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Geist & Leben 4/2016


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Schwester vom 17. 1. 1902. – Im Folgenden entstammen zahlreiche Passagen meinem Buch: G. Greshake, Spiritualität der Wüste. Innsbruck – Wien 2002, 135–154.

      4 D. Barat (Hrsg.), Charles de Foucauld. Œuvres Spirituelles. Paris 1958, 457f.

      5 J.-F. Six, Abenteurer der Liebe Gottes, 80 unveröffentlichte Briefe von Ch. d. Foucauld an L. Massignon. dt. hrsg. und eingeleitet v. G. Greshake.Würzburg 1998, 216.

      6 U.a. wurde es von den sog. Jerusalem-Gemeinschaften aufgegriffen, die 1974 durch P. Pierre Marie Delfieux gegründet wurden. Der „innere Kreis“ dieser geistlichen Bewegung möchte ein monastisches Leben verwirklichen, und zwar in der als „Wüste“ verstandenen Stadt. Während jedoch in der geistlichen Foucauld-Familie die „Stadt“ eine, wenn auch besonders eindringliche Weise und Ausdrucksform der Wüstenexistenz unseres Lebens ist, nimmt diese in den Jerusalem Gemeinschaften eine fast exklusive Bedeutung an.

      7 C. de Foucauld, Brief an H. de Castries vom 17. 6. 1904.

      8 Ders., Directoire, art. 28.

      9 Ders., Retraite à Beni-Abbès (1902), in: D. Barret (Hrsg.), Ch. de Foucauld – Oeuvre spirituelles. Anthologie. Paris 1958, 538.

      10 Ders., Brief an Abbé Caron vom 11 .3. 1909.

      11 Ders., Directoire, art. 28.[s. Anm. 8].

      12 Ders., Brief an Abbé Caron vom 9. 6. 1908.

      13 Ders., Brief an Joseph Hours vom 3. 5. 1912.

      14 Ebd.

      15 Siehe dazu J.F. Six, Abenteurer der Liebe Gottes, 32f. [s. Anm. 5].

      16 Zit. nach ebd. 130.

      17 Ebd., 128f.

      Meredith Secomb | Melbourne (Aus)

      geb. 1951, PhD theol., M.A. Psych., Theologin, klinische Psychologin

       [email protected]

      Small Matters1

       Kontemplatives Leben und soziale Gerechtigkeit

      Seit einiger Zeit geht mir ein inspirierendes Seminar, an dem ich 2014 teilgenommen habe, durch den Kopf, das sich mit bahnbrechender Arbeit an der Schnittstelle von Kunst und Gesundheitswesen auseinandersetzte.2 Der Vortragende, ein Ethnomusikologe, Menschenrechtsaktivist und Musikprofessor engagiert sich u.a. dafür, die Künste in einen peruanischen Slum und ein US-amerikanisches Gefängnis zu bringen. Seine Arbeit stellt die sowohl in materieller als auch in spiritueller Hinsicht zutiefst verarmten Menschen unserer Welt in den Mittelpunkt. Sie transformiert das Leben der Menschen, deren Selbstwahrnehmung und Gefühl von Bedeutung und Wert. Es handelt sich hier um eine Form von Arbeit, die zu sozialer Gerechtigkeit beiträgt.

      Das Seminar hat mich aufgerüttelt und mich zur Frage gebracht, welchen Beitrag meine Arbeit, als jemand, der sich als kontemplativ versteht, zur Verringerung der hoffnungslosen Ungleichheiten und des Schmerzes der Welt leistet.3 Während ich in der Vergangenheit sowohl beruflich als auch privat versuchte, das Leiden anderer zu lindern, schien jeweils mit dem Ende dieser Aktivitäten auch die Erfüllung aufzuhören, die von meiner Bemühung herrührte, mein kontemplatives Gebetsleben mit der liebenden Sorge für andere zu verbinden.4

      Deshalb ist meine derzeitige Frage: Wie kann ich authentisch als kontemplativer Mensch, offen für Gott und das Leiden meines Nächstens, inmitten der Annehmlichkeiten einer westlichen Vorstadt leben? Einige Annahmen sind implizit in dieser Frage enthalten. Die erste, die ich bejahe, ist, dass wir berufen sind, andere zu lieben und ihnen zu dienen; die zweite, die ich untersuche, ist, dass ein Leben, das das kontemplative Gebet in den gewöhnlichen Umständen der gewöhnlichen Welt priorisiert, zulässig ist; die dritte, die ich zurückweise, ist, dass wir alle „große“ Dinge bewerkstelligen müssen, um dem Ruf nach sozialer Gerechtigkeit und Liebe für unseren Nächsten gerecht zu werden.

