irgendwie dazwischen fühlen und die in keine der bestehenden Schubladen so recht reinpassen wollen? Die aus einer Tradition kommen, aber nicht bei ihr stehengeblieben sind? Die an Gott glauben, aber gleichzeitig auch Zweifelnde sind? Die Jesu Botschaft für eine ziemlich großartige Message halten und die, wenn sie von ihrer großen Liebe sprechen, trotzdem nicht allein Jesus meinen. Die die Worte der Bibel schätzen und sie dennoch nicht als einen Tatsachenbericht lesen, sondern als ein Angebot zum Weiterdenken. Wo ist unser Platz?
Viele meiner Freundinnen und Freunde aus der Pfadfinderzeit, der Messdienergruppe und der Firmvorbereitung haben der Kirche längst den Rücken gekehrt. Weil auch sie sich nicht mehr zugehörig gefühlt haben. Oder die Kirche nicht mehr zugehörig zu ihrem Leben. Sie haben eine andere Richtung eingeschlagen, haben ihre Mitgliedschaft gekündigt, leben ein zufriedenes Leben, jedenfalls hoffe ich das. Vielleicht ist ihr Leben einfacher geworden. Sie müssen sich nicht mehr auseinandersetzen mit den Grenzen unserer Kirche, den Vorwürfen und dem oft schlechten Image aus weltlicher Sicht. Wenn ich nicht mehr dazugehöre, muss ich mich auch nicht rechtfertigen, ärgern, einen langen Atem haben. Manchmal finde ich das beneidenswert, und doch bin ich zu sehr in die Idee eines goldenen Kerns verliebt, als dass ich meine Sehnsüchte ganz einfach ausblenden könnte. Denn es gibt sie immer wieder: die kleinen Funken, die mich an den Ursprung des Ganzen erinnern. Manchmal sind sie so schnell verflogen, wie Wunderkerzen brennen, aber der Geruch nach Feuer und Eisenpulver bleibt noch eine ganze Weile in der Luft hängen und lässt mich nicht los.
Bei den Wurzeln beginnen
In solchen Momenten überlege ich dann manchmal, ob die Suche nicht auch eine Chance sein kann. Denn sie hält den Blick wach und das Herz. Sie macht offen für Wandel und für Wunder. Und sie beginnt immer vor allem bei mir selbst. Denn meine Sehnsucht ist am größten, wenn ich mir selbst fehle. Wenn ich nicht mehr weiß, was mich ausmacht. Wenn die Zweifel übergroß scheinen und ich so erschöpft bin, dass mir nicht mehr klar ist, was mich hält und schützt, mich segnet und beseelt. Das Gefühl des Verlassenseins in der Welt bringt mich zurück zu der Idee des ultimativ Guten, zurück zur Quelle der Kunst, der Schönheit, der Liebe. Zurück zum Vater, zum Sohn, zum Heiligen Geist, der schon zu Beginn meines Lebens eine Bedeutung für mich erhielt. Damals nämlich, als mir Wasser über das babyflaumbedeckte Köpfchen gegossen und ein Kreuzzeichen auf die Stirn gemalt wurde. Seitdem bin ich Teil dieser Großfamilie aus Christinnen und Christen, was längst nicht immer leicht ist; aber das hat ehrlicherweise ja auch niemand behauptet.
Bei den Pfadfindern haben wir früher oft von „back to the roots“ gesprochen. Zurück zu den Wurzeln, auf den Boden der Tatsachen, alles zurück auf Anfang. Und im Anfang war das Wort, heißt es. Und das Wort war bei Gott. Und Gott war das Wort. So beginnt das Johannesevangelium, und vielleicht sind das meine Lieblingszeilen der Bibel. Weil sie mich berühren, mich in meinem goldenen Kern treffen, vom Anfang erzählen und von Gott und vom Wort. Seit ich denken kann, bin ich ein Buchstabenmensch. Immer waren es geschriebene Worte, die mein Leben begleiteten und beglückten. Erst wurden sie mir vorgelesen, dann las ich sie selber, dann begann ich eigene aufzuschreiben. Schon ganz früh war es mein allerliebstes Hobby, meine kleine Leidenschaft, im Dachgeschosszimmer im Haus meiner Kindheit auf dem Computer, damals Betriebssystem Windows 97, Geschichten zu schreiben. Viele wurden lang und länger, erzählten von dem, was ich sah und erlebte, durchmischt mit einer ordentlichen Portion Fantasie.
Im Markusevangelium heißt es: Alle Dinge sind möglich dem, der glaubt. Ich erkannte schnell: Alle Dinge sind möglich dem oder derjenigen, der oder die sie schreibt.
Anfangs mit nur zwei Fingern, tippte ich Wort um Wort ein, erschuf eigene Welten und Figuren, ließ sie sich verlieben oder sterben, suchte Worte zum Trotz oder zum Trost. Vielleicht war ich ein etwas sonderbares Kind, vielleicht hatte ich aber auch nur das große Glück, schon ganz früh die Gnade der guten Geschichten zu erfahren, die sich in mein Herz schlichen, mir Worte ins Ohr wisperten und raus in die Welt zu wollen schienen. Und vielleicht war dieses kleine, feine Schreiben schon längst mein ganz persönlicher Gottesdienst. Gespeichert auf Disketten: mein Dienst an Gott. Oder mein Dienst mit Gott. Denn wenn das Wort bei Gott ist und Gott selbst das Wort, konnte er dann nicht auch zu Gast in meinem Dachgeschosszimmer sein? Als Kind habe ich das nicht in Erwägung gezogen, zu vertraut waren mir die vorgegebenen Vorstellungen eines Gottes, den ich wohl am ehesten in der heiligen Messe finden würde und nicht zwischen meinen eigenen Gedanken. Aber heute denke ich öfter über diese Möglichkeit nach. Denn wer sagt, dass Gott nur in Kathedralen zu finden ist, in Kapellen und Kirchen? Vielleicht ist er genauso oft auch im Kinderzimmer zu finden. Dort, wo die Fantasie wohnt, die Hoffnung auf das ultimativ Gute, die Quelle der Kunst, der Schönheit und der Liebe. Ein bisschen Bullerbü und ein bisschen Bibel. Warum nicht?
