festgelegten Solderhöhung451 um täglich vier Kreuzer, welche insbesondere wegen der gestiegenen Getreidepreise festgelegt worden war.452 Die Kleinratsprotokolle indes schweigen sich über diese Angelegenheit aus. Eine erste, gemeinsam verfasste und an den Grossen Rat gerichtete Petition für eine Solderhöhung erfolgte erst im Jahr 1852 – der Sold lag damals nach wie vor bei 54 Kreuzern für dienstniedrige Landjäger.453 Eine 1854 erfolgte, ähnliche Petition von Polizeidirektor Paul Janett an den Kleinen Rat um temporäre Solderhöhung wurde für die Dauer von drei Monaten gutgeheissen.454 Noch 1856, als das gesamte Korps an ebendiesen Polizeidirektor eine Petition um eine permanente Lohnanhebung richtete, lag der offizielle Sold bei 54 Kreuzern.455 Erst für das Jahr 1863 schliesslich ist ein Beschluss des Grossen Rates belegt, bei dem für den 1. Juli 1863 folgende tägliche Soldbeträge bestimmt wurden: Gemeiner Fr 1.90, Korporal Fr. 2.10., Wachtmeister Fr. 2.30.456 Man konnte also die Alltagspraktiken der Landjäger noch so stark zu beeinflussen versuchen, die Kreuzer und Gulden noch so oft wenden und drehen – angesichts des schwierigen Lebensstandes und der einschneidenden Ausgabekategorien war eine Pensionskasse bei gleichbleibender Haupteinnahmequelle nicht zu realisieren. Denn auch wenn diese Einrichtung für die Landjäger und ihre Familien längerfristig eine markante Erleichterung bedeutet hätte, tangierte der tägliche Abzug von zwei Kreuzern den gebeutelten Korpsanteil kurzfristig empfindlich. Die Führungsgremien dagegen hielten dessen ungeachtet an der Ersparniskasse fest. Es ist ein Paradox, dass deren Einrichtung gerade für diejenigen Landjäger, für welche sie gedacht war, eine Utopie blieb. Für andere war sie, wie das folgende Beispiel verdeutlicht, höchstens gut, um mit dem kumulierten Guthaben nach der Dienstentlassung einen Teil der Gläubigeransprüche zu befriedigen. Dem seit 1839 im Korps dienenden Landjäger Christian Juon aus Grüsch nämlich schlug der Verhörrichter Ende April 1846 vor:
«Nach Allem dürfte Juon wohl für unverbeßerlich zu halten und weil man sich in Nichts auf ihn verlaßen kann, am besten sein, ihn des Dienstes zu entlaßen, damit er jedoch allenfalls noch in Muhe einen anderen Erwerb suchen kann, sollte die Entlaßung auf den ersten Juni l[aufenden] J[ahres] festgesezt, auch, auf daß seine Gläubiger nicht zu sehr zu Schaden kommen, und sehen, wie das Möglichste für sie gemacht werde, seine Einlagen bei der Ersparnißkaße der Landjäger unter selbe pro Rata ihrer Forderungen vertheilt werden.»457
Selbstverständlich war die Schuldentilgung eine Form der nachdienstlichen Entlastung, womit der Solidaritätszweck in gewisser Weise auch erfüllt war. Dennoch muss die Frage gestellt werden, inwiefern ein solcher Fall nicht einen gewissen Widerspruch beinhaltete. Denn durch die regelmässigen Soldabzüge war das Problem der Verschuldung letztlich auch forciert worden. Seit seinem Eintritt ins Korps im Mai 1839458 hatte Juon ein Guthaben von 5154 Kreuzern beziehungsweise 85 Gulden 54 Kreuzern459 angesammelt. Mit anderen Worten hatte er ebendiese erarbeitete Summe während sieben Jahren nicht anderweitig verwenden können. Die Idee einer solidarischen Pensionskasse jedenfalls wurde auch nach der Jahrhundertmitte nicht realisiert. Die von solidarischen Prinzipien getragene Idee geriet mit wachsendem Abstand zur Einrichtung der Ersparniskasse und mit dem wachsenden Umfang des Eingesparten in Vergessenheit.460 Das Beispiel Juons zeigt noch eine weitere Facette: Es verdeutlicht, dass die Existenz einer Ersparniskasse aus Sicht der Polizeileitung sogar eine gewinnbringende Einrichtung sein konnte: Erstens wurden durch ihre Einrichtung die über lange Jahre hinweg ausgesprochenen punktuellen Unterstützungsbeiträge wie angedeutet je länger, desto hinfälliger. Die Einrichtung erleichterte zweitens – aus der Optik der Landjäger ebenfalls negativ zu bewerten – den Polizeigremien die Entscheidung, untaugliche Polizeibeamte aus dem Korps auszusortieren, erheblich. So war diese Einrichtung aus organisatorischer Sicht längerfristig betrachtet ein markanter Wendepunkt innerhalb des Polizeisystems. Denn wenn auch die kreierte Ersparniskasse vordergründig nur Geldfragen betraf, tangierte ihre Existenz in entscheidender Form die Frage nach dem erwünschten Landjägerprofil. Wo früher im Hinblick auf die perspektivlose Zukunft der Betroffenen und ihrer Angehörigen noch schlechtes Gewissen und Verantwortungsbewusstsein den Entscheid der leitenden Polizeigremien beeinflusst hatten, 461 konnte die Aussortierung untauglicher Korpsmitglieder mithilfe dieser Einrichtung einfacher begründet werden, sodass Landjäger, die eine normwidrige Entwicklung vollzogen hatten, nunmehr rigider und rascher entlassen werden konnten.