      Zunächst möchte ich den Schwerpunkt auf soziale Gerechtigkeit innerhalb der christlichen Tradition legen, verweise dabei kurz auf die Hl. Schrift und anschließend auf die Arbeit von Theolog(inn)en. Sie folgen einem Ruf, Taten zu setzen. Dabei handelt es sich auch um solche Taten, die soziale Strukturen, welche Ungerechtigkeiten aufrechterhalten, infrage stellen. Diesem aktivistischen Engagement steht das scheinbar inkompatible Leben des gewöhnlichen Kontemplativen gegenüber, der ein einfaches Leben in der Vorstadt verbringt. Danach schlage ich eine Annäherung vor zwischen dem dringenden Bedürfnis aller Christen, aktives Mitgefühl zu leben angesichts des Leids anderer und der genuinen Begrenzungen von Menschen, die ein alltägliches Leben innerhalb der Bedingungen der entwickelten Welt führen. Im Einklang mit der kontemplativen Tradition ist aus meiner Sicht diese Annährung in der Wertschätzung der kleinen Wege, in denen Liebe für die Bedürftigen um uns ausgedrückt werden kann, zu finden.

      Soziale Gerechtigkeit als christliches Gebot

      Das Thema der sozialen Gerechtigkeit ist ein wesentlicher Teil der christlichen Tradition. Im Alten Testament ist es womöglich am schönsten bei Micha zusammengefasst, der unmissverständlich festhält, dass der Herr uns auffordert, „Recht [zu] tun, Güte und Treue (zu) lieben (und) in Ehrfurcht den Weg (zu) gehen mit deinem Gott“ (Mi 6,8). Im Neuen Testament ist Jesus sogar noch direkter, da er darauf besteht, dass wir nicht in das Reich Gottes kommen, wenn wir nicht den Hungrigen und den Durstigen zu trinken gegeben, Fremde willkommen geheißen, die Nackten bekleidet und die Kranken oder Gefangenen besucht haben (Mt 25,31–40). Christus befiehlt uns, unseren Nächsten zu lieben (Mk 12,30f.); und die Parabel des barmherzigen Samariters (Lk 10,30–37) zeigt uns, dass uns unser Nächster in verschiedenen Gestalten begegnen kann. Als Christen, ja als Menschen, sind wir alle berufen, Gottes Liebe für die Armen und Bedürftigen, die Kranken und Verletzten in irgendeiner Weise zu offenbaren. Darüber hinaus sind das Lindern des Schmerzes unseres Nächsten und die Entwicklung unserer eigenen authentischen Menschlichkeit untrennbar miteinander verflochten, da wir unseren Nächsten wie uns selbst lieben sollen (Mk 12,31). Jon Sobrino besteht darauf, dass Menschen nur dann tatsächlich menschlich sein können, wenn sie die Befreiung derjenigen, die Unterdrückung und Niederlage erleiden, unterstützen.5

      Die vielen Theolog(inn)en, die sich damit beschäftigt haben, wie unsere Liebe für Gott eine nachweisliche Auswirkung auf die Bedürfnisse unserer Nächsten haben muss, insistieren, dass kontemplatives oder mystisches Gebet einen anteilnehmenden und barmherzigen Ausdruck in prophetischer, politischer oder ökonomischer Handlung haben muss.6 Oft ist es eine persönliche Begegnung mit extremem Leid, die solch eine theologische Reflexion hervorruft. So war es für Johann Baptist Metz und Jon Sobrino, die beide mit erschütternden Beispielen des Leides und der Unterdrückung konfrontiert wurden. Für Metz war es der Holocaust; für Sobrino die schreckliche Armut in Südamerika. Diese persönlichen Erlebnisse haben ihre Sensibilität für die schockierende Weltgeschichte der Gewalt und Unterdrückung gesteigert, und sie dazu geführt, darauf zu bestehen, dass wir größere Kenntnis von dem Leid der unschuldigen Opfer der Unterdrückung und Ungerechtigkeit haben müssen.

      Dennoch, traurigerweise – schmerzlicherweise – nehmen so viele von uns deren Notlage nicht wahr. Obwohl die Hl. Schrift uns so oft aufruft aufzuwachen, sind wir oft zu bequem und selbstzufrieden auf den Ruf Christi, andere zu lieben wie uns selbst, zu antworten. Angesichts der Aufforderung an alle Christen, wachsam für die Forderungen sozialer Gerechtigkeit zu sein, stellt sich die Frage, wie wir verantwortlich dem Ruf eines relativ einfach Lebens folgen können, der das Gebet an die erste Stelle setzt. Laufen wir hier nicht Gefahr, ein im Grunde egozentrisches Dasein mit der Aufschrift „kontemplativ“ zu vertuschen? Könnte es nicht vielmehr eine faule Ausrede sein, die den „wirklichen“ Anliegen eines christlichen Lebens aus dem Weg geht?

      Berufung oder faule Ausrede?

      Schon in seinen frühen Aufzeichnungen in einem Zisterzienserkloster adressiert Thomas Merton die übliche, aber missverstandene Ansicht, dass das kontemplative Leben lediglich eine Strategie ist, um die profane