Martín Camenisch

" Hoch Geachter Her Verhörrichter …"


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einen überaus hohen prozentualen Anteil der Gesamtausgaben aus.425 Dass diese Auslagen im Sold miteinkalkuliert waren, ist insofern anzunehmen, als die Bedeutung und Abhängigkeit von Brennholz in Graubünden unbestritten war und diese Ausgabekategorie mangels Alternativen gewissermassen eine Selbstverständlichkeit bedeutete.

      Wie am Beispiel der Selbstversorgung im Nahrungsmittelbereich können nun auch für die Brennholzversorgung individuelle Subsistenzpraktiken festgestellt werden: Der neu in Splügen stationierte Landjäger Johann Steger beispielsweise meldete dem Verhörrichter im November 1832 von der erfolgreichen Herbeischaffung von Brennholz für seine in der Nähe seines bisherigen Postens an der Fürstenauer Zollbrücke im Domleschg wohnhafte Familie.426 Dem aus Ponte im Oberengadin um die Erlaubnis anfragenden Christian Grass d.Ä., für einige Tage nach Serneus im Prättigau heimkehren zu dürfen, um seiner «Familia mit dem Brennholz ein wenig zu hälfen weil es ein kalte Zeit» sei, 427 antwortete der Verhörrichter, dass ihm dieses Vorhaben nach dem im Dezember erwarteten Bettlerstrom über Neujahr erlaubt sei.428 Der in Ilanz stationierte Landjäger Sixtus Seeli wiederum hatte im Oktober 1834 um einen sechstägigen Urlaub gebeten, um bei seiner Familie in Flims Waldhaus Holz für den Winter zu hacken, 429 was auch ihm wie den allermeisten anderen Anfragenden erlaubt wurde.430 Die Entscheidungsgremien bewilligten sämtliche Vorschläge der Landjäger, die Probleme zu lösen vermochten und welche die Polizeileitung nichts kosteten. In solchen Bereichen waren die organisatorischen Richtlinien überaus flexibel. Die Frage, weshalb die beschriebenen Lösungsansätze nicht Teil der Instruktionen wurden, muss dahingehend beantwortet werden, dass das damalige Reglement in erster Linie nicht Rechte ansprach, sondern sich viel eher auf auferlegte Forderungen und Pflichten bezog. Das formale Polizeisystem war in dieser Hinsicht, und dies mag auf den ersten Blick paradox klingen, starr, um in gewissen Fragen flexibel sein zu können und sich durch unnötige Regelungen nicht den situativen Handlungsspielraum einzuschränken.

      Schliesslich müssen als letzte Ausgabekategorie noch die Arztkonsultationen erwähnt werden. Wie angedeutet wurden entsprechende Unkosten, sofern der Grund des Arztbesuchs mit dem Dienst in Verbindung gebracht werden konnte, vom Kanton rückvergütet: Im Kommentar zum Bericht des Passkommissärs Johann Joseph Gilli betreffend Transport- und Arztbesuchskosten des Landjägers Peter Clavadetscher in Madulain beispielsweise notierte der Verhörrichter, dass er die Regierung angefragt habe, «Clavadetscher zu verguten», da derselbe «auf Streife krank wurde».431 Die Arztkosten von 2 Gulden 20 Kreuzern seien bewilligt worden, ebenso die sich auf 3 Gulden belaufenden Fuhrspesen für den Transport nach Zernez. Für Lebensmittel sei nichts verrechnet worden. Bei definitiv arbeitsunfähigen oder verstorbenen Landjägern vergewisserte sich der Verhörrichter vor Einleitung einer Rückvergütung beim behandelnden Arzt, dass die Ursache im dienstlichen Kontext lag: Stadtarzt Dr. Paul Eblin bescheinigte dem Verhörrichter beispielsweise auf dessen Anfrage, dass Landjäger Georg Nigglis «Lungenauszehrung […] als eine Folge seiner Dienstverrichtungen» zu betrachten sei.432 Nicht rückvergütet wurden demgegenüber Kuren, die nicht explizit ärztlich verschrieben worden waren, welche aber die Landjäger als gesundheitsfördernde Lösungsstrategie betrachteten. Ein Beispiel ist die Anfrage des in Schmitten (Seewis i. P.) stationierten Landjägers Jakob Wunderer, für einige Tage in ein Bad zu gehen, denn er «habe ser notwendig», sich «schräpffen zu laßen».433 Auch hier gilt betreffend organisatorische Richtlinien das, was bereits in anderen Ausgabekategorien festzustellen war: Der Verhörrichter erlaubte die Anfragen wenn immer möglich, um allfällige Probleme mit seinem Entgegenkommen möglichst frühzeitig zu unterbinden. Im Fall des Landjägers Wunderer, der mit der Methode des Schröpfens Giftstoffe aus seinem Körper entfernen lassen wollte, hiess es beispielsweise, dass ihm die Erlaubnis erteilt werde, er jedoch berichten müsse, wann er gehen wolle, damit man einen Ersatz schicken könne.434

