Sybille Bayard Walpen

Der Clan vom Berg


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      Theodor mit Tochter Steffi (1934).

      Mit den vier kleinen Kindern wurde die Wohnung am Kegelplatz langsam zu klein. Im Herbst 1933 begann die Familie am westlichen Ende des Dorfes, wo Jeremias eine Landparzelle geerbt hatte, mit dem Bau eines allein stehenden, etwas von der Dorfstrasse zurückversetzten Hauses. Die Bauarbeiten wurden von Jeremias mithilfe seines Schwagers Theodul und weiteren Arbeitern und Handlangern ausgeführt. Oktavia hielt alle Arbeiten und Ausgaben in ihrem Haushaltsbüchlein fest, fein säuberlich getrennt nach Material- und Personalkosten, wobei sich der Tagessatz für einen Arbeiter auf 5.50 Franken belief. Im Sommer 1934 war der damals noch von Bäumen und Büschen umgebene Bau fertiggestellt. Als die Familie am Ende des Sommers mit Kuh und Wagen von Bodmen zurückkam, wollte Hedy zum alten Haus am Kegelplatz einbiegen. Vater Jeremias wies sie jedoch an, weiter geradeaus zum neuen Haus zu laufen. Die damals sechsjährige Tochter Hedy hatte vom Hausbau somit nichts mitbekommen.

      Varen mit dem sich im Bau befindenden Haus in der Mitte des unteren Bildrands (1933).

      Die gesamten Kosten des Hausbaus beliefen sich gemäss Haushaltsbüchlein auf 15 150 Franken. Das Haus war durch Oktavias Ersparnisse finanziert worden und bestand aus einem Erdgeschoss mit Keller, wo Hammu [Rohschinken] und Käse aufgereiht gelagert wurden, einem Weinkeller und einer Waschküche. Der an der Hangseite gelegene Hauseingang führte in das ausgebaute erste Stockwerk. Darüber befanden sich zwei im Rohbau belassene Stockwerke. Der grosse Raum unmittelbar oberhalb der Wohnung wurde als Massenlager für die Kinder genutzt. Das unter der Dachschräge gelegene oberste Stockwerk diente nicht nur als Trocknungsraum für die Wäsche, sondern auch als Lagerraum für die bis zu 50 Kilogramm schweren Polenta-, Mehl- oder Zuckersäcke. Auch Früchte, selbst gemachte Hauswürste oder Hammu wurden dort getrocknet.

      Das Haus bot nicht nur in Bezug auf die zur Verfügung stehenden Flächen und Räumlichkeiten auf verschiedenen Stockwerken einen ziemlichen Kontrast zur Wohnung am Kegelplatz. Für die damaligen Walliser Wohnverhältnisse, insbesondere in den Bergregionen, war das Haus mit modernen Neuerungen ausgestattet. Es verfügte über fliessendes Wasser, ein Badezimmer mit Toilette und Badewanne und eine Art Zentralheizung mit Radiatoren in den drei Zimmern des ersten Stockwerks. Ein Standard, der bis 1950 im Oberwallis eine Seltenheit war.48 Als Tochter Hedy Anfang der 1940er-Jahre bei einer Familie in Sitten arbeitete und einer anderen Oberwalliser Angestellten erzählte, sie wohne in einem Haus mit Badezimmer, wurde sie prompt als Lügnerin bezeichnet.

      Einzug in das neue Haus (1934).

      Mit dem in der Küche stehenden Holzofen konnte nicht nur gekocht, sondern auch das Badewasser gewärmt und die Radiatoren geheizt werden. Dazu entfachte man im oberen Teil des Ofens ein Feuer, das mittels Erhitzung der Heizplatte zum Kochen diente. Zog man an einem Haken in der Mitte des Ofens, so öffnete sich der Zwischenboden und das Feuer fiel in den unteren Teil des Ofens, wo es die dort durchlaufende Wasserspirale erhitzte, welche mit dem Badezimmer und den Räumen im ersten Stockwerk verbunden war. Damit konnten entweder das Badewasser gewärmt oder die Heizkörper in den Zimmern temperiert werden.

      Der Schlafort der Kinder variierte in Abhängigkeit ihres Alters. In den ersten drei Lebensjahren schliefen sie in einem grossen Bett im Elternschlafzimmer. Danach wechselten sie in das kleine Zimmerchen neben dem Elternschlafzimmer, in dem sich nebeneinander zwei Betten befanden. In jedem dieser Betten schliefen je zwei Kinder, zu Beginn Hedy und Marie beziehungsweise Franz und René, später dann die jüngeren Kinder. Silvie war im Sommer 1934 in Bodmen zur Welt gekommen, kurz vor dem Umzug ins neue Haus. Als erstes Kind wurde Anny im Jahr 1936 im neuen Haus geboren. Von den vier Kindern in den beiden Betten lagen jeweils zwei in die eine und zwei in die andere Richtung. Diese Nähe verlockte die Kinder dazu, den Nächstliegenden zu necken und in den Hintern zu zwicken, sodass Oktavia abends vielfach Einhalt gebieten musste.

