in das Städtchen eingefallen waren.87 Jedoch sorgten die anhaltenden Unruhen in Luzern und Solothurn dafür, dass die Lage nach wie vor angespannt blieb.88 Erst während der Friedensverhandlungen mit Frankreich 1515/16 entspannte sich die Situation so weit, dass der Berner Rat in Rücksprache mit den Ämtern damit beginnen konnte, einzelne Ratsmitglieder zu rehabilitieren. 1516 wurden die Venner Dittlinger, von Graffenried, Baumgartner und Schöni begnadigt.89 Um 1517/18 gelang auch Hans Rudolf Hetzel die Rückkehr aus der Verbannung.90
3 Der Zwiebelnkrieg in Luzern
In Luzern nahmen die Unruhen bereits einige Tage früher als in Bern ihren Anfang. Erste Informationen über ausserordentliche Vorkommnisse gelangten sechs Tage vor der Könizer Kirchweihe, am 20. Juni 1513, nach Bern. Mit einem Schreiben informierte Wilhelm Schindler, Schultheiss von Huttwil, die Berner Obrigkeit darüber, «dass unser eignossen von Lüzern mitt den iren von Willisow in grosser […] unnru(o)w und wider stan sind und hatt sich geben das die von Lüzern hand uf samstag ver gangen sind mitt ein(n)er zall knechtten us zogen und under stan die von Willisow us dem amtt wellen strafen».91 Doch darauf seien sämtliche Ämter und Herrschaften wider ihre Herren «zu(o) semen gestanden» und an die 3000 Aufständische hätten in Willisau «an wild rummor» veranstaltet. Besonders brisant an der Nachricht war, dass «ettlich herschafftt der üweren im (E)rgöw […] den herschaftten von Lüzern ettwas zu(o) gesseit inenn in irem fürnemen ettwas bistan zu(o) tu(o)n» und «eb es sich geb(,) so weten […] sÿ inenn u(o)ch bistendig sin».
Die Nachricht über die Unruhen in Luzern verbreitete sich in den nächsten Tagen in der ganzen Eidgenossenschaft. Die genauen Hintergründe der Ereignisse in der Innerschweiz waren wegen «mengerlaÿ red» und «unglicher main(ú)g» nur vage bekannt.92 In einem weiteren Schreiben an seine Obrigkeit in Bern vom 27. Juni erwähnte Schindler allerdings, dass sich der Widerstand der Luzerner Ämter (und der Berner Untertanen) auch gegen die deutschen Franzosen, also diejenigen Ratsherren, die von Frankreich Pensionen bezogen hatten, richten würde.93
Für Schindlers Befund finden sich jedoch in den Verhandlungen zwischen dem freien Amt Willisau und Luzern, die Ende Juni (zwischen dem 19. und 25.) und Anfang Juli (vor dem 2.) unter Vermittlung der Orte Zürich, Bern, Uri, Schwyz, Unterwalden, Zug und Solothurn stattfanden, keine Belege. Weder das politisch-militärische Engagement der Orte in Italien noch die Praktiken des Pensionenwesen kamen während der Vermittlung zur Sprache. Die Untertanen verlangten Einsichtsrecht in das Amtsbuch, es wurde um die althergebrachte Rechtsprechungspraxis in den Twingherrschaften gestritten, über Fisch- und Jagdrechte verhandelt und ein Rechtstag für den Willisauer Schultheissen Heinrich Iberg eingefordert.94 Was ging im luzernischen Amt Willisau vor sich?
Die Konfliktkonstellation in Willisau war stark vom Antagonismus zweier Persönlichkeiten geprägt: Schultheiss Heinrich Iberg und Rudolf Mettenberg, genannt Mieschbühler.95 Heinrich Iberg war seit über vierzig Jahren Ratsherr in Willisau und bekleidete das Amt des Schultheissen alternierend seit 1499. In der Funktion des Schultheissen amtierte Iberg als Statthalter des Landvogts.96 Die Spannungen zwischen Ibergs Gegenspieler Mieschbühler und der Willisauer Obrigkeit lassen sich bis 1499 zurückverfolgen, als er wegen Steuerfragen in der Luzerner Kanzlei aktenkundig wurde. Laut einer Kundschaft hatte er sich über die Steuerpraktik der Sechser des Amts Willisau beklagt. Diese hätten die zu entrichtenden Steuern «keÿblich vnd nit fromklich angeleit», weshalb er ausgerufen haben soll, «das der helsch flam vnd der tonner vom heitterrem himel alle die verbro(e)nn, so rat vnd tatt zu(o) der stur gerett vnd gtan haben.»97 Verfasser der Kundschaft war Heinrich Iberg.
