vor unbeantwortet sei, und schlug vor, nachzuhaken. Der ebenfalls anwesende Regierungsrat schlug den Weg über eine «Anfrage» vor an Stelle einer erneuten «Eingabe». Pfarrer Etter übernahm die Aufgabe, das Erziehungsdepartement erneut anzugehen.226 Dieses wichtige Traktandum blieb aber bis im Frühjahr 1946 liegen, bis das Vormundschaftsdepartement zur Beratung eines Entwurfs zu einer Pflegekinderverordnung nach Weinfelden einlud.
Zur Versammlung am 15. Februar 1946 wurden auch zwei Vertreter des Armenerziehungsvereins bestellt, die bei der paragrafenweisen Besprechung den Eindruck erhielten, dass die Verordnung «eine erfreuliche Verbesserung des bestehenden Zustandes» verspreche.227 Bereits im März desselben Jahres wurde «die Verordnung des Regierungsrates betreffend die Aufsicht über die Pflegekinder» verabschiedet. Die Verordnung umfasste sämtliche Kinder bis zum zurückgelegten 16. Altersjahr, deren Erziehung, ob mit oder ohne Pflegegeld, anderen Personen als ihren leiblichen Eltern anvertraut wurde. Die Vormundschaftsbehörden (Waisenämter) waren aber auch befugt, ihre Mündel bei Fällen von körperlichen oder psychischen Einschränkungen, Gefährdung oder Schwererziehbarkeit bis zur Mündigkeit unter die Pflegekinderaufsicht zu stellen.228 Die Aufnahme eines Pflegekindes war wie beim Tuberkulosegesetz auch hier an eine Bewilligung geknüpft, neu aber durch das wohnörtliche Waisenamt. Die Pflegekinderaufsicht konnte auch einer Kommission oder «einer in der Gemeinde oder im Bezirk bestehenden öffentlichen oder privaten Fürsorgeinstitution übertragen» werden. Darunter fielen die «Amtsvormundschaft, Säuglingsfürsorgevereinigungen, Tuberkulosefürsorgestelle, Pro Juventute, usw.» – weder der Armenerziehungsverein noch das seraphische Liebeswerk wurden namentlich erwähnt.229
Dass sich die Zeiten änderten, konstatierte auch der Vereinspräsident anlässlich eines historischen Rückblicks im Jahr 1949 über die «Geschichte des Vereins». Die Tätigkeit hätte sich insofern gewandelt, «als man es anfangs nur mit normalen Kindern, die in Familien versorgt werden konnten, zu tun hatte, während später in steigendem Masse auch Anormale und Schwererziehbare angemeldet wurden, für die nur Anstaltserziehung in Frage kam».230 Diese Aufgaben seien aber in den letzten Jahren vermehrt von der Stiftung Pro Infirmis und der Thurgauischen Frauenhilfe übernommen worden, die für diese Aufgabe besser geschult seien. «Zu den meist sehr hohen Kosten solcher Placierungen bietet dann der Verein gerne die Hand. Eine weitere, sehr dankbare Aufgabe sieht er in der Hilfeleistung zur Berufsbildung von Burschen und Mädchen.»231 Ein halbes Jahr später wurde auch erstmals über eine Namensänderung offen gesprochen.232
Die Verschiebung der Vereinsaufgaben von der aktiven Fremdplatzierung zur reinen Quersubventionierung anderer Hilfswerke wie der Pro Juventute, Pro Infirmis oder des Thurgauer Frauensekretariats wurde immer offensichtlicher, 233 bis im Juni des Jahres 1953 erstmals offen im Vorstand über das weitere Fortgehen des Vereins diskutiert wurde: «Herr Pfr. Schuppli stellt als Präsident die Zukunft unseres Vereins in Diskussion.» Bereits seit einigen Jahren bestehe «die Tätigkeit unseres Vereins zur Hauptsache in der Gewährung von Beiträgen an die Betreuung von Kindern durch Pro Infirmis, Frauensekretariat und andere Institutionen, so dass wir zu diesen Kindern keine direkten Beziehungen haben».234 «Trotz diesen für unsern Verein unbefriedigenden Verhältnissen will man von einer Auflösung unseres Vereins vorläufig noch absehen.»235
Wie unbefriedigend diese Situation für den Vereinsvorstand gewesen sein muss, offenbart die Tatsache, dass der Vorstand bei der Fürsorgestelle Pro Infirmis eine Stellungnahme einforderte, ob der Armenerziehungsverein überhaupt noch gebraucht werde. Wenig überraschend wurde die Notwendigkeit «des Fortbestehens unseres Vereins» bejaht.236 Bereits vier Jahre später entzog aber auch die Fürsorgestelle mehr und mehr dem Armenerziehungsverein ihre Gunst, indem «von Pro Infirmis weniger Beitragsgesuche eingegangen sind». Der Präsident erwähnte, dass der Verein früher viel mehr Pflegekinder zu betreuen gehabt habe. «Heute sind es nur noch einige wenige.» Andere Fürsorgeinstitutionen wie Pro Infirmis, das Frauensekretariat oder die Amtsvormundschaften hätten sich eingeschaltet. «Pflegekinder im eigentlichen Sinn haben wir nur wenige, weil die Amtsvormundschaften meistens nur Beiträge von uns wünschen.»237
Die Bezirks-Armenerziehungsvereine des Kantons Solothurn
Verglichen mit den Armenerziehungsvereinen der übrigen Kantone entstanden die Solothurner Sozietäten in den 1880er-Jahren relativ spät. 1877 wurde der erste Armenerziehungsverein der Amtei Olten-Gösgen ins Leben gerufen, ihm folgten 1880 Thierstein und Lebern (später Solothurn-Lebern), 1888 Balsthal-Thal, 1890 Kriegstetten, 1894 Gäu und 1906 Dorneck. Die Armenerziehungsvereine Solothurns schlossen sich 1898 zum «Verband Solothurner Armenerziehungsvereine» zusammen.
