in der Verklärungsszene bietet. Nach seinem Verständnis steht Gott so sehr hinter dem Jesusereignis, dass er sogar zu dessen Existenzermöglichung in besonderer Weise eingegriffen hat, so dass Jesus von Beginn seiner Existenz Sohn Gottes ist und dazu nicht erst durch Adoption werden kann bzw. muss. Allerdings wird man deswegen nicht gleich sagen können, das Verständnis Jesu als Gottes Sohn sei für den Evangelisten besonders zentral und überrage die anderen Hoheitstitel, selbst wenn er einige Aussagen vom Gottessohn redaktionell geschaffen und diesen dabei ein besonderes Profil verliehen hat.
Das Lernen des Gotteswillens
Gerade für den heutigen Menschen aufschlussreich ist das Gottessohnverständnis der Versuchungsgeschichte, die Matthäus zwar aus der Logienquelle Q übernommen, die er sich aber aufgrund seiner Übernahme dieses Abschnittes auch zu eigen gemacht hat, so dass sie auch für ihn und seine Theologie in Anspruch genommen werden kann. Der matthäische Gottessohn ist offenbar nicht jener süße, temperament- und geschlechtslose, über alle Fragen erhabene, überaus angepasste Mensch früherer dogmatischer Vorstellungen, sondern er kennt Versuchungen, muss sich gegen diese wehren und den von Gott gewollten Weg in der Auseinandersetzung mit dem Satan finden, wobei allerdings nicht das Finden besonders hervorgehoben wird, sondern das Wissen und die Urteilskraft.
Diese Kenntnis des Willens Gottes ist ein Charakteristikum des matthäischen Gottessohnverständnisses, das auch im Zusammenhang mit der Gottessohnproklamation bei der Taufe in 3,15 eine Rolle spielt.
Innerer Kampf
Solche Kenntnis des Willens Gottes begegnet im ersten Evangelium auch unabhängig vom Gottessohn-Titel (z. B. in 5,17–7,26), die Gethsemane-Perikope aber zeigt, dass der Wille Gottes Jesus nach Ansicht des Matthäus nicht in jeder Situation einfach und klar vor Augen steht und wie von selbst von ihm erfüllt wird, sondern dass das Sich-Einfügen in diesen Willen auch für Jesus inneren Kampf bedeuten kann (26,39.42). Jesus benutzt zwar bei seinem zweiten, von Matthäus eingefügten Gebet in Gethsemane die Formulierung des Vaterunsers „Es geschehe dein Wille“ (26,42), aber welche inneren Schwierigkeiten ihm dies nach dem Verständnis des Matthäus bereitet, deutet der Evangelist durch den zweimal vorangestellten Halbsatz an: „wenn dieser Kelch an mir nicht vorübergehen kann“. Sowohl in der Versuchungsgeschichte als auch in der Szene unter dem Kreuz (27,40.43) setzt Matthäus sich mit einem ganz anderen Verständnis der Gottessohnschaft auseinander und lehnt dieses ab. Zwar könnte der von Matthäus gezeichnete Jesus sicher vom Kreuz herabsteigen (vgl. nur 26,53), tut dies aber gerade nicht, weil er in Gethsemane gelernt hat, dass das Kreuz der Wille seines Vaters ist. – Insofern das Tun des Willens Gottes auch die von Jesus den Menschen zugewiesene Aufgabe ist (7,21; 12,50), hat der Jesus des Matthäus hier auch eine Vorbildfunktion. Allerdings sind Matthäus unsere Vorstellungen vom Gottessohn, die diesen dem Menschsein entheben, auch nicht ganz fremd, wie man daran sehen kann, dass er eine Reihe von Gemütsbewegungen etc., die im Markusstoff vorhanden waren, ausgelassen hat (vgl. Mk 1,41 par; 3,5 par; 6,5 f. par). In dieser Hinsicht ist er freilich nicht konsequent gewesen, einige solcher Züge hat er Jesus durchaus belassen (vgl. 9,36; 14,14; 15,32 u. ö.)
Vorbildfunktion
Autoritativer Lehrer
Matthäus betont so die heilsentscheidende Rolle Jesu, der als der von Gott gesandte und bevollmächtigte Lehrer den Willen Gottes autoritativ ausgelegt hat. An der Befolgung dieser Lehre hängt das Schicksal der Menschen. Aber diese besondere Sendung hat Jesus nicht einfach allem Menschlichen enthoben, Jesus blieb versuchbar und hat in Gethsemane das Sich-Einfügen in den von ihm sonst so autoritativ verkündigten Willen Gottes selbst mühsam lernen müssen. Obwohl sich bei Matthäus auch Ansätze einer Herrlichkeitschristologie finden lassen, so hat er doch Jesu Not in Gethsemane über Markus hinaus verstärkt und auch den Verzweiflungsruf des Gekreuzigten aus Markus übernommen und so die Gefahr einer zu starken Betonung der Herrlichkeitschristologie durchaus gebannt.
Das Verständnis Jesu als Gottessohn ist dem Menschen allerdings nicht von sich aus möglich. Jedenfalls hebt Matthäus in 16,17 hervor, dass Petrus die in 16,16 ausgesprochene Erkenntnis nicht aus sich heraus, sondern aufgrund einer Offenbarung hat. Dazu passt, dass die Jünger in 14,33 aufgrund eines erfahrenen Wunders sich zu Jesus als Gottessohn bekennen, während das Bekenntnis Jesu zu seiner Gottessohnschaft vor dem Hohen Rat nur Spott, Verhöhnung und das Todesurteil auslöst.