1512 flammte der Konflikt zwischen Willisau Stadt und Willisau Land erneut auf, als das freie Amt den Amtsweibeln die Entlöhnung verweigerte und Einsicht in das Amtsbuch verlangte. Die Forderung nach einer Konsultation des Amtsbuches wurde bereits ein Jahr später erneut erhoben. Im Sommer 1513 sah sich Schultheiss Iberg mit dem Verdacht konfrontiert, er enthalte dem freien Amt vorteilhafte Satzungen, etwa Jagd- und Fischrechte, vor. Mieschbühler und das freie Amt forderten deshalb, dass das Amtsbuch auf der Laube oder dem Landtag verlesen werden soll. Die Weigerung Ibergs, dieser Forderung nachzukommen, brachte schliesslich das Fass zum Überlaufen. Die Untertanen des Freiamts drangen in das Städtchen ein und verschafften sich gewaltsam Zugang zum Amtsbuch, in welchem sich zu ihrer Enttäuschung jedoch keine der erhofften Satzungen finden liess. Sie bezichtigten daraufhin den Schultheissen und die Stadträte, ihnen eine Fälschung vorgelegt zu haben. Iberg wurde unter Arrest gesetzt. Nachdem ihm die Zusicherung, sein Leben und sein Eigentum zu schonen, verweigert worden war, floh der Schultheiss nach Luzern, wo er unverzüglich gefangen genommen wurde.98
Schultheiss Iberg war ein Günstling der Luzerner Obrigkeit und seit 1508 der führende Kopf der Franzosenpartei in Willisau.99 Dieser Umstand erklärt möglicherweise die Beteiligung der Luzerner Ämter am Konflikt zwischen dem freien Amt Willisau und der Stadt Willisau. Inwiefern die persönlichen Beziehungen des Willisauer Schultheissen nach Luzern und angeblich auch nach Frankreich tatsächlich in den Konflikt hineinspielten, lässt sich mit den bekannten Quellen jedoch nicht schlüssig beantworten. Die Vorgänge im Luzerner Hinterland machen aber deutlich, dass man im Sommer 1513 als Initiant von umstrittenen Reformen (Verschriftlichung des Rechts, Zentralisierung der Rechtsprechung, Etablierung der städtischen Regalhoheit) und als vermeintlicher Anhänger Frankreichs mit gewaltsamem Widerstand rechnen musste. Der Prozess gegen den Schultheissen wurde für den 5. Juli in Luzern anberaumt.100 Dieser fand aber nie statt, da am 2. Juli die Sechser und die ganze Gemeinde des freien Amts Willisau in einem Schreiben an Luzern erklärten, dass sie ihre Zeugen nicht nach Luzern bringen werden und «das wir den recht tag ouch nitt haltenn wellennt inn kein weg vff den tag, sunder vnnser ämpter vor hin wÿtter Ratt haben, was wir harjnn thu(o)n vnnd lassen söllennd».101 Diese Erklärung bedeutete das Ende der Vermittlungsbemühungen.
Der lokale Konflikt in Willisau ging wenige Tage später im überregionalen Widerstand der Luzerner Ämter gegen die Obrigkeit auf. Der «vnwill vnder den puren vnd minen herren vnderthanen» war «vast groß» und wuchs «von tag zuo tag ye lenger ye meer», kommentierte Cysat das Geschehen.102 Da und dort kam es zu gewalttätigen Ausschreitungen. So entkam etwa das Kloster St.Urban nur knapp dem Sturm aufgebrachter Pfaffnauer Herrschaftsleute.103 Am 4. Juli schliesslich versammelten sich um die 3000 Untertanen bei St.Ulrich nahe Ruswil. Die beiden Ämter Willisau und Entlebuch hatten sich auf ein gemeinsames Vorgehen geeinigt und den Entschluss gefasst, «für die statt zu zühen».104 An der Spitze der Bewegung befanden sich der Willisauer Mieschbühler und der Entlebucher Landesfähnrich Hans Heid.105
Nachdem dieser Plan der Willisauer und Entlebucher sowie weiterer Untertanen aus den restlichen Ämtern (jedoch ohne Kriens und Horw) in Luzern bekannt geworden war, schickte die Obrigkeit ihren Grossweibel Hans Meyenberg von Sursee auf Kundschaft und traf erste Kriegsvorbereitungen.106 Als Meyenberg nach seiner Rückkehr die Obrigkeit über die heranrückenden Untertanen informierte, soll dies dem Schultheissen Petermann Feer «allso zu hertzen» gegangen sein, dass er, mit wehendem Banner in der Hand, in Tränen ausbrach. So zumindest ist die dramatische Szene bei Cysat überliefert.107
Am Abend des 4. Juli gelangten die Aufständischen nach Luzern. Sie hätten sich, so Cysat, wie «die hünd oder schwyn» rund um die Kleinstadt verteilt, «namlich vff der Schützenmatt, Nidergrund, Bruch, Obergrund vnd daselbs allenthalben harumb».108 Um sich zu verpflegen, hätten sie Kraut und Zwiebeln «abgemäyet, allso das der krieg genempt ward der Zwibelenkrieg.»109 Gleichzeitig soll es innerhalb der Stadtbürgerschaft vereinzelt zu gewalttätigen Übergriffen gegen Franzosenfreunde gekommen sein.110
Bereits einen Tag zuvor, am 3. Juli, als klar wurde, dass die Vermittlung in Willisau gescheitert war und deshalb neue Unruhen zu befürchten waren, wandte sich Luzern mit der Bitte um Beistand an die Eidgenossen.111 Der Solothurner Gesandte Peter Hebolt, der Luzern am 5. Juli erreichte, schätzte die Zahl der Belagerer auf 6000 Personen. Unter den Aufständischen sollen sich auch 500 bis 600 Personen aus Wangen und Zofingen befunden haben.112 Anshelm zufolge waren ausserdem auch Leute aus dem solothurnischen Gäu unter den Aufständischen zu