hinweist, spricht ebenfalls dagegen, von der Haltung, die das Evangelium gegenüber Israel einnimmt, ganz zu schweigen.
3.5 Das Zeugnis des Papias über den Verfasser des Evangeliums
3.5.1 Die Interpretation des Papiaszeugnisses und die Erkenntnisse der Bibelexegese
Hier ist nun der Ort, auf das für die Frage nach dem Verfasser des Matthäusevangeliums viel erörtere Papiaszeugnis näher einzugehen: „Matthäus aber hat in hebräischer Sprache die Reden zusammengestellt; ein jeder aber übersetzte dieselben so gut er konnte“ (Eusebius, Kirchengeschichte III 39,16). Da das Matthäusevangelium aufgrund seiner Abhängigkeit vom griechischen Markusevangelium keine Übersetzung aus dem Hebräischen sein kann, kann das Zeugnis des Papias jedenfalls nicht das Matthäusevangelium meinen. Angesichts dieses Befundes muss man nun aber nicht annehmen, dass die Nachricht des Papias sich auf ein anderes als das uns überlieferte Matthäusevangelium bezog, wie immer wieder und auch jüngst vorgeschlagen wurde (Schmidt).
Verfasserkenntnisse im 2.Jahrhundert
Man wird vielmehr angesichts dieses weiteren unzutreffenden Zeugnisses über den Verfasser eines Evangeliums damit zu rechnen haben, dass in der Kirche des beginnenden zweiten Jahrhunderts keine zutreffenden Kenntnisse über die Verfasser der Evangelien (mehr) vorhanden waren. Das mag vielfältige Ursachen haben, angefangen von der Tatsache, dass die Verfasser aus theologischen Gründen sich selbst nicht namentlich in ihrem Werk erwähnen, bis zu der Frage, ob die Verfasser auch nur annähernd eine solche Verbreitung erwarten konnten, wie sie dann tatsächlich erfolgte. Wenn man dagegen auf Mk 13,10 und 14,9 verweist und daraus einen weltweiten Wirkungsanspruch erhebt, muss man auch zur Kenntnis nehmen, dass der Verfasser dieses Evangeliums trotz der weltweiten Perspektive – nahm er sie wirklich wörtlich? – dennoch offensichtlich keine Notwendigkeit sah, seinem Werk eine autorqualifizierende Überschrift oder sonst einen Hinweis auf den Autor beizugeben. So wie er selbst um des Evangeliums Jesu Christi willen seine Autorschaft nicht betont hat, so wenig hat die Gemeinde damals möglicherweise die Autoren beachtet. Die Frage nach ihnen verdankt sich eventuell erst einer späteren Fragestellung.
„Evangelium nach Matthäus“
Dass dem heute im Kanon an erster Stelle stehenden Evangelium schon im ersten Jahrhundert nach Christus die Überschrift „Evangelium nach Matthäus“ beigegeben wurde und deswegen die Zuweisung dieses Evangeliums an den Apostel Matthäus noch wesentlich älter ist als das Zeugnis des Papias, erscheint mehr als unwahrscheinlich, da der erste Evangelist sein Werk ausdrücklich nicht als Evangelium bezeichnet hat, wenn er auch im Gegensatz zu Lukas und Johannes diesen Begriff durchaus verwendet. Es muss nach meiner Ansicht schon einige Zeit veranschlagt werden, bis sich vom Gebrauch im Markusevangelium her die Bezeichnung Evangelium für diese Art von Werken durchgesetzt hat und auch auf das Matthäusevangelium übertragen worden ist, so dass es als „Evangelium nach Matthäus“ bezeichnet werden konnte. Die Annahme, das Werk habe von Anfang an einen Titel zur Unterscheidung, z. B. vom Evangelium des Markus, gehabt, scheint mir ebenso wenig bewiesen zu sein wie die Behauptung, Matthäus habe Markus nicht verdrängen wollen und sein Evangelium sei deswegen schon sehr früh in den Gemeinden zusammen mit dem Markusevangelium aufbewahrt worden. Die Annahme, dass Matthäus aufgrund des ihm zur Verfügung stehenden viel umfangreicheren Materials der Meinung war, sein Werk sei das vollständigere und sei deswegen z. B. in der gottesdienstlichen Lesung dem des Markus vorzuziehen, scheint mir mindestens ebenso plausibel wie die gegenteilige Ansicht. Insofern ist es vielleicht doch etwas weniger erstaunlich, dass schon in den zwanziger Jahren des zweiten Jahrhunderts keine zutreffenden Kenntnisse mehr über die Autoren der Evangelien vorhanden waren.
3.5.2 Gründe für die Zuweisung des Evangeliums an Matthäus
Die besondere Rolle des Matthäus
Aber unsere Erkenntnis, dass die Nachricht des Papias kaum zutreffen dürfte, wäre wesentlich besser nachzuvollziehen, wenn wir ihr Zustandekommen noch erklären, also deutlich machen könnten, wie es zu der Ansicht des Papias, für die dieser sich ja auf den ► Presbyter stützt, gekommen ist. Deswegen muss wenigstens der Versuch gemacht werden, die Zuschreibung des ersten Evangeliums an den in jeder Zwölferliste genannten Matthäus zu erklären.