2.8 Kommunikation im Dienst des Monitorings
Der Informationsaustausch zwischen den Landjägern und dem Verhörrichter beziehungsweise Polizeidirektor erfolgte bekanntlich über weite Strecken mittels monatlicher Rapporte (Landjäger) und Weisungen (Verhörrichter bzw. Polizeidirektor). Die diesbezüglich überlieferten Quellen mit ihren darin enthaltenen Haupt- und Randinformationen bilden, wie in der Einleitung erwähnt, den zentralen Kern der vorliegenden Untersuchung. Ohne die tradierten Aussagen innerhalb dieses schriftlichen Kommunikationssystems, die glücklicherweise aufseiten beider Kommunikationspartner vorhanden sind, wären viele strukturgenetische und sozialgeschichtliche Aspekte des Polizeiwesens nicht mehr ergründbar.
Aus den Bestimmungen der ersten Instruktion wurde ersichtlich, dass in der Frühphase des Bündner Polizeiwesens, das heisst noch vor Einberufung des Verhörrichters als Leiter des Landjägerkorps, die lokalen Obrigkeitsmitglieder für die an den Kleinen Rat einzusendenden halbmonatlichen Rapporte zuständig waren.462 Es wurde bereits in verschiedenen Zusammenhängen erwähnt, dass die föderalistisch gesinnten Obrigkeiten insbesondere in der Frühphase des sich konstituierenden Kantons den ihnen auferlegten Zuständigkeiten nur sehr halbherzig oder überhaupt nicht nachkamen. Über den tatsächlichen schriftlichen Briefverkehr der institutionellen Entstehungsphase indes sind nur spärliche Informationen überliefert, was auch daran liegt, dass die an den Kleinen Rat eingesandten Rapporte früher oder später durch einen den damals gültigen Aufbewahrungs- und Aussortierungskriterien unterworfenen Prozess eliminiert wurden. Die Kontrolle und der Austausch von Informationen dürften angesichts der unkooperativen Haltung der Obrigkeiten entweder durch die eigenmächtige (und damit kostspieligere) Berichterstattung der Landjäger selbst, durch ihre Weitergabe von Informationen an den Korporal oder, im Fall der in Zentral- und Westbünden stationierten Landjäger, durch deren persönliches Erscheinen in Chur erfolgt sein. Obwohl sich das Korps zwischen dem Jahr 1804 und dem Antritt des Verhörrichters im Juli 1818 mehr als verdoppelt hatte, 463 waren die meisten Landjäger nach wie vor an den Zollstätten stationiert, weshalb sie sich kaum in Chur blicken lassen konnten. Die Bindung des Korporals an Chur – er war für die administrativen Verrichtungen und dann ab Errichtung des Sennhofs im Jahre 1817464 für den täglichen Betrieb des Zuchthauses zuständig – verunmöglichte diesen Übermittlungsweg, sodass die Landjäger über weite Strecken auf sich allein gestellt waren. Dieses Defizit war einer der Hauptgründe für die Einsetzung des Verhörrichters, eines eigens für das Korps verantwortlichen Leiters. Die Schaffung des Verhörrichteramtes war zugleich die Geburtsstunde einer neuen und flächendeckenderen Überwachungszentrale. Wenn schon der Kleine Rat kaum Zeit hatte, die Landjäger an ihre Pflichten zu erinnern, so wäre ein solches Monitoring vor 1818 eine regelrechte Utopie gewesen. Mit dem Ausbau des Polizeiwesens und der Einrichtung des Verhörrichteramtes jedoch entwickelte sich die systematische Erfassung jeglicher Art von Übersichtslisten und Zahlenkalkulationen zu einem wahren Kernthema modern-staatlicher Beamtendisziplinierung. Durch diese Instrumente erhielten die Landjägerrapporte eine ganz neue Bedeutungsdimension. Als Datenmaterial für den sich konstituierenden Überwachungsstaat waren sie samt den beigefügten Vagantentabellen und Signalementen465 sowie den daraus resultierenden Entscheidungen über weite Strecken überlebenswichtig. Ohne die regelmässigen Berichte über sich in den Provinzen abspielende Begebenheiten, Bevölkerungsströmungen und potenzielle Gefahrenzonen wäre die Überwachungs- und Entscheidungszentrale in Chur handlungsunfähig gewesen. Sie war auf eine möglichst konsequente und rasche Berichterstattung angewiesen. Kommunikation war insofern ein Zeichen und aus der Optik der Polizeileitung ein Beweis dafür, dass das System aufrechterhalten wurde. In der Regel wurden zu diesem Zweck monatlich, zwischenzeitlich aber auch halbmonatlich Rapporte per Postbote und ex officio nach Chur versandt.
Neben dieser schriftlichen Übermittlung konnten je nach Distanz auch mündliche Kommunikationswege zum Tragen kommen, welche entweder indirekt, das heisst mittels Nachrichtenübertragung eines ohnehin nach Chur patrouillierenden