Hans-Ulrich Weidemann

Einleitung in das Neue Testament


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dem Gericht steht. Die Glieder der Kirche haben nur eine Chance auf das Heil, wenn sie der Gottesherrschaft würdige Früchte bringen (21,43). Matthäus setzt das Heil in eine enge Beziehung zur Praxis (der Barmherzigkeit 9,13; 12,7). Matthäus verlagert die Gründung der Kirche in das Leben des historischen Jesus (16,18 f.), liefert die Begründung dafür aber mit seinem Gesamtwerk, das mit Jesu Tod und seiner Auferweckung endet. Der irdische Jesus wusste sich nach Matthäus ausdrücklich nur zu Israel gesandt (10,5bf.23; 15,24) und die Ablehnung Jesu durch Israel, die sich vor allem in der Szene vor Pilatus (27,24 f.) und in der trotz der eindeutig bezeugten Auferstehung erfolgten Verleumdung der Oberpriester und Ältesten (28,11–15) manifestiert, ist der Grund für die Gründung der Kirche und für die Hinwendung zu den Heiden. Deswegen kann erst der Auferstandene den Missionsbefehl zu den Heiden verkündigen. In der Situation von Mt 16,18 f. ist von den Heiden noch nicht die Rede.

      Die Vollmacht der Kirche

      Der Kirche ist die Befolgung der ihr von Jesus übergebenen Weisung aufgetragen, sie hat aber auch selbst die Vollmacht, den Willen Gottes zu interpretieren, was Matthäus faktisch am Ehescheidungsverbot demonstriert und theoretisch mit der Vollmacht zum Binden und Lösen in 16,19 und 18,18 verdeutlicht. Diese Vollmacht ist noch nicht an ein Amt gebunden, da Matthäus mit Ausnahme von christlichen Schriftgelehrten noch keine Ämter in der Kirche kennt. Im Gegenteil, in 23,8–12 betont er stark die Bruderschaft in der Gemeinde. Dementsprechend stellt er die Jünger auch nicht als Vorbild und ideale Christen dar, sondern lässt sie für die Christen seiner Zeit mit allen ihren Stärken und Schwächen transparent werden. Nicht umsonst nennt er sie mehrfach Kleingläubige und verweist so darauf, dass sie zwar schon den Glauben haben, dass dieser aber noch nicht die angemessene Tiefe besitzt.

      Matthäus hat so aufgrund der schmerzvollen Trennung von der jüdischen Synagoge die Selbständigkeit der Kirche auf Kosten des Judentums stark hervorgehoben, eine besondere heilsgeschichtliche Rolle Israels ist für ihn nicht mehr gegeben. Allerdings ist die Kirche nicht einfach schon im Heil, sondern steht selbst noch unter dem Gericht, das aufgrund der Werke erfolgt. Welche Werke gefordert sind, hat der Jesus des Evangeliums kraft der ihm von Gott gegebenen Autorität festgelegt, aber auch die Gemeinde als Ganze partizipiert an dieser Vollmacht und hat die Aufgabe, den von Jesus interpretierten Willen Gottes je neu auf die konkrete geschichtliche Lage anzuwenden. Dabei rechnet Matthäus nicht mit fehlerfreien und sündlosen Menschen, sondern zeichnet bereits die Jünger in der Nachfolge Jesu als auf dem Weg, aber eben noch nicht am Ziel.

      Das Evangelium des Matthäus spiegelt den Weg der nachösterlichen Gemeinde aus dem Judentum heraus zur beschneidungsfreien Heidenmission und legitimiert diese. Indem die Gemeinde diesen Weg geht, bleibt sie ihrem Herrn und seinen Weisungen treu. Matthäus bringt Jesus in ein so intensives Verhältnis zu Gott, dass er seine natürliche Herkunft auf den Heiligen Geist zurückführt. Deswegen kennt Jesus auch den Willen Gottes, was ihn aber von Problemen mit dem Willen Gottes nicht enthebt. Weitere Themen der matthäischen Theologie sind das Gesetz und die Kirche.

       Literatur

      1. Kommentare

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      2. Monographien und Aufsätze

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