, während die „kalten“ und Kontext herstellenden Elemente deutlich weniger gut abgespeichert werden (Pitman et al. 2000; Neuner et al. 2013).

      Werden mehrere verschiedenartige traumatische Ereignisse erlebt, überschneiden sich in der Regel die Elemente der einzelnen Ereignisse (Angst, Hilflosigkeit, Anspannung, etc.), wodurch ein sogenanntes „Furchtnetzwerk“ entsteht (siehe Abbildung 2) (Elbert et al. 2015). Wird ein Element dieses Netzwerks aktiviert (z.B. durch Anblick eines Bootes), wird das gesamte Netzwerk aktiviert. Dabei können zeitgleich alle Teile der „heißen“ Erinnerung aktiv sein; im Hippocampus kann zugleich jedoch immer nur eine Orts- und Zeitzuordnung erfolgen. So werden – der Hebb’schen Lern-Regel (1949) „What fires together wires together“ folgend – die Verknüpfungen zwischen den heißen Elementen verschiedener Ereignisse immer stabiler, während die Verknüpfungen zu den kalten Elementen vergleichsweise schwächer werden. Betroffene erleben die Intrusionen als „plötzlich auftretend“ – die Auslöser sind dabei oft unbewusst, was das Gefühl der Hilflosigkeit weiter verstärkt.

       Abb 2: Furchtnetzwerk, in Anlehnung an Elbert et al., 2015

      Doch nicht jede Person, die ein traumatisches Ereignis erlebt, entwickelt in der Folge eines traumatischen Ereignisses eine Posttraumatische Belastungsstörung. In einer repräsentativen Umfrage in Deutschland gaben 24,2% der untersuchten Personen in der Altersgruppe der 14-93jährigen an, ein oder mehrere traumatische Ereignisse im Verlauf ihres Lebens erlebt zu haben; die Prävalenz einer PTBS lag jedoch bei nur 2,3% (Maercker et al. 2008). In den USA gaben bei einer 2016 veröffentlichten repräsentativen Studie 68,6% der Teilnehmenden an, mindestens ein traumatisches Ereignis erlebt zu haben – lediglich 4,7% erfüllten hier die diagnostischen Kriterien der PTBS (Goldstein et al. 2016). Und auch bei Geflüchteten zeigt sich ein ähnliches Muster: In einer in Leipzig durchgeführten Studie gaben 85,5% der Teilnehmerinnen und Teilnehmer an, mindestens ein traumatisches Ereignis erlebt zu haben; bei 35,6% lag eine PTBS vor (Nesterko et al. 2019).

      Verschiedene Faktoren spielen dabei eine Rolle: In zahlreichen Studien konnte der Building Block Effekt (Schauer et al. 2003) festgestellt werden. Dieser Effekt beschreibt, dass die Vulnerabilität für die Entwicklung einer PTBS mit der Anzahl verschiedenartiger traumatischer Ereignisse ansteigt (Mollica et al. 1998; Schauer et al. 2003; Catani et al. 2008; Kolassa et al. 2010). Darüber hinaus haben „man made“ traumatische Ereignisse (interpersonelle Gewalt, Folter, Missbrauch) eine stärkere Prädiktionskraft einer PTBS als Unfälle oder Naturkatastrophen (Bromet et al. 2017). Ein weiterer Forschungsbereich befasst sich mit der Frage nach Resilienz, die auch in diesem Kontext eine bedeutsame Rolle innehat (siehe hierzu beispielsweise Werner 2004). Auch die psychosoziale Versorgung in den ersten Tagen und Wochen nach einem erlebten traumatischen Ereignis kann protektiv wirken (Hobfoll et al. 2007). Doch nicht alle Menschen bringen genügend Ressourcen mit, kommen in den Genuss einer guten Erstversorgung oder erleben eine so geringe Anzahl an traumatischen Ereignissen, dass die eigenen Kräfte zur Integration in die eigene Biographie ausreichen. Dann kann es hilfreich sein, seelsorgerische oder therapeutische Unterstützung in Anspruch zu nehmen.

      4. Narrative Expositionstherapie

       „Eigentlich wollte ich das nie jemandem erzählen. Ich dachte auch, ich kann das nicht.“

      In der Narrativen Expositionstherapie (NET) verhelfen Therapeuten und Therapeutinnen PTBS-Patientinnen und -patienten dazu, die Sprachlosigkeit zu überwinden und das Geschehene in ihrer eigenen Biographie zu verorten und zu vergeschichtlichen (Schauer et al. 2011). Dabei folgt die NET einem manualisierten Ablauf, der 8 bis 12 Therapiesitzungen à 90 Minuten vorsieht. Anhand einer ‚lifeline‘ wird zunächst ein visuell-haptischer Überblick über das gesamte Leben des Patienten/der Patientin erstellt. Ein auf den Boden gelegtes Seil symbolisiert das Leben; der Anfang bildet die Geburt ab, das aufgerollte Ende die Zukunft. In biographischchronologischer Reihenfolge werden bedeutsame Lebensereignisse von dem Patienten/der Patientin benannt und anhand von Gegenständen repräsentiert. Zur Verfügung stehen als Symbole Blumen für positive Ereignisse, Steine für angstbesetzte Ereignisse und Kerzen für Verlust. Dabei liegt der Fokus auf der kalten Seite des Gedächtnisses, also auf den Fragen „Was ist passiert?“, „Wann ist es passiert?“ und „Wo ist es passiert?“. Dabei soll der Patient/die Patientin explizit nicht jedes Ereignis ausführlich schildern, sondern nur in wenigen Sätzen darlegen, wofür das jeweilige Symbol steht.

      In den folgenden Sitzungen werden in chronologischer Reihenfolge die belastendsten Ereignisse per narrativer (erzählender) Exposition bearbeitet. Dabei leitet der Therapeut die Erzählung durch strukturierende Fragen, die alle Ebenen der heißen und kalten Erinnerung (Wahrnehmungen, Gedanken, Emotionen, Körperempfindungen und den räumlichen & zeitlichen Kontext) aktivieren. Der Patient wird also innerhalb eines sicheren äußeren Rahmens durch seine eigene Erzählung in das Wiedererleben geführt; das beinhaltet auch ein Wiedererleben der Angst, der Körperreaktionen und der Gedanken, teilweise sogar der sensorischen Wahrnehmungen, die beim damaligen Ereignis präsent waren. Gleichzeitig wird das ‚Damals‘ und ‚Dort‘ Erlebte ständig mit dem Erleben im ‚Hier‘ und ‚Jetzt‘ kontrastiert (z.B. „Du hast gesagt, dass Du damals den Wind auf der Haut gespürt hast. Was spürst Du jetzt, in diesem Moment, auf Deiner Haut?“). Durch die gleichzeitige Aktivierung des heißen und kalten Gedächtnisses (geleitet von den Fragen des Therapeuten/der Therapeutin nach einzelnen Elementen) können vormals