Gesamtduktus des Evangeliums zu entsprechen. Dieser betont gerade nicht einseitig das Leiden, sondern auch die wunderbare Seite des Gottessohnes.
Das Leiden der Jünger Jesu
Der Notwendigkeit des Leidens Jesu geht die des Leidens der Jünger parallel, wie Markus z. B. im Nachtrag zur ersten Leidensverkündigung deutlich macht (8,34 ff.). Markus illustriert auf diese Weise, was Matthäus mit Hilfe eines Wortes der Logienquelle so sagt: „Ein Jünger steht nicht über seinem Meister und ein Sklave nicht über seinem Herrn. Der Jünger muss sich damit begnügen, dass es ihm geht wie seinem Herrn.“ (Mt 10,24 f.)
Wie schwer die Akzeptanz dieser Notwendigkeit für die Jünger war und auch noch ist, zeigt Markus an der Reaktion des Petrus auf die erste Leidensansage und in Mk 10,35 ff.
11.1.2 Das Jüngerunverständnis
Das Jüngerunverständnis, das bei Markus mehrfach begegnet (4,10.13;6,52; 7,17 f. ;8,16–18.21 ;10,35 ff.) und nicht immer so betont ist wie in 4,13 ;7,17 f.; 8,17 f. und zu dem auch der Tadel des Petrus in 8,30 und das Unverständnis gegenüber der Notwendigkeit des Leidens in 9,32 gehören, soll keineswegs eine Distanz zwischen Jesus und seinen Jüngern schaffen, sondern hat zumindest eine doppelte Funktion:
Doppelfunktion des Jüngerunverständnisses
(1.) Zum einen macht das Unverständnis der Worte und Taten Jesu auf seiten der Jünger immer wieder deren besondere Belehrung durch Jesus notwendig (4,14 ff.;7,18 ff. ;8,19 f.), so dass sie nach Ostern in der Tat besonders qualifizierte Zeugen des Jesusgeschehens sind, auf deren Überlieferung der Worte und Taten Jesu Verlass ist.
(2.) Zum anderen stellt das Unverständnis der Jünger diese aber zugleich in eine Reihe mit den Lesern des Markusevangeliums – wenn diese nicht alles sofort begreifen, müssen sie sich darüber weder wundern noch sich schämen, den Jüngern des Herrn ist es ganz genauso gegangen.
11.2 Die Parabeltheorie
Gleichnisse zur Verstockung des Volkes?
Nach Mk 4,10–12 sind die Gleichnisse gerade keine Verständnishilfe für die Botschaft Jesu, vielmehr dienen sie der Verstockung des Volkes. Diese sog. Parabeltheorie zeigt deutlich, wie weit die Entwicklung der Tradition weg vom Ursprung im Markusevangelium bereits fortgeschritten ist, denn dahinter steht ja offensichtlich die Meinung, dass die Gleichnisse Jesu mit ihren doch einfachen und schlichten Bildern für das einfache Volk nicht verstehbar sind und dass man eines besonderen Schlüssels für deren Verständnis bedarf.
Dieses markinische Verständnis der Gleichnisse wird diesen selbst nicht gerecht. Man kann das schon daran erkennen, dass Markus trotz der von ihm übernommenen Parabeltheorie nur für ein Gleichnis eine Deutung mitüberliefert – von den anderen geht auch er offensichtlich davon aus, dass sie ohne Deutung für alle und nicht nur für die eingeweihten Jünger verstehbar sind. Darüber hinaus hat Markus mit der Parabeltheorie noch einen weiteren Widerspruch übernommen, gelten doch nach dieser Theorie die Jünger als mit einem besonderen Wissen begabt, während sie nach dem übrigen Evangelium als eher unverständig und besonderer Belehrung bedürftig erscheinen.
Gerade von diesen Spannungen her muss m. E. die Frage noch einmal genau geprüft werden, ob die Verfasser der Evangelien sich ihren Stoff so zu eigen gemacht haben, wie das vor allem in den letzten Jahren unter Einfluss der Redaktionsgeschichte und der synchronischen Analyse vertreten worden ist. Diese Frage ist m. E. auch dann zu stellen, wenn man in Markus nicht den konservativen Redaktor sieht, wie ihn v. a. R. Pesch in seinem Markuskommentar gezeichnet hat. Die Evangelisten können wesentlich mehr selbständige Autoren gewesen sein, als es die Formgeschichte angenommen hat, ohne dass sie sich mit allem und jedem, das sie aus der Tradition übernahmen, identifizierten, zumal bei Markus ja noch die kaum zu klärende Frage offen ist, ob nicht auch er schon, wie Matthäus und Lukas es dann für uns nachvollziehbar getan haben, Stoff aus dem ihm überkommenen Material weggelassen hat.
