Heimindustrie identifizierten sich die meisten Ausserrhoder eher als mit den bäuerlichen Bräuchen, die zum Teil erst in neuerer Zeit und durch Anstösse von aussen bewusst gepflegt und als Attraktion herausgestellt wurden, mithin eher Folklorismus sind. Tanner; AR A. T.
56 Für das Entlebuch z. B. gibt Kaufmann, 46, noch für 1970 40 % landwirtschaftlich Tätige an.
57 Witzig, 92ff.
58 Zur inneralpinen Wirtschaft ausführlich Mathieu, vgl. ferner noch Witzig, 77ff.
59 Im Wallis gab es noch nach 1945 einige Dörfer ohne Zufahrtsstrassen für Motorfahrzeuge.
60 Zahlen bei Siegen Jos., 54.
61 Bellwald/Guzzi.
62 Kuonen.
63 In Graubünden war er nur im protestantischen Teil alt, im Deutschwallis etwa in Zermatt und im Saaser Tal.
64 Zur kirchlichen Lage im Tessin Macconi.
65 Antonietti; Siegen Joh.
66 Weiss, 107.
67 Kurz/Lerch; Bierbrauer.
68 Ming H., 246.
69 Bonstetten, bes. 61ff.
2.1 Zur Typologie der voralpinen Landwirtschaft
Zu den früher getroffenen allgemeinen Feststellungen zur spezifisch voralpinen Landwirtschaft1 sollen hier einige Ergänzungen gemacht werden, die dem Verständnis des Folgenden dienlich sind. Die Betriebsgrösse war in Innerrhoden wie in Obwalden ungefähr gleich klein, nämlich meistens um die 5 bis 10 Hektar (ohne Alpweiden).2 Eine bestimmte Obergrenze war gegeben, weil um 1945 praktisch sämtliche Arbeit noch ausschliesslich durch Familienmitglieder und von Hand erfolgte. Die Betriebe waren im Gegensatz zu denjenigen im inneralpinen Raum arrondiert und von zwei- oder dreilattigen Holzzäunen umgeben.3 Diese waren relativ arbeitsaufwendig und mussten immer wieder erneuert werden. Den einfacher zu verlegenden und haltbareren Stacheldraht verwendete man aber nicht so gern, weil sich die Tiere daran verletzen konnten und dann die Häute zur Lederherstellung nicht mehr viel galten. Der bereits seit 1943 von einer Ausserrhoder Firma (Lanker in Speicher) fabrizierte elektrische Viehhüter setzte sich dann später mit der allgemeinen Mechanisierung durch. Zum Land unmittelbar um Wohn- und Ökonomiegebäude gehörten nicht selten Heimweiden, etwas weiter entfernte Landstücke auf mittlerer Höhe.4 Die Alpen waren in Appenzell zur Hälfte privat, ein Viertel gehörte Korporationen, der Rest grösstenteils dem Staat.5 In Obwalden gehörten die Alpen zu 75 Prozent Korporationen, Genossenschaften und Teilsamen, nur ein kleiner Teil war privat.6 In Engelberg besass das Kloster etwa die Hälfte der Kuhrechte.7 Ansehnlicher Alpbesitz war ein grosser Vorteil, denn er ermöglichte es durch die breitere Futterbasis, im Tal mehr Kühe zu halten.
Der Betriebsgrösse entsprach der Bestand an Kühen, zwischen sechs bis zehn im Schnitt. Bauern mit 20 oder mehr Kühen galten als reiche Grossbauern. Wie wichtig die Rinderhaltung insgesamt war, belegen zwei Verhältniszahlen: In Obwalden kamen 1951 auf 1000 Einwohner 800 Stück Rindvieh, in Innerrhoden 836. Die Bedeutung der Rindviehhaltung zeigte sich ferner in folkloristischer Form an den festlich gestalteten Alpaufzügen und -abfahrten, im Kunsthandwerk (Bauernmalerei, Weissküferei, Accessoires der Sennentracht, Schellenriemen), sowie in den herbstlichen Viehschauen, die zu den Höhepunkten der bäuerlichen Festkultur gehörten.8 Die Verarbeitung der Milch unterlag schon vor dem Krieg grösseren Veränderungen.9 Die Eigenherstellung von Käse und Butter gab es in ausschliesslicher Form nur noch auf den Alpen. Der aus der Milch der Talbetriebe gewonnene Rahm wurde in Appenzell grösstenteils an die Butterzentrale Gossau geliefert, die übrig bleibende Magermilch verfüttert. Ebenso wurde der berühmte Appenzeller Käse zum grössten Teil nicht mehr in Innerrhoden selbst, sondern in den Nachbarkantonen hergestellt; die den Verkauf organisierende, 1942 gegründete Geschäftsstelle befand sich in St. Gallen. Aus Obwalden ging ein grosser Teil der Milch nach Luzern. Kälbermast und Aufzucht von Jungtieren, die dann exportiert wurden, waren angesichts der schon in der Zwischenkriegszeit ständig sinkenden Milchpreise für viele Bauern in beiden Kantonen eine ertragreiche Alternative. In Obwalden hatte der Viehhandel besonders in dem hoch gelegenen und daher von der Natur benachteiligten, aber verkehrsgünstigen Lungern grosse Bedeutung und war in diesem Ort eine wichtige Einnahmequelle. Einige dieser Händler aus Lungern wurden angesehene und reiche Mitglieder der bäuerlichen Gesellschaft.