Da im ersten Evangelium der von Markus in 2,14 Levi genannte Zöllner Matthäus heißt, Matthäus in der Zwölferliste nur in diesem Evangelium ausdrücklich den Zusatz „der Zöllner“ erhält (10,3) und auf diese Weise sichergestellt wird, dass der in 9,9 an der Zollstätte Berufene mit dem Apostel Matthäus identisch ist, kann die Autorangabe „Evangelium nach Matthäus“ nicht auf Zufall beruhen, sondern muss in einem Zusammenhang mit diesen beiden Angaben stehen. Da ein Augenzeuge Jesu als Verfasser des Evangeliums nicht in Frage kommt und der von der Zollstätte wegberufene Matthäus kaum seine eigene Berufung in enger Anlehnung an das Zeugnis eines Nicht-Augenzeugen verfasst hätte (vgl. Mk 2,13–17 parMt 9,9–13), verweist diese Erwähnung des Matthäus nicht auf den Verfasser des Evangeliums. Welcher Grund auch immer hierfür entscheidend war, in jedem Fall dürfte diese Änderung in einem besonderen Verhältnis des Evangelienautors und / oder seiner Gemeinde zum Apostel Matthäus ihren Grund haben – ob er der Gründer der matthäischen Gemeinde oder gar des entsprechenden Kirchensprengels oder sonst von irgendeiner besonderen Bedeutung für den Autor und seine Gemeinde gewesen ist, wissen wir nicht, müssen es aber aus der Art, wie der Zöllnerapostel nur im Matthäusevangelium behandelt wird, schließen. Die Zuweisung des Evangeliums an diesen Apostel dürfte mit dieser besonderen Bedeutung, die er für das Evangelium und die Gemeinde des Matthäus hat, zusammenhängen.
Der Autor des Matthäusevangeliums ist unbekannt. Zwar haben einige Exegeten in ihm einen Heidenchristen gesehen, er dürfte aber aufgrund der vielfältigen Verknüpfungen seines Werkes mit dem Judentum diesem entstammen. Die dagegen angeführten Argumente lassen sich weitestgehend entkräften.
4. Die Abfassungszeit des Matthäusevangeliums
Wie bei fast allen unseren Fragen gibt das Evangelium auch hier keine direkten Antworten, allenfalls indirekte. Darin liegt auch der Grund für die immer wieder begegnenden Divergenzen in den Antworten auf unsere Fragen. Hier sind besonders auffällig die Frühansetzungen aus der letzten Zeit, die sich nicht darauf beschränken, unser Evangelium vielleicht noch kurz vor dem Jüdischen Krieg entstanden sein zu lassen, sondern dessen Entstehung bis in die 40er Jahre zurückdatieren. Allerdings gibt es auch Datierungen ins 2. Jahrhundert (Sim).
Voreingenommenheit
Es verdient an dieser Stelle noch einmal hervorgehoben zu werden, dass auch eine frühe Entstehung des Matthäusevangeliums nicht zu einer Zurücknahme unserer am Text des Evangeliums gewonnenen Einsichten führen würde. Von diesen Einsichten her ist eine sehr frühe Entstehung der Evangelien zwar nicht besonders plausibel, aber es ist nicht so, dass es etwa ein besonderes Interesse an einer späten Entstehung der Evangelien gäbe, um einen möglichst großen Abstand zwischen das „Geschehen“ und seine Verschriftlichung zu legen und so dessen Nicht-Historizität um so leichter behaupten zu können. Viele der gewonnenen Erkenntnisse sind völlig unabhängig vom Entstehungsdatum des Evangeliums gültig und nicht zwingend auf eine Spätansetzung angewiesen. Die Tatsache, dass man auch als Exeget in einem bestimmten „Milieu“ verankert ist und dieses Milieu eine bestimmte Sicht von den Abfassungsverhältnissen der Evangelien hat, ist noch kein Argument, sondern liefert allenfalls eine zu beweisende Vermutung. Zu den Problemen der Einleitungswissenschaft gehört es allerdings gerade, dass die hier verwendeten Argumente nicht besonders hart sind und offensichtlich Spielräume zulassen. Freilich sollten auch die Autoren, die sich vehement für eine Frühansetzung des Matthäusevangeliums einsetzen, die Tragkraft ihrer Argumente genauso kritisch einschätzen wie die ihrer sogenannten Gegner und z. B. nicht die Regel außer acht lassen, dass Papyrologen für ihre Altersschätzung bei den Papyri in der Regel einen Spielraum von 50 Jahren angeben, so dass der einem exakt auf den 24. Juli 64 datierbaren Papyrus sehr ähnliche p64 durchaus auch zu einer Entstehungszeit zwischen 70 und 110 passt.
Frühdatierung
Obwohl wir hinter unsere Einsicht, dass das Matthäusevangelium von dem nach 70 entstandenen Markusevangelium literarisch abhängig ist, nicht zurück können, sollen doch zunächst die beiden Hauptgründe, die immer wieder für