Auswege eines Künstlers nach 1914
Dadaismus und christliche Spiritualität scheinen für eine Liaison auf den ersten Blick nicht gerade prädestiniert zu sein. Umso erstaunlicher ist der Umstand, dass diese Zeitschrift bereits 1928 einen Beitrag über den Begründer des Dadaismus publizierte. Unter dem Titel Hugo Ball als Hagiograph. Aussprache eines Modernen über Aszese und Mystik1 rezensierte J. Stiglmayr Balls Byzantinisches Christentum.2 Damit war er allerdings keine Ausnahme, widmeten Hugo Ball in anderen kirchlichen Publikationen z.B. auch R. Guardini3 und O. Casel4 Rezensionen. Gemeinsam ist den Autoren, dass sie ob dem hitzköpfigen Querschläger fremder Herkunft verwundert die Augen reiben und den Exoten mit einem Fragezeichen versehen. Auf die genannten Rezensionen folgte aber im Kontext der katholischen Kirche für lange Zeit keine weitere Auseinandersetzung mit Ball. Der dadaistische Einbruch in die christliche Spiritualität könnte somit als geschichtliche Episode mit anekdotischem Wert abgebucht werden.
Rückblickend fällt auf, dass die drei Autoren den Ersten Weltkrieg als Kontext für die Entstehung des Byzantinischen Christentums nicht thematisierten. Um Ball und seine Rekonversion zu verstehen, ist ein solches Verständnis aber unabdingbar. In diesem Licht wird die in dem Buch ausgefaltete monastische Spiritualität zu einem Gegenprogramm zum damaligen Militarismus. Diesen Blick will der vorliegende Beitrag nun auf den „sonderbaren Heiligen“5 und „Bischof der Avantgarde“6 werfen und so die Frage stellen, in welcher Hinsicht der Dadaist, Dichter, Anarchist, Regisseur, Hesse-Biograph und Journalist für heutige christliche Spiritualität von Interesse sein könnte.
„Priester, Engel oder Dichter“
Hugo Ball wird am 22. Februar 1886 in eine Familie der katholischen Diaspora von Pirmasens geboren.7 Die Religiosität der Familie Ball beschreibt die spätere Lebensgefährtin des Künstlers Emmy Hennings als schön, schlicht und kindlich.8 Als kleiner Junge will Ball „Priester, Engel oder Dichter“ werden.9 Besonderen Eindruck auf ihn machen gesungene Messen. Dabei ist er der Meinung, „die Singenden vernähmen unmittelbar das Wort Gottes. Priester, Messdiener und Chorsänger seien Auserwählte, denen der Einblick in den Himmel gewährt sei und die nun im Liede, die Neuigkeiten vom lieben Gott’ an die Gemeinde weitergäben.“10
In seiner Jugendzeit stößt Ball auf die Schriften Friedrich Nietzsches, die er autodidaktisch studiert.11 Dabei gerät er in Glaubenszweifel, es plagen ihn schwere seelische Kämpfe. Auch eine Beichte bringt keine Erleichterung. Er selber sagt dazu, er sei „vom Dolch der Exkommunion durchbohrt“12 worden. Nietzsche wird Ball zeitlebens beschäftigen, intensiv auch während seines Studiums der Philosophie, Germanistik und Geschichte.13 Seine Dissertation über Nietzsche in Basel beließ er unvollendet, um eine Stelle als Dramaturg und Regisseur der Münchener Kammerspiele antreten zu können.
Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs stellt im Leben Balls eine Zäsur dar. Um dem Militärdienst zu entgehen, emigriert er nach Zürich. Eine Verurteilung wegen Blasphemie für sein Gedicht Der Henker14 und die Lektüre von J. Tauler und Meister Eckhart15 deuten auf Glaubensambivalenzen in jener Zeit hin. 1916 gründet er das Züricher Cabaret Voltaire und damit den Geburtsort des Dadaismus. Emmy Hennings, Sophie Täuber, Hans Arp, Richard Hülsenbeck, Tristan Tzara und andere exilierte Künstler(innen) singen, sprechen, tanzen und spielen hier gegen den Wahnsinn des Krieges an.16 Auch in dieser künstlerischen Phase spielt die Religion für Ball immer wieder eine Rolle. Bezugnehmend auf die Aufführung des bruitistischen Krippenspiels mit der Kreuzigung als Schlussszene17 beschreibt er die Dadaisten als schwankendes „Häuflein Wanderpropheten, die die liebliche Kindheit unseres Herrn auf ihre Weise verkündeten.“18 Die „dadaistische Verkündigung“ gipfelt schließlich in der Aufführung der Verse ohne Worte – oder Lautgedichte am 23. Juni 1916.19 Überraschend packt Ball nach dieser Aufführung die Koffer und zieht zusammen mit Hennings ins Tessin. Hier setzt er sich vertieft mit dem Anarchismus und den Ursachen des Ersten Weltkriegs auseinander.20 In dieser politischen Phase können Carl Schmitt als Kontroverspartner und Ernst Bloch als Denkgenosse aufgefasst werden.21 Eine enge Freundschaft verbindet ihn mit Hermann Hesse, dessen erster Biograph er wird. Es entstehen die Schriften Michael Bakunin – Ein Brevier und Die Folgen der Reformation.22 Auch in der politischen Argumentation gegen den deutschen Militarismus spielt Religion eine zentrale Rolle. Bekennt sich Ball bereits 1916 bei seiner Ankunft im Tessin zu seinem Glauben, so beginnt er 1920 sein erstes religiöses Buch, das Byzantinische Christentum zu schreiben. Danach befasst er sich mit Exorzismus und Psychoanalyse.23 Doch während der Arbeit an seinem neuen Projekt erkrankt er an Magenkrebs.24 Am 14. September 1927 stirbt Ball einundvierzigjährig in St. Abbondio bei Lugano.
Antworten auf den Ersten Weltkrieg
Hugo Ball flieht also zusammen mit Emmy Hennings vor dem Dienst im Ersten Weltkrieg nach Zürich. Hier kündigt sich seine fundamentale Gesellschaftskritik bereits deutlich an, wenn er zu dem von ihm gegründeten Cabaret Voltaire meint, dass jedes darin gesprochene und gesungene Wort besage, „dass es der erniedrigenden Zeit nicht gelungen ist uns Respekt abzunötigen.“25 Und „[d]ie grandiosen Schlachtfeste und kannibalischen Heldentaten? Unsere freiwillige Torheit, unsere Begeisterung für die Illusion wird sie zuschanden machen.“26 An der ersten Dada-Soirée am 14. Juli 1916 im Zunfthaus zur Waag verkündet Ball: „Wie erlangt man die ewige Seligkeit? Indem man Dada sagt (…) Dada ist die Weltseele, Dada ist der Clou, Dada ist die beste Lilienmilchseife der Welt.“27 Der für ihn mit Krieg und Vernichtung unglaubwürdig gewordenen „Hochkultur“ schleudert er Nonsens entgegen. Aber dieser Bruch mit der Kultur genügt Ball noch nicht.
Als Dichter, Schriftsteller und Journalist schockiert ihn die Instrumentalisierung der Sprache für die Kriegspropaganda.28 Er spricht von einer „vermaledeite(n)