7.3 Das Gesetz
Von Gott autorisierte Interpretation der Tora
Die These, der historische Jesus habe das alttestamentlich-jüdische Gesetz außer Kraft gesetzt, hat wesentlich in den Antithesen des Matthäusevangeliums ihren Grund. In diesen wird der Gegensatz zum Gesetz schon durch das (variierte) Schema „Ihr habt gehört, dass (den Alten) gesagt worden ist …, ich aber sage euch“ stark hervorgehoben, obwohl eine Außerkraftsetzung des Gesetzes in den Antithesen inhaltlich m. E. bislang noch nicht plausibel nachgewiesen werden konnte. Die aus einer solchen Außerkraftsetzung gezogenen Konsequenzen für die Rolle und das Selbstverständnis Jesu dürften ohnehin kaum zutreffen. Denn im Judentum der damaligen Zeit konnte durchaus als Wille Gottes verstanden werden, was dem Wortlaut des Gesetzes jedenfalls zu widersprechen schien (vgl. K. H. Müller). Ob Matthäus nun die Antithesen und vor allem ihr Schema in Anlehnung an rabbinische Redeweise selbst gebildet oder diese vorgefunden hat, in jedem Falle ist zu berücksichtigen, dass Matthäus diesen einen auf äußerste Weise die Verbindlichkeit des Gesetzes betonenden Text (5,17–20) vorangestellt hat, so dass die Antithesen nur zusammen mit diesem Vorspann interpretiert werden dürfen. Diese Zusammenstellung zeigt aber gerade, dass der Autor unseres Evangeliums keineswegs nur am Gegensatz Jesu zum Gesetz interessiert ist, sondern dass er die gesetzeskritischen Wendungen in den Antithesen als Erfüllung des Gesetzes verstanden wissen will. Jesus bringt nach Matthäus nicht die messianische Tora des Judentums, die es dort als Vorstellung gar nicht gegeben hat, sondern er bringt im Rahmen des damals im Judentum durchaus weiter verbreiteten Ringens um die gültige Interpretation des Willens Gottes die von Gott autorisierte Interpretation der alttestamentlichen Tora. Matthäus geht sogar so weit, die Autorität und Geltung dieser Weisung in der Person Jesu zu verankern – die von Jesus ausgelegte Tora gilt aufgrund seiner Weisung als des von Gott gesandten Erlösers.
Gesetz und Situation
Gleichwohl betrachten Matthäus und wohl auch seine Gemeinde diese Weisung ihres Herrn nicht als sakrosanktes, in seinem exakten Wortlaut stets zu bewahrendes göttliches Gesetz. Einem solchen Verständnis widerspricht die von allen urgemeindlichen Zentren geteilte Tendenz, die Worte Jesu nicht dem Wortlaut nach zu überliefern, sondern dem Sinne nach, und sie zugleich auf die die Gegenwart bedrängenden Fragen hin zu fokussieren. Bei Matthäus haben wir in den Eheweisungen ein schönes Beispiel dafür, dass er sich genauso verhalten hat. Denn Matthäus überliefert hier eindeutig nicht das ursprüngliche strenge Eheethos des historischen Jesus, wie er es bei Markus vorfand (Mk 10,6–10 parMt 19,4–9; vgl. auch Mt 5,32), sondern erlaubt eine Ausnahme vom absoluten Ehescheidungsverbot. Offensichtlich waren er und seine Gemeinde der Meinung, dass diese Ausnahme vom Eheethos des historischen Jesus durchaus gedeckt wird, und sie hielten eine Überlieferung des Sinnes für wichtiger als das sklavische Festhalten am Wortlaut. Den Maßstab für die Anpassung der Gesetzes-Vorschriften an die Gegenwart nennt Matthäus in seinem Evangelium häufig. Mit Markus nennt er das Liebesgebot zusammen mit dem der Gottesliebe als höchstes Gebot (22,35–40 par Mk), stärker als Markus stellt er das der Gottesverehrung dem der Nächstenliebe gleich (22,39) und betont beide als Summe und Angelpunkt des Gesetzes (22,40). Über Markus hinaus führt er (in 9,13 und 12,7 mit einem Zitat von Hos 6,6 „Barmherzigkeit will ich, nicht Opfer“) die Barmherzigkeit als Maßstab ein, und schließlich lässt er die exakt gegliederte Reihe der Antithesen im Feindesliebesgebot gipfeln (5,43–48).
Gnade und Werke
Häufig wird in der Literatur die Frage gestellt, wie es denn im Matthäusevangelium mit dem Verhältnis von Gnade und Werken sei, gelegentlich wird sogar der Gedanke der zuvorkommenden Gnade der späteren kirchlichen Tradition bereits im Matthäusevangelium gefunden. Aber es begegnet auch das Verdikt, Matthäus lege Jesus immer wieder Worte von der Verdienstlichkeit der Werke in den Mund und insofern bestehe ein unüberbrückbarer Gegensatz zu Paulus und seiner Lehre von der Rechtfertigung allein aus Glauben, die als die Mitte der Schrift über die Zugehörigkeit zum Kanon