Martín Camenisch

" Hoch Geachter Her Verhörrichter …"


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zufliessen zu lassen: «In jungen Jahren, wo manchmal keine oder doch meistens eine kleine Familie zu ernähren ist», so der Standeskassier, «fällt der Abbruch von nicht vollkommen 2 [Kreuzern] vom täglichen Sold wol nicht schwer.»442 Dadurch könnten gemäss seinen Berechnungen jährlich 420 Gulden und innerhalb von zehn Jahren über 4000 Gulden (den dazu gewonnenen Zins nicht miteingerechnet) in der Kassa angehäuft werden. Gemäss Punkt drei seines beigelegten Richtlinienplans sollte der Beitritt freiwillig sein. Dieser sei danach jedoch nicht widerrufbar. Für neu ins Korps eintretende Landjäger sollte der Beitritt zur Ersparniskasse hingegen obligatorisch sein. Gemäss Punkt fünf sollte jeder Landjäger beziehungsweise dessen Nachkommen bei Dienstaustritt oder im Todesfall die im Lauf der Jahre einbezahlte Summe samt dazugehörigem Zins ausbezahlt erhalten. Der vorgeschlagene Plan wurde ein Jahr später «nach reiflicher Prüfung» durch den Kleinen Rat gutgeheissen.443 In einem Zirkular an sämtliche Landjäger, mit dem diese ihre Teilnahme bestätigen konnten, hiess es dann:

      «Durch dieser eingegebener Faßung von der Hohen Regierung genehmigten Plan ist jedem Beitretenden von Euch der Weg geöffnet, zur allmäligen und beinahe unmerklichen bildung eines Capitals, das Euch und den Eurigen in den jüngern Jahren Freude und Hoffnung, und bei herannahendem vielleicht hülflosen Alter, Trost und Unterstüzung gewähren kann. Auch werden Eure Obern nicht anders als mit wahrem Vergnügen den Entschluß derjenigen unter Euch vernehmen, welche durch ihren Beitritt das Streben nach Hebung des häuslichen Wohlstandes beurkunden.»444

      In der dem Rundschreiben beigefügten Liste trugen sich sodann zahlreiche Landjäger ein, wobei darunter notiert wurde, dass der erste Abzug bei den beigetretenen Landjägern Ende Januar 1836 erfolgen würde. De facto indes war diese Ersparniskasse angesichts eines inexistenten Pensionsalters nichts anderes als eine gedachte Invaliden- oder Hinterbliebenenkasse, jedenfalls keine Pensionskasse für pensionierte Landjäger. Bezeichnenderweise hiess sie in anderen Kantonen denn auch ‹Invalidenkasse›, so beispielsweise in St. Gallen. Darin hielt der Artikel 2.b. fest, dass den Sankt Galler Landjägern hierfür monatlich 50 Rappen abgezogen würden.445 Diese Summe entsprach 1835 ungefähr 17½ Kreuzern, 446 also bedeutend weniger als die 60 Kreuzer der Bündner Landjäger.

      In der Folge nun scheint die Einrichtung der Ersparniskasse den Erwartungen des Standeskassiers trotz allem nicht gerecht geworden zu sein. In seinem Amtsbericht für das Jahr 1843 berichtete der Verhörrichter von den altersschwachen Landjägern Hercules Derungs d.Ä. und Michael Mutzner:447

      Ersterer sei «ganz gestabet, so daß er an einem Stecken gehen» müsse und auch wenig sehe und höre. Zweiterer sei «von jeher ein etwas verwirrtes, höchst eigensinniges Kapitel». Für den Dienst auf den Laufposten seien sie nicht mehr brauchbar, aber auch ihre gegenwärtige Verwendung zur Ueberwachung von «Züchtlingen» im Sennhof könne «seine bösen Seiten» haben, wobei auch ihnen selber damit wenig geholfen sei: «Es wäre wirklich unverantwortlich, jedenfalls sehr bedenklich (wegen zukünftigem Bekommen solider Leute für den Dienst) alte, treue Diener, wie sie altersschwach werden, ohne einige Entschädigung zu entlaßen, zumal wenn sie nicht vermöglich sind, welches bei beiden Genannten der Fall ist.» Die Frage gewinne an Bedeutung, da das Korps erst 1804 gegründet worden sei und die anfänglich aufgenommenen Landjäger «erst jezt nach und nach» ein höheres Alter erreicht hätten.448 Er schlage vor, die beiden Landjäger «ein für alle Mal mit einer aversal Summe [Abfindungs- bzw. Entschädigungssumme, M. C.] etwa ein Jahrgehalt» zu versehen, oder ihnen «bis zum Absterben eine kleine Pension, etwa ein Drittel der jährlichen Besoldung zukommen zu laßen». Um solche Missstände künftig zu vermeiden, habe man seit längerer Zeit an der «Errichtung eines Pensions-Fonds für unverschuldet Dienst untauglich gewordene arme Landjäger, wie auch für arme Wittwen und Waisen während dem Dienst mit Tod abgegangener» Polizeibeamten, zu errichten gedacht: «Da schon vor Errichtung der jetzt bestehenden Landjäger-Ersparnißkaße, der Wunsch und die eigentliche Absicht mehrerer Landjäger war, jährlich etwas Weniges zur Gründung eines solchen Fonds zurück zu laßen; andere mit der Art der dermaligen Ersparnißkaße nicht wohl einverstanden sind, sagend: daß es ihnen nicht conveniere [möglich sei, M. C.] Geld zu 4% anzulegen, zumal sie Schulden zu höheren Procenten hätten.» Deshalb sei die Sparkasse aufzulösen oder aber die Einzahlungsbestimmungen zu modifizieren. Anstatt die Landjäger an den Zollstationen sich immer mehr bereichern zu lassen (und die Schere innerhalb des Korps anwachsen zu lassen), könnten diese «alle Quartal [Gulden] ½ oder 1 [Gulden] zurück […] laßen», welche «dann bei einer Ersparnisskaße zinstragend anzulegen» seien. Ferner schlug er vor, «um zugleich die Aufmerksamkeit und Ordnung der Landjäger recht zu spannen, in Zukunft kleine Dienstvergehen mit Geldbußen von 3 bis 12 [Kreuzern] jedes Mal und bei Wiederholungen immer mit dem Doppelten zu belegen, (wie solche Bußen in Betrag von einer Krone hinsicht der Tourbücher bereits gesezlich angeordnet [seien])».

