auch zwischen dem ersten und zweiten Teil der Apostelgeschichte festgestellt worden sind. Von daher wird das Evangelium in der Regel zwischen 80 und 90 datiert.
Ob die Argumentation mit den Paulusbriefen für die Datierung der Apostelgeschichte freilich in Zukunft weiter so eingesetzt werden kann, scheint fraglich, denn die Tatsache der Sammlung setzt doch ein Bewusstsein von der Bedeutung dieser Briefe voraus, das nicht schlagartig entstanden sein, sondern sich in einem längeren Prozess herausgebildet haben wird. Entweder ist dieser Prozess vollkommen an Lukas vorbeigegangen oder aber Lukas war an diesem gar nicht interessiert – aber ist das vorstellbar, beim „Historiker“ Lukas? Kann man angesichts dieser Tatsache Lukas in einer oder mehreren paulinischen Gemeinden ansiedeln? Auch das Argument hinsichtlich der Apostelgeschichte, in dieser spielten die Verfolgungen unter Domitian noch keine Rolle und deswegen müsse die Apostelgeschichte noch vor diesen, also um 90, verfasst sein, wird man, wenn überhaupt, nur mit großer Vorsicht einsetzen dürfen, da zumindest eine große Verfolgung unter Domitian inzwischen doch erheblichen Zweifeln in der Literatur begegnet (s. dazu unten § 31).
Man wird den Entstehungszeitraum des Lukasevangeliums am ehesten zwischen 80 und 100 ansetzen. Letztere Grenze wird durch ► Didache 1,4 f. gesetzt, wo doch wohl eine Erinnerung an die lukanische Feldrede vorliegt. Auch die theologische Entwicklung im Unterschied zu der des 2. Jahrhunderts spricht für diesen Zeitraum (vgl. Meiser). Dass die Autoren, die in Lukas aufgrund der Wir-Passagen der Apostelgeschichte (s. dazu § 8 Nr. 6.3.1) einen Paulusbegleiter sehen, hier eher weiter ins
1. Jahrhundert hinaufgehen, versteht sich von selbst.
5. Der Abfassungsort des Lukasevangeliums und die Zusammensetzung der lukanischen Gemeinde
Nur wenige Kriterien
An Orten und Landschaften, in denen Lukas sein Evangelium nach der Literatur verfasst haben soll, ist kein Mangel. Genannt werden: Caesarea, die Dekapolis, Antiochien, Kleinasien, Ephesus, Achaia, Makedonien, aber auch Rom, wobei Achaia und Rom schon in der Alten Kirche genannt wurden. Aus der Vielfalt dieser Nennungen auch in jüngster Zeit ist erkennbar, dass es kaum Daten zur Näherbestimmung des Abfassungsortes gibt und dass man dazu auf allgemeine Erwägungen angewiesen ist. Man hat z. B. auf die große Bedeutung Roms in der Apostelgeschichte hingewiesen, aber diese wird doch eher in deren Charakter als Reichshauptstadt und Mittelpunkt der damaligen Welt als in einer konkreten Beziehung des Autors zu dieser Stadt begründet sein. Von dort aus auf eine Abfassung des Evangeliums in Rom zu schließen, wäre deswegen doch wohl zu gewagt. Man hat freilich dazu ergänzend auch eine westliche Perspektive entdecken wollen, aus der Lukas auf Palästina blickt, die auch mit seiner Sicht des Mittelmeers übereinstimmen würde, das für ihn das Meer schlechthin ist, weswegen er die markinische Bezeichnung „Meer“ für den See Genesaret konsequent ändert.
Außerhalb Palästinas
Aber sehr viel weiter als zu der Bestimmung, dass der Verfasser außerhalb Palästinas schreibt, was wir angesichts seiner Sprache und des Zurückgehens spezifisch jüdischer Fragestellungen ohnehin schon wissen, kommt man mit diesen Überlegungen auch nicht. Soweit man das Matthäusevangelium nach Antiochien verlegt, sollte man für das Lukasevangelium besser auf Antiochien als Abfassungsort verzichten, obwohl Lukas schon im anti-marcionitischen Prolog und bei Eusebius sowie Hieronymus mit Antiochien in Verbindung gebracht wird. (Die Entstehung dieser Ansicht dürfte mit dem „Wir“ im westlichen Text [s. dazu unten § 8 Nr. 7] von Apg 11,28 zu tun haben.) Es sei denn, man geht von mehreren, relativ getrennten christlichen Gemeinden in Antiochien aus.
