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Geist und Leben 3/2015


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Eine solche Verweltlichung und Politisierung reicht bis in die Eschatologie: „Wie sehr muss das Römische Reich das Christentum vergiftet haben, damit sie das Paradies wie den Hof eines Kaisers beschreiben?“20 Spätestens mit Konstantin habe die Kirche eine Macht gewonnen, die zur Folge hatte, dass sie ihre spirituelle Kraft – die sie in den ersten Jahrhunderten im Dialog mit der griechischen (v.a. platonischen) Philosophie noch hatte – mehr und mehr verlor.

      Damit verbunden ist ein zweiter beständiger Kritikpunkt Weils, den man mit der (fehlenden) Demut vor dem Geheimnis bezeichnen könnte. Diese ist in der Kirche immer dann nicht zu spüren, wenn man das Übernatürliche gleichsam in Gebote, Gesetze, Dogmen und Verbote pressen möchte. Einer zu engherzigen Theologie fehlt es für Weil am Respekt vor dem Universum, in dem Gott verborgen und gestaltlos zugegen ist. In diesem Sinn sprechen die Christ(inn)en (und zwar sowohl Katholiken als auch Protestanten) manchmal zu viel von den heiligen Dingen, wo sie diese besser im Schweigen anbeten sollten.

      Mystikerin innerhalb und außerhalb des Christentums

      Dennoch wäre Weils „Christentum“ noch einmal näher zu bestimmen. Wenn es tatsächlich weniger im Katechismus und den Dogmen, sondern mehr in der Mystik und der Liturgie liegt, muss man fragen: Kann man diese beiden Seiten (anders formuliert: Amt und Charisma) so gegeneinander ausspielen? Muss an Weil nicht selbst die Frage gestellt werden, ob sie das Christentum, das immer kirchlich vermittelt ist oder eben nicht ist, überhaupt richtig verstanden hat? Umgekehrt hat sich die Kirche die Frage zu stellen, ob sie die Beschäftigung mit der christlichen Mystik und den mystischen Traditionen aller Zeiten nicht vertiefen müsste, um im Dialog mit anderen Religionen zukunftsfähig zu bleiben. Seit dem II. Vaticanum sind ermutigende Fortschritte gemacht worden, auch von lehramtlicher Seite (wenn man an die positiven Beurteilungen anderer Religionen der letzten drei Päpste denkt). In diesem Sinn ist ihr mystischuniversales „Christentum“ weiterhin inspirierend.

      1Zu ihrer Biographie vgl. S. Pétrement, La