Das Gefühl, in den vorgegebenen Rahmen der Kirchen nicht so recht reinzupassen, hat mich oft auf diese Frage gestoßen: Warum nicht? Warum nicht mal querdenken? Traditionen toll finden, aber Innovationen mindestens genauso gut. Worte wörtlich nehmen. Gott ist das Wort. Wie großartig! Denn dann umgibt er mich ständig. Beim Anfang anfangen: back to the roots. Was sind die Wurzeln? Was ist der Kern? Was wollen wir erzählen, was glauben? Wo fangen wir an?
Geschenke auspacken
Ich habe schreibend angefangen. Weil mir das am meisten entspricht. Weil ich gemerkt habe: Es gibt sie, die heiligen Momente, wenn ich schreibe und schreibe, um Worte ringe, Gedanken teile und auf einmal selbst ein wenig ungläubig lese, was dort entstanden ist, und ich mich fragen muss: Woher, verflixt, kam jetzt diese Idee? Wenn ich vorsichtig zu fragen wage: Hallo, Mister Gott, hier schreibt Hanna. Do you read me? Do you lead me? Heilige Momente erlebe ich auch, wenn ich anderen zu lesen gebe, was ich geschrieben habe, und sehe, wie in den Augen meines Gegenübers plötzlich Tränen zu glitzern beginnen oder ein Lächeln die Lippen umspielt, ein Runzeln die Stirn ergreift oder der Kopf langsam zu nicken beginnt. Heilige Momente sind das, die ich voll Glück und voll Dankbarkeit annehme. Danke, Gott. Für deine Worte.
Ich glaube daran, dass jedem Menschen eine Gabe gegeben ist. Mindestens eine. Ich glaube daran, dass jeder Mensch auf besondere Art und Weise begnadet ist. Manche brauchen ein Leben lang, um diese Gnade zu entdecken und für sich annehmen zu können, manchen wird sie buchstäblich in die Wiege gelegt. Geschenke sind das, die wir auspacken dürfen, ohne eine Gegenleistung erbringen zu müssen. Unsere Aufgabe ist es höchstens, zu überlegen, an welcher Stelle diese Gabe wohl gut eingesetzt wäre. Auf dass sie nicht nur mich selbst beschenke, sondern auch andere. Genau das ist es, was ich mir von Kirche, wie ich sie bisher kennengelernt habe, immer gewünscht und so oft vermisst habe: die Offenheit, die wahnsinnige Dankbarkeit und Stärke, anzuerkennen, dass jede und jeder etwas mitbringt. Geschenke, die es auszupacken gilt, weiterzureichen und zu teilen. Das ist für mich ein Teil dieses goldenen Kerns: ein Funke Gottes in jedem von uns. Eine Krone der Schöpfung, die auf jeden Kopf passt.
Das Schreiben hat mich meinen eigenen Sehnsüchten nähergebracht, aber vor allem auch anderen Suchenden, Nomaden, Kirchenaussteigern. Zwischen den Welten und zwischen den Worten sind wir uns begegnet. Dafür musste ich mich allerdings erst mal trauen, meine Worte nicht in Schubladen einzusperren und verstauben zu lassen auf Disketten oder USB-Sticks, sondern sie zu teilen, in Regalen und im Internet. Auf einem Blog habe ich meine Geschichten und Gedichte hochgeladen. Mit klopfendem Herzen und immer der Frage im Hinterkopf: Will jemand lesen, was ich schreibe? Mehr als einmal musste ich mich daran zurückerinnern, wie glücklich mich das Schreiben an sich bereits gemacht hatte. So glücklich, dass es im Grunde gar nicht so wichtig war, wie andere mein Schreiben bewerten würden. Mein Gottes-Dienst war erfüllt. Heilige Momente lagen längst hinter mir. Und dann kamen plötzlich doch noch einmal tausend solcher dazu. Denn auf einmal war ich mit meinen Worten nicht mehr alleine. Andere teilten sie und meine Weltansicht, meine Fragen und meine Sehnsüchte. Sie ließen sich berühren von den Zeilen, die in meinem Kopf entstanden waren, dachten nach, dachten mit und dachten weiter. Texte voll Güte und voll Gnade entstanden so, voll Hoffnung und voll Heimat. Aus Orten, lang gesucht und nicht gefunden, wurden Worte. In meiner Timeline, bei Facebook und Twitter tummelten sich zunehmend Christinnen und Christen, aus dem Rahmen gefallen, auf der Suche. Sie wurden zu meiner Leserschaft, meiner Netzgemeinde, meinen Stichwortgebenden und Nächsten.
Dabei schreibe ich längst nicht nur zu christlichen Themen, jedenfalls auf den ersten Blick nicht. Wahrscheinlich ist auch das wieder eine Frage