Überwiegend Heidenchristen
Die Gemeinde, für die Lukas schreibt, wird sich ganz überwiegend aus Heidenchristen zusammensetzen. Es ist schon deutlich geworden, dass das Interesse an spezifisch jüdischen Fragen bei Lukas gegenüber dem Markusevangelium deutlich gemindert ist und dass auch bei Markus noch vorhandene semitische Termini in griechische überführt werden, wenn das auch nicht bei allen und konsequent der Fall ist. Angleichungen an hellenistische und nicht-palästinische Realien sind in 5,19 parMk (Dach aus Ziegeln) und 6,48 parMt (Haus mit Keller) erkennbar. Für heidenchristliche Adressaten spricht schließlich auch die Anknüpfung an die hellenistische Literatur mit Hilfe des Vorworts. Zu diesem kann das Vorwort des Josephus in seinem Jüdischen Krieg verglichen werden, das sich auch nicht vornehmlich an Juden wendet. In die gleiche Richtung weisen schließlich auch die Rückführung des Stammbaums Jesu nicht nur auf David und Abraham als die entscheidenden Stationen der jüdischen Erwählungsgeschichte wie bei Matthäus, sondern bis zu Adam, und endlich auch seine Rede von Judäa als Bezeichnung für Palästina und nicht etwa nur die Umgebung Jerusalems. – Allerdings ist dies nur ein Aspekt des lukanischen Horizonts, neben den auch noch die Darstellung von der Entstehung der Gemeinden in der Apostelgeschichte zu stellen ist. Paulus beginnt dort mit seiner Predigt nicht nur in den Synagogen, sondern er gewinnt in der Regel aus den Juden und den jüdischen Sympathisanten der Synagoge auch die ersten Anhänger. Da dieses Bild dem Lukas von irgendwoher vermittelt sein muss und die wahrscheinlichste Annahme ist, dass diese Vermittlung (zumindest auch) durch die Zusammensetzung seiner Gemeinde geschah, ist es kaum sinnvoll, diese Gemeinde als ausschließlich aus Heidenchristen bestehend anzusehen. Man wird wegen des im dritten Evangelium erkennbaren heidenchristlichen Horizontes wohl kaum mit einem gleich starken Anteil von Juden- und Heidenchristen in der Gemeinde des Lukas zu rechnen haben, aber aufgrund der Darstellung der Apostelgeschichte ist doch ein gewisser Anteil an Judenchristen zu veranschlagen. Dazu dürften auch eine Reihe von Frauen gehört haben, wie überhaupt nach der Apostelgeschichte Frauen von Anfang an zur Urgemeinde gehörten. Ob einige von ihnen auch missionarisch tätig waren, wird v. a. in der feministischen Literatur diskutiert.
Da das dritte Evangelium eindeutig das nach 70 verfasste Markusevangelium voraussetzt und bereits dem Autor der ca. 100 entstandenen ► Didache bekannt gewesen sein dürfte, dürfte es zwischen 80 und 100 abgefasst worden sein.
6. Die Quellen des Lukasevangeliums
Kannte Lk „viele“ Evangelien?
Dass Lukas das Markusevangelium und die Logienquelle benutzt hat, hat sich bereits bei der Behandlung des synoptischen Problems ergeben (s. oben. § 3). Auffällig ist der Hinweis auf die zahlreichen Vorgänger im Prolog. Dieser Hinweis ist jedoch nicht so zu verstehen, dass Lukas bereits mehrere Evangelien kannte, da die Erwähnung mehrerer Vorgänger und die Betonung der zuverlässigeren Art der eigenen Darstellung zu den Topoi eines solchen Vorworts gehört. Es reicht so vollkommen, in den „Vielen, die es unternommen haben“, den Verfasser des Markusevangeliums, den der Logienquelle Q und die Autoren des Sonderguts des Lukas zu sehen.
Wie Lukas mit seinen Vorlagen umgegangen ist, lässt sich für die Logienquelle und das Sondergut nur per Analogie zu seinem Umgang mit dem Markusevangelium erheben. Da er einen großen Teil des Markusevangeliums (die Angaben schwanken je nach der gewählten Bezugsgröße. Wählt man die Verszählung als Vergleichspunkt, so kann man sagen, dass Lukas von den 661 Versen [auch diese Angabe schwankt, vgl. oben § 3 Nr. 4] des Markusevangeliums ca. 350 übernommen hat.) ausgelassen hat, ist auch mit einem Fortfall von Material der Logienquelle zu rechnen. Die Gründe für die Auslassung der im Markusevangelium vorhandenen Stücke lassen sich teilweise noch erkennen. Zum einen spielt die mehrfach erwähnte größere Ferne zum Judentum und dessen Fragestellungen eine Rolle. Stücke mit solchem Inhalt lässt Lukas als seine Gemeinde nicht mehr interessierend aus (Mk 7,1–23; 10,1–12; 7,24–30). Aber auch negative Äußerungen über Jesus und seine Verwandten oder über seine Jünger werden fortgelassen (Mk 3,20 f.; 6,45–52). Ein weiterer Grund dürfte sein, dass Lukas es vermeidet, Doppelberichte zu bringen, weswegen er sich bei Parallelen zwischen Q und Markus für eine Fassung entscheiden muss.
Reichlich Sondergut
Die Tatsache, dass fast die Hälfte des Evangeliums keine Parallele bei Markus und / oder Matthäus aufweist, zeigt, dass der Verfasser reichlich Sondergut-Material zur Verfügung hatte. Dass dieses Material aus einer Quelle stammt, ist angesichts der inhaltlichen, aber auch stilistischen Unterschiede wenig wahrscheinlich. Dieses Sondergut hat Lukas zum großen Teil in zwei geschlossenen Abschnitten in seinem Evangelium untergebracht (sog. Kleine [= 6,20–8,3] und Große Einschaltung [= 9,51–18,14]) und die sog. Vorgeschichte (1–2) an den Anfang gestellt. Das Markusgut dagegen findet