Impulse zur freiwilligen Armenfürsorge gingen nach dem Kulturkampf, während dessen tradierte katholische Fürsorgeinstitutionen aufgehoben wurden, insbesondere von der Kantonsverfassung aus dem Jahr 1875 aus. Darin wurden Bestimmungen über die kommunale Armenunterstützungspflicht und darüber, in «welcher Weise der Staat neben der freiwilligen Armenpflege sich an der Armenunterstützung zu beteiligen hat», aufgenommen.238 Der älteste Solothurner Armenerziehungsverein war der am 22. April 1877 gegründete Olten-Gösgens. Die Eröffnungsrede an der konstituierenden Versammlung hielt der erste Armeninspektor und langjährige Präsident des Armenerziehungsvereins Baselland, Ständerat Martin Birmann. Den engern Ausschuss stellten unter anderem der Oberamtmann sowie alt Stadtammann Jakob Benedikt Schmid (1811–1890) aus Olten.239 Von den zehn Männern des engern Ausschusses und des Revisorats stammten sieben aus der Stadt Olten und nur drei aus den Landgemeinden Gunzgen, Schönenwerd und Däniken. Es lässt sich somit feststellen, dass die Vereinsgründung durch Männer der Oberschicht, insbesondere der Verwaltung, Kirche und mit drei Fabrikanten auch der Wirtschaft, eine ausgesprochen städtische war. Dies widerspiegelt auch die quantitativ höhere Zeichnung der Subskribenten in der Stadt und in Stadtnähe sowie die Höhe der Beiträge.240
Die auf die Gründung folgenden Sitzungen nahmen sich die weitere Organisation zum Ziel, es wurden Formulare für die Aufnahme der Kinder entworfen, die Kassen- und Buchführung wurde in Zusammenarbeit mit dem Basellandschaftlichen Armenerziehungsverein besprochen, und die dem Verein noch nicht als Kollektivmitglieder angehörenden Gemeinden wurden kontaktiert.241 Der organisatorische Rahmen war gesteckt, und der Engere Ausschuss beschloss, einerseits an das Departement des Armenwesens zu gelangen, um es dahin zu bewegen, die Gründung weiterer Armenerziehungsvereine im Kanton zu fördern, und andererseits «seine Hauptthätigkeit auf Versorgung eigentlich verwahrloster im Alter schon vorgerückterer Kinder zu richten».242
Doch nun tauchte unerwartet ein Problem auf: Dem Verein fehlten die zu «versorgenden» Kinder. Entweder kamen von den partizipierenden Gemeinden gar keine oder «absolut nicht in den Rahmen eines Erziehungsvereins passend[e]»243 Gesuche. Obschon der Verein durch das kantonale Polizeidepartement unterstützt wurde, 244 setzte sich diese «Flaute» bis im Juni des Jahres 1880 fort, und der Vorstand versuchte mittels Zirkularen die Gemeindebehörden zur Nennung ihrer «verwahrlosten» Kinder zu bewegen.245 Die Antworten der Gemeinden fielen nüchtern aus: Die Gemeinden Hauenstein, Winznau, Grod, Walterswil, Gretzenbach, Eppenberg und Schönenwerd erklärten, «keine der Hülfe des Vereins Bedürftigen zu haben» oder selbst in der Lage zu sein, dieselben zu unterstützen.246
Nach anfänglichen Schwierigkeiten schien der Armenerziehungsverein Olten-Gösgen seinem Vereinszweck doch nachkommen zu können. Der Präsident erhielt im Jahr 1885 die Kompetenz, die «Versorgung» von Pflegekindern nach deren Aufnahme nicht mehr via Prüfung durch den Vorstand, sondern direkt in Eigenverantwortung zu übernehmen. Es sollten somit die jeweils einmonatigen Pausen zwischen den Vorstandssitzungen überbrückt werden, und dies mag ein Indikator dafür sein, dass ein aktiveres Vereinsleben und eine steigende Nachfrage bestanden.247 Die Wirksamkeit des Vereins weitete sich sogar über die Kantonsgrenzen hinaus, indem auch Kinder im Aargauer Fricktal fremdplatziert wurden.248 Dass diese Praxis aber auch über die Gründung der betreffenden Aargauer Armenerziehungsvereine hinaus erfolgte, wird aus der Jahresversammlung von 1927 ersichtlich: «Vor Jahren waren oft 30 bis 40 Kinder im Fricktal versorgt. Wir haben diese Kinder nach u[nd] nach zurückgezogen, weil uns durch die grössere Entfernung die Kontrolle über Kinder