      Familienbild vor dem Hauseingang (um 1935).

      Als die Kinder älter wurden, wechselten sie in das obere Stockwerk. Dort hielten sie sich gerne auf, denn sie fühlten sich freier. Mit Ausnahme eines kleinen abgetrennten Zimmers war der Raum offen und bestand aus rohen Hausmauern ohne elektrisches Licht. Das Mobiliar setzte sich aus acht in Reih und Glied angeordneten Betten zusammen. Da den Kindern kein fixes Bett zugeteilt war, schliefen sie einmal im einen, dann im anderen Bett. Im Winter war es dort sehr kalt und es bildeten sich Eiszapfen an den Fenstern. Sie schliefen deshalb in Schafspelzen, die der Vater eingesalzen hatte. Ein Fell legten sie direkt auf die Matratze, ein weiteres Fell und eine Decke sorgten für angenehme Wärme. Im Sommer legten sie die Pelze beiseite.

      Zwei oder drei Jahre nach Fertigstellung des neuen Hauses errichteten sie hangseitig hinter dem Haus einen grossen Stall, in dem die Rinder, Kühe und Kälber untergebracht wurden, eine stattliche Scheune und einen direkt angrenzenden kleineren Stall für die Schweine, Geissen und Schafe. Die Möglichkeit der Aufbewahrung grösserer Mengen Heu und Stroh und die Nähe zum Vieh erleichterten das Hirten [Füttern, Pflegen und Melken der Tiere] und verminderten den Aufwand während des Winters, da das Heu weniger häufig von verschiedenen, verstreut liegenden Scheunen zum Vieh transportiert werden musste.

      Nachdem sie das erste Heu eingebracht hatten, wässerte Jeremias eines Nachts in den Duden, einem Gebiet in Richtung Leuk, eine Wiese. Weiter oben gegen die Varnerfluh besass die Familie zwei weitere Wiesen. Während des Wässerns sah er in einer dieser Wiesen ein Feuer brennen. Er ging davon aus, dass der Stapel Fallholz brannte, den er dort für den Winter aufgetischt hatte. Jetzt hat er kein Holz mehr für den Winter, sagte er sich. Er ging hoch, um nachzuschauen, fand das Holz aber unversehrt vor und fragte deshalb im Dorf nach, ob jemand in der Gegend ein Feuer gesehen hatte. Niemand konnte ihm dies jedoch bestätigen. Zwei Tage später wollten Franz und René am Nachmittag bei der Scheune mit einem Feuerzeug ein Feuer anzünden. Es regnete leicht und das Feuer brannte nicht so richtig, sodass sie näher zum Gebäude rückten und es erneut versuchten. Das Feuer griff auf die nahe gelegene Scheune über und breitete sich wegen des frisch eingebrachten Heus rasch aus. Die Scheune und der anliegende Stall gingen in Flammen auf und brannten nieder. Für die Familie stellte dies ein schrecklicher Schlag dar. Jeremias sass auf der Treppe vor dem Eingang des Hauses, umringt von den Kindern, und hielt seinen Kopf in den Händen. Statt seine Söhne mit Vorwürfen einzudecken, schaute er nur auf und sagte mit trauriger Stimme zu Franz, er solle schauen, was er gemacht habe. Das war seine einzige Reaktion. Glücklicherweise halfen ihnen Jules Bayard, den die Kinder als Gottu [der Familie nahestehenden Mann] bezeichneten, und Leo Roten, zwei Verwandte väterlicherseits, mit Heu aus, denn der Brand hatte ihnen einen Grossteil ihres Heus für den Winter genommen. Dass er das Feuer in der Nacht zuvor in seiner Wiese brennen sehen hatte, betrachtete Jeremias als Zeichen des bevorstehenden Unglücks.

Familienleben

      Hedy, *1927

      Im Jahr nach der Hochzeit von Oktavia und Jeremias wird Hedy geboren. Als Erstgeborene muss sie früh viel Verantwortung übernehmen. Sie liest gerne und würde am liebsten eine Bürolehre machen, aber eine Berufsausbildung kommt für sie wegen des zu bezahlenden Lehrgelds nicht infrage. Sie beginnt im Gastgewerbe zu arbeiten, heiratet, zieht nach Montreux und bekommt vier Kinder. Ihr Mann stirbt früh und sie ist sehr froh, dass sie in dieser schwierigen Situation auf ihre Brüder und Schwestern zählen kann.

      Ich war am liebsten mit dem Vater in den Reben oder auf dem Feld. Er war ein Flotter, ein Feiner. Mit ihm hatte man die Ruhe. Wir konnten miteinander reden, da war es mir wohl. Mama war immer nervös und müde. Kein Wunder, bei dieser Belastung. Er war eine Art Ausgleich. Zu Hause waren die vielen Kinder, die viele Arbeit. Als Älteste musste ich anpacken. Es hiess, du bist das Erste, du musst dies und du musst das. Überall, wo sie jemanden brauchten, sprang ich ein, das ist ja klar. Spielen war Zeitverlust. Du musstest lernen, du musstest arbeiten,