Wir haben als Interpreten m. E. die Pflicht, aufeinander zu beziehen, was aufeinander beziehbar ist, und im Zweifelsfalle die Dinge für miteinander vereinbar zu halten, die der Evangelist in sein Werk integriert. Aber bei dem unmittelbaren Nebeneinander der von Gott (vgl. das theologische Passiv in 4,11) den Jüngern geschenkten Erkenntnis und deren Unverständnis gegenüber der Gleichnistradition insgesamt (4,13) stellt sich doch die Frage, ob der Evangelist auf diese Spannung zwischen seinen Überlieferungen aufmerksam geworden ist und beide Dinge zusammengebracht hat. Hat er es nicht, brauchen auch wir es nicht zu können. Und lassen sich die gottgeschenkte Erkenntnis und die Sonderbelehrung, die auf die Notiz über das Unverständnis der Jünger folgt, überhaupt miteinander vereinbaren?
Die Genieästhetitik, die teilweise die dogmatische Christologie beeinflusst hat, übt auch in der Exegese kräftigen Einfluss aus und lässt nicht nur die Evangelisten in jeder Hinsicht als ganz große Autoren erscheinen, sondern sieht auch ihre Werke als fehlerfreie Kreationen an. Aber der erste Evangelist, Markus, wäre in meinen Augen auch dann noch ein sehr großer Autor, wenn er an dieser Stelle z. B. die Spannung mit dem Kontext nicht ganz in den Griff bekommen hätte.
Man hat allerdings auch neuerdings wieder die Ansicht vorgetragen, Markus habe in V. 11 im Gegensatz zu der ihm vorliegenden Tradition kein Verstehen des Geheimnisses des Gottesreiches durch die Jünger im Vollsinne aussagen wollen und die Perspektive von V. 11 gegenüber der Vorlage ohnehin erheblich verändert. Offensichtlich sind die beiden Aussagen, so wie sie jetzt unmittelbar aufeinander folgen, für uns nur schwer zu vereinbaren.
Die sog. Parabeltheorie weist in die gleiche Richtung wie das Jüngerunverständnis und zeigt die Jünger als die von Jesus selbst besonders eingeweihten Zeugen des Jesusgeschehens. Die Ablehnung der nachösterlichem Verkündigung erklärt Markus seinen Lesern in Mk 4,10–12 mithilfe des (Jes 6 entnommenen) Verstockungsgedankens.
12. Das „geheime Evangelium nach Markus“
Im Jahre 1973 wurde ein Text veröffentlicht, der 1958 in der Nähe Jerusalems auf den hinteren Seiten einer Ausgabe der Ignatiusbriefe von 1646 entdeckt worden war – geschrieben in einer Minuskel des 18. Jahrhunderts. Da den Text danach niemand mehr gesehen hatte, lag der Vorwurf der Fälschung nahe. Inzwischen haben sich aber weitere Zeugen für diesen Text gemeldet und es sind Fotografien veröffentlicht worden. Gleichzeitig wird behauptet, der Text sei wegen seines homosexuellen Jesusbildes inzwischen vernichtet worden. Der Verdacht der Täuschung bzw. Manipulation steht aber weiterhin im Raum. Der Text enthält einen Auszug aus einem Brief des Clemens von Alexandrien an einen Theodorus, der vor einem verfälschten Markusevangelium warnt und eine geistlichere Fassung dieses Evangeliums zitiert. Er besteht aus zwei sehr ungleichen Teilen, der längere spielt deutlich auf Joh 11 und auf synoptische Abschnitte an. Sollte der Brief echt sein, so ist er wohl nur Zeuge für ein erweitertes Markusevangelium im zweiten Jahrhundert und keineswegs eine ursprüngliche Variante. Für solche Erweiterungen gibt es zahlreiche Parallelen.
13. Traditionelle Fragen und heutiger Zugang zu den Evangelien
Ausgangspunkt Alte Kirche?
Bei der Behandlung des Markusevangeliums war deutlich zu spüren, dass nicht eigentlich das Werk selbst unsere Überlegungen geleitet hat, sondern die Traditionen der Alten Kirche über das Werk. Unsere Arbeit daran bestand zu einem großen Teil in dem Versuch, diese Nachrichten aus der Alten Kirche auf ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen, und die Ergebnisse waren nicht besonders positiv. Diese Art, sich dem Einleitungsstoff in den Evangelien zu nähern, wurde nicht nur deswegen gewählt, weil sie in der Einleitungswissenschaft nun einmal traditionell ist, sondern für diese Art der Behandlung spricht die Tatsache, dass außer den Nachrichten der Alten Kirche kaum Material vorhanden ist, das weiteren Aufschluss in den Fragen gewährt, die die Einleitungswissenschaft zu stellen hat.
Der Erkenntnisgewinn aus der Tradition
Aber es muss jetzt, also nach der Behandlung der das älteste Evangelium betreffenden Probleme auf die herkömmliche Art, die Frage gestellt werden, ob wir aus dieser Art der Behandlung für das Verständnis des Evangeliums den größtmöglichen Nutzen gezogen haben. Waren wir nicht weitgehend mit Fragen beschäftigt, die wir von selbst so nicht oder überhaupt nicht gestellt hätten? Das ist noch kein Argument, diese Fragen aufzugeben, wenn