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Geist & Leben 4/2016


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Sicherheit. Solch ein gestaltgewordenes Mitgefühl, das uns auch zu handeln antreibt, ist leider sehr selten. Eigeninteresse und Ablenkungen lassen uns bereitwillig in einem selbstzufriedenen Schlummer zurück, der uns davon abhält, das Leid anderer zu sehen.24 Eggemeier hält eine asketische Praxis kontemplativen Gebets für notwendig, um die Augen des Herzens zu öffnen und um die damit einhergehende leibliche Sensibilität für die Nöte anderer zu entwickeln.25 Er zitiert Arbeiten von Sarah Coakley und Simone Weil, die aufzeigen, wie dieses Einfühlungsvermögen entwickelt werden kann. Coakley hat eindringlich über die transformierende Wirkung der kontemplativen Gebetspraxis und das darin liegende Vermögen geschrieben, eine prophetische Dynamik mitfühlenden Tuns zu entwickeln.26 Ihre Arbeit mit Häftlingen z.B. zeigte, dass regelmäßige Zeiten der Stille die Erfahrung des Selbst transformieren wie auch einen heilenden, alternativen Raum zu der unterdrückenden Umgebung bereit stellen können. Simone Weil stellt fest, dass eine kontemplative Disziplin für die fokussierte Aufmerksamkeit des barmherzigen Samariters essentiell war, um die Not des Mannes auf der Straße wahrzunehmen. Sie beschreibt diese Aufmerksamkeit als das Wissen, wie man eine Person auf eine bestimmte Weise ansieht: „Dieser Blick ist zunächst ein aufmerksamer Blick, wenn die Seele sich selbst leert von all ihrem Inhalt, um das Wesen, das sie ansieht, in sich aufzunehmen, genauso wie es ist, in all seiner Wahrheit. Es ist nur dazu fähig, wenn es zu Aufmerksamkeit fähig ist.“27

      Praktiken, die das Aufgeben egozentrischer Bindungen stimulieren, sind notwendig, da wir ansonsten nicht natürlicherweise ein selbstaufopferndes Bewusstsein erlangen. Ein weiteres Zeugnis über die transformierende Kraft des Gebetes kommt von dem Theologen Sebastian Moore, der darauf besteht, dass das „Gebet die radikalste Therapie für unsere Kultur ist“28.

      Eggemeier, Coakley, Weil und Moore sind nur einige der vielen Stimmen, die auf die Früchte des schweigenden Gebets verweisen, das wachsam für die Notwendigkeit mitfühlenden und liebevollen Tuns im Streben nach Gerechtigkeit macht. Darüber hinaus gibt es eine Fülle an empirischer Literatur, die die Auffassung dieser Denker(innen) unterstützt, dass meditative Praktiken notwendig sind, um neurophysiologische Veränderungen zu bewirken, die ein erhöhtes, verleiblichtes, intersubjektives Einfühlungsvermögen ermöglichen.29

      Die Frage taucht nun auf, welche Form dieses Handeln für das Leben derjenigen unter uns annehmen kann, die weniger Möglichkeiten und Fähigkeiten haben, „Großes“ zu bewirken, aber nichtsdestotrotz von Gott berufen sind, „Kleines“ zu bewegen und zu verändern.

      Eine wichtige Prämisse, um zu verstehen, wie wir anderen in unseren bescheidenen und einfachen Umständen dienen können, ist die Einsicht, dass Liebe und Gerechtigkeit synonym sind. Der Ausdruck „soziale Gerechtigkeit“ kann oft einschüchternd sein. Wenn wir, laut Simone Weil, Christi Ruf nach Gerechtigkeit zu einem Ruf nach Liebe neu ausrichten, dann vervielfachen sich die wahrgenommen Möglichkeiten für Gerechtigkeit und sozialer Handlung unter dem erweiterten Horizont, der durch kontemplatives Gebet entsteht.

      Weil besteht darauf, dass „Christus seine Wohltäter nicht liebevoll oder wohltätig nennt. Er nennt sie gerecht. Das Evangelium macht keinen Unterschied zwischen der Liebe für unseren Nächsten und Gerechtigkeit (…) Wir haben die Unterscheidung zwischen Gerechtigkeit und Nächstenliebe erfunden.“30

      Auch Augustinus hinterfragt den Gedanken, ob wir weit reisen müssen, um unseren bedürftigen Nächsten zu helfen: „Alle Menschen sollen gleichermaßen geliebt werden. Aber du kannst nicht gleichermaßen Gutes für alle Leute tun, somit sollst du dich besonders um jene kümmern, als sei es durch Los, die dir hinsichtlich Ort, Zeit und jeglichen anderen Umständen besonders nahe sind.“31 Die Lehre von Bruder Lawrence, Pierre de Caussade und Thérèse von Lisieux, nur um ein paar wenige aus der kontemplativen Tradition zu nennen, macht uns auch für die Notwendigkeit aufmerksam, die Vorsehung Gottes und den Ruf, die kleinen Möglichkeiten vor uns zu sehen, zu erkennen.32 Unser bedürftiger Nächster ist hier neben uns, vielleicht unterhält er sich mit uns, jedoch brauchen wir Augen, um zu sehen.