      Wenn der Verhörrichter im Folgenden schrieb, dass «dann in gegebenen Fällen daraus Pensions-Beiträge für deren benöthigte Landjäger und deren Hinterlaßenen zu schöpfen» seien, so deutet dies auf die Devise hin, weniger im Sinn eines Gleichheits-, sondern eher eines Solidaritätsprinzips zu verfahren. Die Pensionskasse war nicht etwa ein Garant für eine objektiv kalkulierbare, feste Pensionsgeldsumme in ferner oder naher Zukunft, sondern ein Beitrag zum Wohl des Korps beziehungsweise der benachteiligten Landjäger. Der genuin sozialpolitisch geprägte Anstrich dieses Modells fand indes bei der Verhörrichteramtskommission vorderhand kein Gehör. Es wurde vorgeschlagen, die Landjäger Hercules Derungs d. Ä. und Michael Mutzner mit einer «Aversalsumme im Betrage einer halbjährlichen Besoldung [zu] entlaßen».449 Der Grund für die Aufschiebung der Frage dürfte darin gelegen haben, dass die Reorganisation des Polizeiwesens mit entsprechender Aufteilung des Verhörrichteramtes für die Kommission weit grössere Priorität hatte. So wurde die vorhandene Ersparniskasse beibehalten, ohne jedoch die bekannten Probleme zu beheben. Insofern hatte die Aneinanderreihung der mit der Frage des gesundheits- und altersbezogenen Dienstaustritts verbundenen Kommunikationen zwar eine Veränderung im formalen Polizeisystem bewirkt, nicht aber zur Einführung einer solidarischen Pensionskasse geführt. Das Verdikt wurde durch das Kantonskriminalgericht im ausserordentlichen Bericht zu Zuchthaus- und Landjägerkorpsfragen auch im Jahr 1846 nochmals unterstrichen, wobei insbesondere auf die schlechte Besoldung der Landjäger verwiesen wurde: «[Ein] bei unserm Landjägercorps sich kundgebender Uebelstand ist die kärgliche Bezahlung deßelben; diese ist so, daß der Mann, der einen großen Theil des Jahres auf touren sein muß, zwar wohl für seine Person nothdürftig auskommen, in keinem Fall aber für Weib und Kinder oder für das Alter und für kranke Tage etwas erübrigen und auf Seite thun kann. Hierin dürfte wohl der Hauptgrund der lausigen Erscheinung zu suchen sein, daß Landjäger neben ihrem Dienste noch andere zu demselben keineswegs paßende Arbeiten verrichten, wodurch ihrer Stellung, ihrem Ansehen und dem Dienste selbst nicht wenig Eintrag geschieht. Damit man ihnen nun dieses mit Billigkeit untersagen könne, wird einertheils eine kleine Solderhöhung, anderntheils die Einrichtung eines Unterstüzungsfonds für Dienstunfähige und im Dienst alt gewordene Land-jäger, deren Witwen und Weisen in Vorschlag gebracht.

      Ein solcher Fond wäre wesentliches Bedürfniß und würde jedem in den Landjägerdienst Eintretenden eine höchst beruhigende Aussicht in die Zukunft gewähren.»450

      Das Zitat exemplifiziert sehr anschaulich jenen Bereich, in dem Norm und Praxis frontal aufeinanderprallten. Es zeigt, wie die (wenn immer möglich) auf das formale System fixierte Polizeileitung für einmal eine Anpassung vornahm, nachdem sie sich sonst mit den Problemen des Landjägerberufs erst nach deren Eintreffen arrangierte. Die Polizeileitung setzte jedoch eher auf den Lernprozess der betroffenen Landjäger, als grundlegende Änderungen zu vollziehen. Retrospektiv scheint es klar, dass die Entscheidungsgremien die im Zitat beschriebenen Probleme ohne ein Hinterfragen der eigenen Position nicht zu lösen vermochten. Stolperstein in der ganzen Auseinandersetzung war eindeutig die Soldfrage, auch wenn dieses Problem in der Debatte rund um die Errichtung einer Pensionskasse mit Ausnahme des obigen Zitats ausgesprochen selten zur Sprache kam. Ohnehin war eine Lohnerhöhung ein äusserst seltenes Ereignis. So sind für die untersuchte Zeit (allerdings zu einem späteren Zeitpunkt als die angesprochene Debatte rund um die Ersparniskasse) lediglich zwei ausserordentliche Solderhöhungen nachweisbar. Dazu mag ein kleiner Exkurs für Klarheit sorgen: Wegen der anhaltenden