Zu den Kühen kam vor allem in Appenzell eine zahlenmässig recht bedeutende Schweinehaltung, nicht nur für den Eigenverbrauch, sondern auch für den Markt.10 Das Schwein war der ideale Abfallverwerter, man konnte es mit der bei der Butterherstellung anfallenden Magermilch oder der beim Käsen übrig bleibenden Schotte (Molke), aber auch mit pflanzlichen Resten füttern. Geräuchertes Schweinefleisch bereicherte vielfach als einziges Fleisch die Sonntagsmahlzeiten der Bauern, und Schlachtschweine brachten wegen der hohen Preise gerade für diese Sorte Fleisch vielen Bauern willkommene Bargeldeinnahmen. Darauf und auf die weibliche Handstickerei bezog sich das etwas derbe, aber geflügelte Wort in Innerrhoden «D’ Fraue ond d’Saue ehaltids (erhalten) d’s Land».11 Demgegenüber wurde in Obwalden, wie bereits erwähnt, der Obstbau stärker gepflegt.
2.2 Die Familie als Grundlage des landwirtschaftlichen Betriebs
Die im Katholizismus gerade angesichts vieler Auflösungserscheinungen im 20. Jahrhundert bis heute hochgehaltenen Werte der Familie fanden im bäuerlichen Familienbetrieb des Voralpengebiets eine sozusagen ideale praktische Ausformung, und wäre der Pflegevater Jesu nicht ein Zimmermann, sondern ein Bauer gewesen, so hätte man jenen – abgesehen von der grösseren Kinderzahl – geradezu als Nachfolger der Heiligen Familie sehen können. Die bäuerliche Familie und ihre Arbeit wurde denn auch von den kirchlichen Repräsentanten immer wieder als vorbildhaft gepredigt.
Sowohl die durchschnittliche Grösse und der Viehbestand der bäuerlichen Betriebe wie der daraus resultierende Arbeitsanfall waren auf eine Familie mit mehreren Kindern zugeschnitten. Wie überall in der bäuerlichen Welt gab es eine geschlechtliche Arbeitsteilung. Dabei lastete besonders in Appenzell, etwas weniger ausgeprägt in Obwalden, infolge der verbreiteten weiblichen Heimarbeit die Landwirtschaft zum grösseren Teil auf den Männern. Die Stallarbeit mit den Kühen, die allein die meiste Zeit des Tagespensums beanspruchte, war klar Sache des Mannes.12 Die Ehefrau wurde nur ausnahmsweise zu Hilfsarbeiten im Stall beigezogen, etwa beim Kälbertränken oder überhaupt beim Viehtränken (besonders im Winter), zum Reinigen der Milchgeschirre, beim Kalben oder Putzen. Sie hatte für die gesamte Stallarbeit einzuspringen, wenn der Mann krank, verunglückt oder unvermeidlich abwesend war. Aber viele Frauen beherrschten die entsprechenden Arbeitsgänge gar nicht oder nicht ausreichend und mussten sie daher etwa durch einen älteren Sohn, Nachbarn, Verwandten oder Bekannten erledigen lassen. In Appenzell hielten sich die Frauen generell gerne von gröberen Arbeiten fern, denn sie fürchteten, ihre Hände würden dadurch die feine Stickarbeit nicht mehr bewältigen können.13 Zwei eher kritisch eingestellte Interviewpartnerinnen dort meinten sogar, die Frauen sollten diese Arbeiten, insbesondere das Melken, gar nicht erlernen, denn sonst würden nur ihre Ehemänner häufiger wegbleiben und dabei denken, die Frau könne ja diese Arbeit auch noch besorgen.14 Erledigte die Frau allzu viele männlich konnotierte Arbeiten, so konnte dies in der Tat eher sozial stigmatisierend wirken: Der Mann galt dann als Faulenzer. Häufig aber versorgten die Frauen die Schweine und ausschliesslich die Hühner. In Obwalden kam die Gartenarbeit samt der Konservierung der anfallenden Produkte hinzu. Dass den Frauen praktisch alle Hausarbeit übertragen wurde, war auch in nichtbäuerlichen Kreisen