      Diese zentralen Auslagen, die zur beschriebenen ersten Gruppe der Ausgabekategorien zählen und entweder in direktem Zusammenhang mit dem Dienst oder aber als lebensnotwendig betrachtet wurden, wurden vom Verhörrichter zusammen mit dem Monatssold und den erwähnten Rückvergütungen beglichen. Auslagen, die zur zweiten Gruppe der Ausgabekategorien zählten, befanden sich ausserhalb des formal-normativen Spektrums und Interessengebiets. Dazu zählten beispielsweise Portokosten für den ausserdienstlichen Briefverkehr, Schulgeld für die eigenen Kinder, Auslagen für Alkohol, Tabak, Glücksspiele, andere Unterhaltungsauslagen wie Buch- und Zeitungskosten, alle ausserhalb des Dienstes entstandenen Gesundheitskosten, Luxusgüter und nicht zuletzt auch Ausgaben für die Subsistenzwirtschaft innerhalb der eigenen Familie. Die Vielfalt dieser Ausgabekategorien verdeutlicht den partikulären Charakter des Landjägeralltags, welcher im Zweiten und Dritten Teil noch näher untersucht wird.

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      33 Prozentuale Ausgabenanteile der Landjäger am erhaltenen Monatssold von 27 Gulden (ungefährer Durchschnittswert am Beispiel der Landjäger auf den Laufposten).

      Pensions- und Fondsfragen

      Die Frage der Entschädigung von arbeitsunfähig gewordenen Landjägern, deren Invalidität erwiesenermassen mit dem Landjägerdienst in Zusammenhang stand, war ein entscheidender Faktor, als es um die Einrichtung von Fonds oder Pensionskassen ging. Der oben erwähnte Landjäger Niggli etwa hatte sich nach einem Zwischenfall im Engadin nie wieder richtig erholen können und starb ein Jahr nach dem Vorfall. Gemäss Dr. Paul Eblin habe der Landjäger seit mehreren Jahren «an Lungenschwindsucht gelitten», welche

      «seinen ersten Ursprung und Wurzel […] in dem Umstand hatte, daß er bei Begleitung eines Delinquenten im Jahr 1828 bei sehr erhitztem Körper plötzlich in den Inn sprang um jenen, der ihm entkommen [war,] zu verfolgen. Plötzliche Erkältung, der längere Aufenthalt in naßen Kleidern, Schrecken und Aerger, wirkten damals zusammen um die Gesundheit dieses, so viel mit bekannt vorher gesunden Mannes für immer zu erschüttern und zu untergraben. [/] Auch ließen seine Dienstverhältniße, denen er bis in die letzten Zeiten oft über vermögen oblag, keine ordentliche und anhaltende Cur zu.»435

      Der Zwischenfall habe Niggli, so der Verhörrichter an den Kleinen Rat, «ohne Zweifel» sehr zugesetzt, denn in der Folge habe sich sein Zustand fortlaufend verschlechtert, «so daß man ihn den ganzen lezten Winter durch höchstens zur Aufsicht im Arbeitszimmer des Zuchthauses verwenden konnte». Vom April bis zum 26. Juli 1832, dem Tag seines Hinschieds, habe Niggli «immer im Bett liegen» müssen.436 Der Verlust ihres Ehemannes schliesslich bewog die verzweifelte Witwe Elisabeth Niggli, die Regierung um einen Unterstützungsbeitrag anzufragen:

      «Der Vollendete hinterließ nach seinem Tod, die Unterzeichnete seinen betrübte Wittwe – nebst zwei den Verlust ihres geliebten Vaters und Erziehers schmerzlich beweinende, unmündige Kinder, die bei der gegenwärtigen so verdienstlosen Zeit – ohne Unterstützung nur durch die Handarbeit ihrer Mutter ohnmöglich gehörig ernährt, gekleidet und beschulet werden mögen.»437

      Der Verhörrichter schlug, dies alles berücksichtigend, dem Kleinen Rat das vor, was sich bis dahin als Richtschnur etabliert hatte:

      «Man hält es daher für recht und billig wie selbe in andern Fällen auch statt hatte, der Hinterlaßenen Familie eine Unterstützung zukommen zu laßen. [/] Die Aussetzung einer Pension dürfte hier Lands nicht wohl angehen, auch ist dem Berichterstatter kein Beispiel davon bekannt.»438

      Der Kleine Rat folgte auch diesmal der gängigen Praxis der Polizeileitung und liess der Witwe des Niggli einen einmaligen Unterstützungsbeitrag (zwei Monatssolde resp. 54 Gulden) zukommen.439 Ähnlich ging der Kleine Rat beim ebenfalls an Lungensucht erkrankten Korporal Joseph Casparin vor, welchem der Arzt Arbeitsunfähigkeit attestierte und nur noch einige Monate restliche Lebenszeit voraussagte:440 Ihm wurde für den Oktober 1839 ein ganzer Monatssold und für die restlichen zwei Monate des Jahres je ein halber Sold zugesichert.441

      Trotz ähnlichem Vorgehen in den zwei erwähnten Fällen war in der Zwischenzeit mit der Einrichtung einer Pensionskasse ein neuer Lösungsansatz zustande gekommen. Mit einer entsprechenden Idee hatte sich der Standeskassier erstmals Ende 1834 an den Kleinen Rat