      Es ist wichtig, aktiv auf den Glauben zurückzugreifen, um unser Leben als Kanal für Gottes Gnade zu erfahren und zu verstehen, dass andere von Liebe und Segen berührt werden können, wenn wir unserem kontemplativen Ruf folgen. Während die größte der theologischen Tugenden die Liebe ist (1 Kor 13,13), können wir ohne Glauben Gott nicht gefallen und Gottes Willen für unser Leben erfüllen (Hebr 11,6). Es ist unumgänglich, Glauben zu haben, damit Gottes Gnade durch uns in liebevoller, heilender und befreiender Weise strömen kann.

      Ich habe hier versucht, all jene zu ermutigen, die ein kontemplatives Leben führen, im Streben danach, ihrem Ruf zu folgen. In Anbetracht der Tatsache, dass viele sich unfähig fühlen, auf beachtliche Weise zu den drängenden Nöten der Welt um sie herum beizutragen, habe ich versucht, ihr Bewusstsein für den Wert der kleinsten Gelegenheit zu steigern, den Unterdrückten gute Nachrichten zu bringen, gebrochene Herzen zu verbinden, den Gefangenen die Entlassung zu verkünden und Häftlinge zu befreien (Lk 4,18). Ein Haiku bringt diese Vision wunderbar zum Ausdruck:

      To see small matters

      And to see that small matters

      Are not small matters.33

      1 Der Artikel erschien unter dem Titel The ‘Ordinary’ Contemplative Life And The ‘Little Way’ Of Social Justice in: The Way 55 (2016), 99–109. Übersetzung: E. Salaban-Hofer; Bearbeitung: A. Albinus.

      2 A. de Quadros, From American Prisons to Peruvian Shantytowns: Rescuing the Arts from the Realm of the Elite. The Victoria Institute, Melbourne, 21 May 2014.

      3 Siehe hierzu C. McDonough, Christian Hermits and Solitaries: Tracing the Antonian Hermit Traditions, in: The Way, 54 (2015), 76–89.

      4 Meine Aktivitäten beinhalteten die Arbeit in einer privaten psychologischen Praxis u. das Verfassen theol. Artikel, die, wenn auch in einen akademischen Kontext gestellt, immer versuchten, das Herz zu adressieren. In beiden Fällen war ich mir aber bewusst, dass sie bloß Etappen auf der kontemplativen Reise sind. Meine private Tätigkeit als ‚Rad fahrende Missionarin‘ im ländlichen Australien schien am besten dem grundlegenden kontemplativen Ruf der Liebe Gottes und des Nächsten zu entsprechen, wie außerordentliche Begegnungen auf der Straße und im Wohnwagen bezeugten. Das Ende dieses Abschnitts hat mich besonders zu der Frage geführt, die ich hier untersuche.

      5 J. Sobrino, The Principle of Mercy: Taking the Crucified People from the Cross. Orbis 1994, 1.

      6 Für die Beispiele E. Schillebeeckx, G. Gutiérrez, D. Sölle, D. Tracy, L. Boff, I. Ellacuría, J. B. Metz und J. Sobrino, siehe M. T. Eggemeier, A Mysticisim of Open Eyes: Compassion for a Suffering World and the Askesis of Contemplative Prayer, in: Spiritus 12 (2012), 43.

      7 T. Merton, Cistercian Life (Spencer: Cistercian, 1974), 2f.

      8 Ebd., 3.

      9 Ders., Contemplative Prayer. London 1969, 25f..

      10 M. Frohlich, A Roman Catholic Theology of Lay Contemplation, in: Dies. / V. Manss (Ed.), The Lay Contemplative: Testimonies, Perspectives, Resources. Cincinnati 2000, 50.

      11 T. Edwards, Foreword, in: ebd., v.

      12 J. Roten, The Two Halves of the Moon: Marian Anthropological Dimensions in the Common Mission of Adrienne von Speyr and Hans Urs von Balthasar, in: IKaZ Communio 16 (1989), 443.

      13 M. Frohlich, Lay Contemplation, 45 [s. Anm. 10].

      14 K. Damiano, The Call to Life „on the Margins“‚ in: ebd., 25 [s. Anm. 10].

      15 s. A.G. Denham, God in Flesh and Spirit, in: ebd., 33-36 [s. Anm. 10].

      16 R. A. Jonas, Daybreak, in: ebd., 37 [s. Anm. 10].

      17 A.G. Denham, God in Flesh and Spirit, 33 [s. Anm. 15].

      18 M. Frohlich, Roman Catholic Theology of Lay Contemplation, in: ebd., 45 [s. Anm. 10].

      19 E. P. Hahnenberg, Awakening Vocation: A Theology of Christian Call. Collegeville 2010.

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